Horror-Unfall an Silvester: Fahrer muss nicht ins Gefängnis

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Bei diesem Horror-Unfall in der Silvesternacht starb ein 19-Jähriger auf der Theodor-Heuss-Allee in Forchheim. Acht junge Menschen wollten mit dem Wagen kurz nach Mitternacht zur nächsten Party fahren, die nur einen Kilometer entfernt war. Heute stand der Fahrer vor Gericht. Foto: News5
Bei diesem Horror-Unfall in der Silvesternacht starb ein 19-Jähriger auf der Theodor-Heuss-Allee in Forchheim. Acht junge Menschen wollten mit dem Wagen kurz nach Mitternacht zur nächsten Party fahren, die nur einen Kilometer entfernt war. Heute stand der Fahrer vor Gericht. Foto: News5

Der 20-jährige Fahrer des Unfallwagens musste sich am Montag wegen fahrlässiger Tötung vor dem Jugendschöffengericht in Forchheim verantworten. Bei dem Crash war ein 19-Jähriger ums Leben gekommen, ein weiterer Mann wurde schwer verletzt. Zum Schluss des Prozesses gibt es eine bewegende Szene. Und ein Urteil.

Kein Gefängnis! Die Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten setzt der Richter am Ende der mehrstündigen Verhandlung zur Bewährung aus. Im Gerichtssaal jubelt keiner über dieses milde Urteil. Weder der 20-jährige Angeklagte, der den Wagen in der verhängnisvollen Silvesternacht steuerte, noch die sechs Freunde, die mit ihm im Auto saßen und als Zeugen geladen waren, können sich über das Urteil freuen. Die Trauer über den Tod des 19-Jährigen in der Silvesternacht ist immer noch zu groß.

Das neue Jahr war jung. Ganz jung. Keine 30 Minuten alt. Auch die acht Menschen, die sich in einen Golf gequetscht haben, um von einer zur nächsten Party zu fahren, waren jung. Ein junger Mann bezahlte die kurze Fahrt in dieser Silvesternacht auf der Theodor-Heuss-Allee mit dem Leben. Der 19-Jährige erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen. Mit 20 Jahren war auch der Mann jung, der sich in dieser verhängnisvollen Silvesternacht mit fast einer Promille Alkohol im Blut hinters Steuer gesetzt hatte, und deswegen am Montag vor dem Jugendschöffengericht auf der Anklagebank saß.

Der tragische Silvester-Unfall hatte in und um Forchheim einen großen Schatten auf die Feierlichkeiten zum Jahreswechsel geworfen. Trauer und Entsetzen waren in den Tagen nach dem Unfall überall spürbar. An der Unfallstelle auf der Theodor-Heuss-Allee brannten die Kerzen. Der Prozess vor dem Jugendschöffengericht ruft die Erinnerungen an diese schreckliche Silvesternacht in Forchheim schlagartig ins Gedächtnis von Freunden, Verwandten und Hinterbliebenen zurück.

Montagmorgen. 8.30 Uhr. Die Besucherreihen im Verhandlungssaal sind voll besetzt. Freunde und Verwandte des Angeklagten, die auch Freunde des Opfers waren, sind bei der Verhandlung dabei. Als Vertreterin der Nebenklage sitzt die Mutter des tödlich verunglückten Mannes ebenfalls als Beobachterin im Publikum.


Es wurde getrunken und gelacht

Mit brüchiger Stimme schildert der 20-jährige Angeklagte aus Forchheim, was sich vor und nach dem tragischen Unfall ereignet hat. Immer wieder ringt der Mann auf der Anklagebank um Fassung, greift zum Taschentusch, trocknet sich die Augen, während er erzählt. Die Party im Augraben war in vollem Gange. Es wurde getrunken und gelacht. Um Mitternacht gingen die Freunde auf die Straße vor dem Haus und lagen sich in den Armen. Raketen flogen in den Nachthimmel. Ein Golf parkte in der Einfahrt. Ein Autoradio sorgte für den passenden Soundtrack zum Anstoßen, zum Umarmen. Alle wünschten sich ein gutes, vielleicht sogar ein gesundes Neues Jahr.

Die Fete war noch nicht zu Ende. Sie sollte weitergehen. Woanders. In der Jahn-Halle tanzten Freunde durch die Nacht der Nächte. Das ist keinen Kilometer vom Augraben entfernt. Nur wie dahin kommen? Laufen oder fahren? Das war die Frage. In der allgemeinen Partystimmung macht es sich einer nach dem anderen in dem Wagen gemütlich. Nur der Platz hinter dem Steuer blieb frei. Wer fährt schon gerne an Silvester? Alle hatten Alkohol getrunken. Die Mädchen weniger, die Jungs mehr.

Ein junger Mann versucht vergeblich, in der Silvesternacht ein Taxi zu bekommen. Ein paar Freunde wollen zu Fuß gehen. Andere mögen es bequemer und hocken sich schnell ins Auto. "Ich bin eingestiegen, weil ich nicht laufen wollte", sagte eine Zeugin. Irgendwann sitzt der Angeklagte hinterm Steuer. Er ist schon häufiger den Wagen des Kumpels gefahren. Der Schlüssel steckt, der Motor läuft. "Fahr los!", ruft ein Kumpel. Der Angeklagte drückt aufs Gas.

