Siegfried Balleis: Der Ruhestand kam plötzlich
Autor: Christian Bauriedel
Erlangen, Donnerstag, 17. März 2016
Auch ohne Amt ist Siegfried Balleis ein politischer Kopf Erlangens geblieben. Ein Gespräch über Erfolge und den größten Fehler seiner politischen Laufbahn.
Im Jahr 2014 hat Siegfried Balleis nach 18 Jahren den Posten als Oberbürgermeister in der Stichwahl an Florian Janik (SPD) verloren. Der 62-jährige CSU-Politiker hat jetzt Zeit für seine kleinen Enkel und für persönliche Interessen. Aus der Stadtpolitik will er sich heraushalten. Im Gespräch merkt man aber, dass er nach wie vor brennt für "seine Stadt".
Herr Balleis, wie schwer fällt es, politisch nicht mehr mitzuentscheiden?
Siegfried Balleis: Ich erinnere mich da an einen tollen Satz von Josef Deimer, ehemaliger Vorsitzender des Bayerischen Städtetags: "Wenn man nichts mehr zu sagen hat, sollte man trotzdem schweigen." Den Satz finde ich fantastisch. Das heißt für mich, dass ich mich bei der Erlanger Kommunalpolitik zurückhalten möchte. Da habe ich mir selbst Zurückhaltung auferlegt. Es ist eine Frage des guten Stils, diejenigen, die jetzt die Entscheidung treffen, nicht zu kommentieren. Ich bin aber natürlich trotzdem ein politischer Mensch geblieben, der sich gerne einbringt.
Wie ist das, den Bürgermeister abzulegen und "nur noch" der Herr Balleis zu sein?
Das erste Jahr war schwierig. Wenn Sie 18 Jahre leidenschaftlich Oberbürgermeister sind, dann identifizieren Sie sich mit dieser Aufgabe so intensiv, dass Sie sich so viel freie Zeit gar nicht vorstellen können. Ich war natürlich enorm fremdbestimmt. Die Kalender waren teilweise bis zu einem Jahr im Voraus determiniert. Jetzt habe ich ein vollkommen neues Maß an Autonomie bekommen.
Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand?
Ich bin in der glücklichen Situation, mich nun auf meine persönlichen Interessensgebiete konzentrieren zu können. Das ist zum Beispiel die Energiewende. Vier Jahre lang habe ich in der CSU auf bayerischer Ebene den Arbeitskreis Energiewende geleitet. Das ist ein Thema, das ich weiterhin pflege.
Das klingt nach Arbeit anstatt nach Ruhestand.
Arbeit ist ja nicht automatisch etwas Schlechtes. Mir geht es um eine interessante Beschäftigung. In Erlangen haben wir so fantastische Wissenschaftler, die an der Spitze des Fortschritts stehen. Nehmen Sie zum Beispiel Prof. Peter Wasserscheid, der an Speicherverfahren für Wasserstoff forscht oder Firmen wie etwa Hydrogenious in Bruck, die die Energiespeicherung toll entwickelt haben. Ein anderer Bereich in dem ich mich einbringe, ist das autonome Fahren. Hier arbeite ich in einem Netzwerk der Universität zur Digitalisierung der Industrie mit. Wenn die deutschen Autobauer nicht schnell genug sind, werden Google oder Apple mit dem selbstfahrenden Auto in Zukunft den Rahm abschöpfen. Eine spannende Entwicklung.
Am Wahlabend war Ihnen die Enttäuschung anzusehen. Hatten Sie Herrn Janik unterschätzt?
Mir war klar, dass das eine sehr schwierige Wahl wird. Ich hatte sechs Gegenkandidaten, so viele wie nie zuvor. Mir war die Möglichkeit des Scheiterns durchaus bewusst. Stichwahlen haben ihre ganz eigene Dynamik. In den meisten Fällen unterliegt der Amtsinhaber. Die Wahlentscheidung ist im hohen Maße emotional bestimmt. Ich musste lernen, dass dann, wenn man lange im Amt ist, der Wunsch der Menschen nach etwas anderem da ist.
Gibt es Dinge, die Sie geschickter hätten anstellen können? Etwa die Äußerung, als Präsident an die Spitze der bayerischen Sparkassen zu wollen, aber dann doch als OB zu kandidieren?
