Der Handwerker schiebt aber hinterher, dass es beileibe nicht mit allen Ingenieuren so sei. "Wir haben auch hier sehr gute Erfahrungen. Es gibt auch Kotzbrocken bei anderen Kundengruppen."
Eine Anekdote: Nach ausgeführtem Auftrag rührte sich die Frau, von Beruf Rechtsanwältin. "Hier sind Mängel, hier und hier." Die Dame zog vor Gericht. Es kam bis zum Ortstermin mit dem Richter. Der schaute einmal hin und erkannte: alles einwandfrei. Es handelte sich um Lappalien.
Die Optik unsichtbarer Teile
Ein Schreiner aus dem Landkreis kennt so etwas ebenfalls. "Normalerweise krabbelt keiner in ein Regal rein", sagt er. Aber er habe ab und an Kunden, die genau das tun. Ihm liege es aber fern, das ganze auf eine Berufsgruppe zu reduzieren. Heikle Kunden gebe es nicht nur unter Akademikern. Da gebe es Leute, die sich auf den Boden legen, um Kratzer im hintersten Eck eines Regales zu entdecken, an Teilen, die normalerweise gar nicht zu sehen sind. Andere legen sich unter Tischplatten und kritisieren, dass dort noch Bleistiftstriche sind. Einmal habe er einen Auftrag für einen Ingenieur eines hiesigen Weltkonzerns ausgeführt. Der Kunde weigerte sich dann, die Anfahrt zu bezahlen, die der Handwerker standardmäßig abrechne. Erst als der Schreiner fragte, ob er denn, wenn er für seinen Arbeitgeber nach Asien fliegen muss, auch selbst bezahlt, hatte der Kunde ein Einsehen.
Billigregal in Schreinerqualität
Es gebe auch jene, die im Katalog des Möbelhauses ein Regal in Buche für 90 Euro sehen und dann bei ihm anfragen, ob er ihm das gleiche in Ahorn schreinern könne - zum gleichen Preis. Aufträge, bei denen er merkt: Mit dem Kunden kommt er nicht zusammen, lehne er von vornherein ab.
Auch bei Unbelehrbaren, die etwas im Fernsehen sehen oder im Internet lesen und denken, man könne tatsächlich in einer Woche ein ganzes Haus renovieren. "Die bekommen Flöhe ins Ohr gesetzt." Doch in der Realität sei vieles nicht so einfach machbar - vor allem nicht für einen Handwerker, der ja dafür haften muss.
Einzelfälle? Bei der Kreishandwerkerschaft Erlangen kennt man die Story vom Ingolstadter Fliesenleger. "Die Geschichte ist bei uns auch aufgeschlagen", sagt Wolfgang Mevenkamp, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Und ja: "Das, was der Kollege schildert, gibt es auch hier." Fast jeder Handwerker habe schon solche Erfahrungen gemacht. Aber Mevenkamp betont: "Man kann nicht alle über einen Kamm scheren." Erbsenzähler gebe es nicht nur unter Ingenieuren. Doch eine gewisse Häufung schwieriger Kundschaft sei unter Akademikern zu attestieren. Als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft und der mittelfränkischen Fliesenlegerinnung bekomme er dementsprechendes Feedback von den Handwerkern.
Er selbst sei Jurist. Aha! Also auch einer dieses Klientels? Mevenkamp lacht. Nein, nein. Er wisse, dass auch Juristen ein gewisses Klischee anhaftet. "Aber ich würde mir nie anmaßen, die Kompetenz eines Fliesenlegermeisters zu haben."
Appell an die Kundschaft
Der Schreiner aus dem Landkreis findet es gut, dass der Kollege in Ingolstadt sich getraut hat, das einmal anzusprechen. "Dass Handwerker individuelle Produkte anfertigen, die nicht hinten aus der Industriemaschine herausfallen mit einer Toleranz von zwei Hundersteln."
Er wirbt für ein versöhnliches Miteinander. Der Handwerker brauche den Kunden und andersherum. "Handwerker sind keine niedrigere Klasse, weil sie vielleicht eine niedrigere Ausbildung haben."
Toleranz ist eben nicht nur ein Begriff für die Abweichung beim Fugenmaß, sondern auch ein gesellschaftlicher Wert.