Aber nach ein paar Metern stoppt er den Wagen schon wieder. Ein Kollege hat sich im Kofferraum versteckt und krabbelt noch schnell in den Fonds. Jetzt teilen sich fünf Insassen mehr oder weniger komfortabel die Rückbank eines Golf. Vorne hockt der Fahrer, daneben auf dem Beifahrersitz der Halter des Fahrzeuges, auf seinem Schoß macht sich eine junge Frau ganz klein, damit beide sitzen können. Irgendwie.

Acht Menschen in einem Golf

Der Angeklagte hat den Fuß auf dem Gaspedal. Acht Menschen in einem Golf biegen vom Augraben in Richtung Theodor-Heuss-Allee. Im Auto ist Remmidemmi. Die Nacht ist jung, die Freunde sind es auch. Einer, das spätere Opfer, hält den Kopf aus dem Schiebedach, spürt den Fahrtwind im Gesicht. Warum er das macht? Aus Freude, aus Spaß, aus Übermut, aus Platznot? Die genaue Antwort weiß wohl niemand. Auch das Gericht konnte das nicht klären.

Eindeutig belegt sind die Straßenverhältnisse. Es ist Winter, aber die Straßen sind trocken. Kein Eis, kein Schnee. Trotzdem kommt das Fahrzeug plötzlich ins Schleudern, bricht nach rechts aus und dreht sich einmal um die eigene Achse. Auf dem Mittelstreifen liegt der junge Mann, der gerade noch den Kopf aus dem Sonnendach des Autos in den Himmel reckte, sehr schwer verletzt. Was macht der Angeklagte?! Er rennt zu dem Opfer und entdeckt im Fonds noch einen zweiten Freund mit einer Platzwunde am Kopf.

Der Angeklagte ist außer sich. Hysterisch. "Verpiss dich", sagt ein Kumpel zu ihm. Er rennt weg vom Tatort. Nach Hause. Zur Mama. Und stellt sich wenig später der Polizei. Ein Arzt beschreibt in dieser Nacht den Zustand des Unfallverursachers so: "Total aufgelöst."

In der Nacht werden die Spuren am Unfallort gesichert. Ein Sachverständiger beginnt mit den Ermittlungen zur möglichen Unfallursache. Warum der junge Fahrer auf schnurgerader Strecke die Kontrolle über den Golf verliert und in die Böschung kracht, kann er noch heute nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Einen technischen Defekt konnte der Sachverständige immerhin ausschließen. Die Reifen des alten Autos seien gut gewesen. Und die Geschwindigkeit? War definitiv höher als das vorgeschriebene Tempo 50. Mit rund 70 Kilometer pro Stunde sei der Wagen ins Schleudern geraten, hat der Sachverständige errechnet. Noch ungünstiger als die überhöhte Geschwindigkeit habe sich die Überladung auf das Fahrverhalten ausgewirkt. Die Grenze der Haftung auf der Fahrbahn sei schnell überschritten. Besonders wenn die Insassen mit ihrem Gewicht im Wagen "Remmidemmi" machen.

Wäre der Wagen nicht so überladen gewesen, sprich wären weniger Leute mitgefahren, die Gefahr auf der schnurgeraden Strecke ins Schleudern zu geraten, wäre "dramatisch reduziert" gewesen.

Die Staatsanwältin sagte zu Beginn ihres Plädoyers: "Der Tod des 19-Jährigen in der Silvesternacht hat tiefe Wunden hinterlassen, die das Strafverfahren nicht schließen kann." Fahrlässig habe der Angeklagte gehandelt, beinahe vorsätzlich den Unfall in Kauf genommen, als er sich betrunken ans Steuer setzte. Allerdings sei da auch die Gruppendynamik. Die Freunde, die zur Party wollen und schon im Auto hocken. Der Angeklagte sei eben der Dumme gewesen, der sich als Letzter auf den letzten Platz im Auto gesetzt habe. Dummerweise ans Steuer. Positiv wurde das Geständnis, die Reue und die gute Sozialprognose gewertet. Der Mann sei nach dem Unfall reifer, erwachsener geworden. Zum Glück seien in dieser Nacht nicht noch mehr Menschen gestorben.

Das letzte Worte nutzte der Angeklagte für eine persönliche Entschuldigung. "Es tut mir wahnsinnig leid, Frau L.", schluchzte der Angeklagte. Nach dem Urteil - ein Jahr und sechs Monate im Jugendgefängnis zur Bewährung sowie 240 Arbeitsstunden - folgte die bewegendste Szene dieses emotionalen Verhandlungstages. Die Mutter des tödlich verunglückten Mannes ging auf den verurteilten Unfallverursacher zu und drückte ihn fest an sich. Beide hatten Tränen in den Augen. "Er war einer meiner besten Freunde", hatte er zuvor im Gerichtssaal über den Verstorbenen gesagt. "Menschenleben kann niemand aufwiegen", sagt Jugendrichter Philipp Förtsch nach dem "symbolischen Urteil".