Autofahren ist kein Kinderspiel

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Annika Schobert schaut konzentriert in den Rückspiegel. Foto: Nikolas Pelke
Annika Schobert schaut konzentriert in den Rückspiegel. Foto: Nikolas Pelke

Das Jahr fängt nicht gut an - zumindest auf der Straße. Es häufen sich die schweren Unfälle mit Todesfolge. Ist das Zufall oder spielen das Alter und das Geschlecht der Fahrer eine Rolle? Eine Spurensuche in der Fahrstunde.

Annika Schobert ist ein bisschen nervös. "Ich bin schon lange nicht mehr gefahren", sagt die 17-jährige Schülerin, als das Fahrschule-Auto um die Ecke biegt und vor ihrer Haustür in Poxdorf hält. "Aber die Vorfreude überwiegt", sagt Annika. Nach dem schrecklichen Unfall in der Silvesternacht in Forchheim setzt sie sich trotzdem mit einem mulmigen Gefühl hinter das Steuer.

Auf dem Beifahrersitz hat es sich Bernhard Stolz gemütlich gemacht. Der Fahrlehrer bringt zahlreichen Jugendlichen in und um Kersbach bei, wie man blinkt, schaltet und rechtzeitig bremst. "Die meisten Fahrschüler haben kein Problem, das Auto richtig zu bedienen. Viel schwieriger ist es für Neulinge hinter dem Lenker, die Geschwindigkeit richtig einzuschätzen", sagt der 43-Jährige, der auch in Langensendelbach eine Zweigstelle seiner Fahrschule hat. Insgesamt gibt es im Landkreis Forchheim derzeit 26 Fahrschulen.



Mensch und Maschine


Bernhard Stolz philosophiert weiter über das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Mit seinen Sinnen sei der Homo Sapiens für Schritt- und Jogginggeschwindigkeiten konzipiert. Für Tempo 70 oder 130 auf der Autobahn sei der Mensch biologisch gar nicht gemacht, meint Stolz, während Annika sich auf die schmale Landstraße konzentriert.

Die Scheibenwischer fegen die dicken Regentropfen von der Windschutzscheibe. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos spiegeln sich auf der nassen Fahrbahn. Das Radio sendet Gute-Laune-Musik. Für Millionen Autofahrer ist das nichts besonderes. Für Annika sind die Straßenverhältnisse noch neu. Der Fahrlehrer dreht das Radio leiser und sagt noch einmal zur Erinnerung: "Die Geschwindigkeit ist das A und O." Die einfache Gleichung aus der Physik lautet: "Doppelte Geschwindigkeit gleich vierfacher Bremsweg."


"Moderne Autos sind das Problem"


Annika hört dieses Naturgesetz nicht zum ersten Mal. Ist auch nicht die erste Fahrstunde der 17-Jährigen. Vor dem nächsten Ortsschild geht sie rechtzeitig vom Gas und rollt mit Tempo 40 durch Baiersdorf. Der Fahrlehrer bleibt stumm und nickt. Ein gutes Zeichen. Dann sagt er: "Die modernen Autos sind das Problem." Man höre und spüre darin einfach kaum noch die Geschwindigkeit. "Früher haben die Studentenkisten doch noch bei 100 so laut geklappert, dass man freiwillig vom Gas gegangen ist." Aus Angst, die Kiste fliegt gleich auseinander. "Das lumpigste Auto wäre für Führerscheinneulinge das beste."

Aber Eltern meinen es eben oft gut mit den Kindern. Manchmal zu gut. Beim Auto wird selten gespart. "Egal ob BMW-, Audi- oder Opel-Familie. Auch wenn 70 PS langen würden. Aber ich mach es ja selber auch falsch", gibt der Fahrlehrer zu. Das sei eben eine Image-Sache. Der harmonische Dreiklang lautet im autoverrückten Deutschland wohl immer noch: Marke, Modell und Pferdestärken.


Fahrschulen im Wettbewerb


Das kleine Fahrschul-Auto hat 109 Pferdchen unter der kleinen Motorhaube. Das nächste wird noch mehr PS haben. Da ist sich Bernhard Stolz sicher. Schließlich steht auch seine Fahrschule im Wettbewerb. Der Geburtenrückgang verschärft den Konkurrenzkampf. Die Zahl der Fahrschulen stagniert seit zwei Jahren zum ersten Mal überhaupt, bestätigt Walter Weißmann vom Landesverband Bayerischer Fahrlehrer in München. 1991 gab es noch genau 2044 Fahrschulen in Bayern. Bis 2010 wuchs deren Zahl auf  2171 Fahrschul-Betriebe.

Auch die Zahl der Fahrschüler nahm in der Vergangenheit stetig zu. Bis in den letzten zwei Jahren die Zahlen zum ersten Mal in der Geschichte des Fahrlehrerverbandes leicht zurück gingen. Aber selbst wenn es heuer im Vergleich zu 2010 ganze 18 Fahrschulen weniger in Bayern gibt: der Wunsch nach einem fahrbaren Untersatz scheint ungebrochen. Energiewende, Öko-Bewegung und Spritpreis-Explosion hin oder her.


Autofahren macht auch Spaß


"Ich will selber mobil sein und nicht mehr auf meine Eltern oder älteren Geschwister angewiesen sein. Außerdem macht Autofahren doch Spaß", sagt auch Annika und steuert dahin, wo sie sich am Lenkrad noch unsicher fühlt. "Einparken ist mein Horror", sagt die Schülerin auf dem Supermarkt-Parkplatz. Hier wuseln Karossen wie auf einem Ameisenhaufen herum.

"Und was ist, wenn jetzt eine Oma hinter uns vorbeilaufen will?", fragt der Fahrlehrer. Annika überlegt. "Ich hätte vorher besser schauen sollen. Also bevor ich rückwärts losgefahren bin. Oder?", antwortet Annika halb fragend zurück. "Genau!", sagt der Fahrlehrer. Die modernen Autos seien rollende Computer. Konsequent auf Design getrimmt obendrein. Manchmal ist es schwer, zwischen den A-, B- und C-Säulen und inmitten der Assistenten, Navis, Stereo- und Freisprechanlagen den Blick für das Wesentliche frei zu haben. Die Fahrzeugentwickler haben freilich trotzdem viel zur Verkehrssicherheit beigetragen.

Bestes Beispiel: der Gurt. Nach der Einführung der Anschnallpflicht im Jahr 1976 sei die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle in Oberfranken dramatisch zurückgegangen, bestätigt das zuständige Polizeipräsidium in Bayreuth. Jüngere Innovationen wie der Airbag und das Anti-Blockier-System haben die Zahl der schweren Verkehrsunfälle weiter dezimiert. Gleichzeitig hat der Verkehr zugenommen, und die Autos sind schneller geworden. Eine gefährliche Mischung. Die Unfallstatistik für Oberfranken stagniert wohl auch deshalb seit knapp zehn Jahren auf einem relativ hohen Niveau. 101 Menschen starben im Jahr 2004 auf Oberfrankens Straßen. 2011 waren es "nur" noch 69. Zahlen für das letzte Jahr gibt es noch nicht. Und 2013?


Kerzen am Straßenrand


"Momentan passiert leider sehr viel", sagt Bernhard Stolz und zeigt auf die brennenden Kerzen am Straßenrand, als Annika über die Theodor-Heuss-Allee fährt. Hier verstarb in der Silvesternacht ein 19-Jähriger bei einem Verkehrsunfall. Acht Jugendliche wollten bequem von einer Party zur nächsten kommen. Entfernung? Keine zwei Kilometer. Kurz vor dem Ziel gerät der Golf mit den acht jungen Insassen aus bislang ungeklärten Gründen von der schnurgeraden Fahrbahn ab. Mit dramatischen Folgen.

Generell, so der Fahrlehrer, hätten Emotionen am Steuer nichts verloren. Egal ob Mann oder Frau dahinter sitzt. Wenngleich die Herren der Schöpfung immer noch etwas anfälliger für Emotionen am Lenkrad seien. "Für die Mädchen ist das Auto ein Transportmittel. Für die Jungs ein Statussymbol", sagt Fahrlehrer Bernhard Stolz. Das Alter der Fahrer sei nicht entscheidend, sagt Walter Weißmann vom Verband der Fahrlehrer. Viel wichtiger sei Fahrpraxis. Das habe auch eine aktuelle Studie über ältere Autofahrer gezeigt. Wenn Ü70-Fahrer weniger als 3000 Kilometer im Jahr zurücklegen, schnellt die Zahl der Unfälle dramatisch nach oben. Bewegen Ü70-Fahrer ihr Auto dagegen häufiger, sinkt die Zahl der Unfallbeteiligungen statistisch sogar noch.


Nur die Übung bringt's


Die Erfahrung spiele also die entscheidende Rolle. Das habe sich auch bei jüngeren Fahrern gezeigt. Stichwort: Begleitetes Fahren. "Moralpredigten helfen nichts. Aber beim begleitenden Fahren können Neulinge wirklich etwas lernen", sagt Weißmann und verweist darauf, dass 60 Prozent der Fahranfänger in Bayern sich für dieses "Praxis-Jahr" mit Begleitperson entscheiden. Dadurch, so die Bundesanstalt für Straßenwesen, konnte die Zahl der Unfälle bei Fahranfängern um rund 20 Prozent gesenkt werden.

Im Kreis Forchheim wurden im letzten Jahr 446 "normale" und 894 Führerscheine der Klasse B im Rahmen des Begleiteten Fahrens erteilt. Rund 67 Prozent haben sich also für das "Fahren ab 17" entschieden.