Das war in den 18 Jahren vermutlich meine größte Fehlentscheidung. Um noch einmal zu erzählen, wie das war. Ich bin ja ins Gespräch um den Posten gebracht worden. Davon habe ich über die Deutsche Presseagentur erfahren. Ein Wirtschaftsredakteur rief an, ob das stimme. Am Neujahrstag 2010 um 16 Uhr war das. Ich habe ihm spontan geantwortet: So ein Schmarrn. Er fragte, ob das ein Dementi sei. Und dann habe ich unglücklicherweise gesagt, dass ich das jetzt so schnell nicht entscheiden möchte. Das war quasi ein Moment der Unentschlossenheit. Man fühlt sich natürlich erst einmal geschmeichelt, wenn man für so ein Amt ins Gespräch gebracht wird. Dass das aber solche Konsequenzen hat und eine der Hauptursachen dafür wird, dass die Erlanger sagen, dann wählen wir gleich einen anderen, das war mir damals natürlich nicht bewusst.
Sie sagen, Sie sind noch immer ein politischer Kopf. Wo steht Erlangen momentan?
Erlangen ist ökonomisch und wissenschaftlich in einer exzellenten Position. Es gibt kaum eine andere Großstadt in Deutschland, in der die Zahl von Arbeitsplätzen in Relation zur Einwohnerzahl so groß ist. So positiv diese Zahl auch ist. Das heißt auch, dass es viele Berufspendler gibt. 60 000 Menschen fahren täglich in die Stadt und aus ihr heraus.
Was bezeichnen Sie als den größten Erfolg ihrer Amtszeit?
Sicherlich, dass ich das Medical Valley, also den Medizinstandort Erlangen, nach vorne gebracht habe. Abgesehen von Bauprojekten wie dem Exerzierplatzgelände oder den Arcaden: Dass es uns gelungen ist, dass wir in Bayern mit weitem Abstand vor anderen Städten die kinder- und familienfreundlichste Großstadt geworden sind. Das war immer mein Ehrgeiz gewesen. Seit 2001 haben wir mit dem Rückhalt des gesamten Stadtrats eine hervorragende Infrastruktur für Kinder und Jugendliche aufgebaut. Wir waren eine der ersten Städte, die eine hundertprozentige Versorgung mit Kindergartenplätzen hatte. Alle paar Monate hat eine neue Krippengruppe eröffnet.
Das ist die Infrastruktur. Aber sind nicht auch die Mieten entscheidend? Erlangen ist hier schon auf Münchner Niveau angelangt.
Zunächst muss man sagen, dass erst ein Kitaplatz die Freiheit eröffnet zu entscheiden, ob man arbeiten geht oder freiwillig zu Hause bei den Kindern bleibt. Ja, der bezahlbare Wohnraum ist enorm wichtig. Sie werden aber kaum eine Stadt mit 100 000 Einwohnern finden, die 8000 Wohnungen in einer eigenen städtischen Wohnungsbaugesellschaft wie unserer GEWO Bau besitzt. Nahezu ein Viertel der Erlanger Bürger wohnt in einer städtischen Wohnung mit günstigen Mieten.
Florian Janik hatte die Mieten im Wahlkampf zu einem Kernthema gemacht. Kann ein OB überhaupt etwas für günstige Mieten tun?
Ehrlich gesagt, kann man das realistisch nicht versprechen. Im Prinzip geht es nur, indem man entsprechendes Angebot schafft. Je höher das Angebot ist, desto mehr drückt das die Preise. Das habe ich durch die Ausweisung von neuen Wohngebieten immer forciert, auch gegen Bedenken anderer Fraktionen. Wenn ich zurückschaue, was ich vielleicht hätte anders machen müssen: Man hätte sich vielleicht nicht so stark auf die energetische Sanierung des Wohnungsbestands der GEWO konzentrieren sollen. Man hätte möglicherweise mehr in den Neubau von Sozialwohnungen investieren sollen.
Auf dem Großparkplatz soll ein neues Wohnviertel entstehen. Nun hat sich Erlangen aber entschlossen, in die Stadt-Umland-Bahn (StUB) zu investieren. Bahn und Wohnungsbau: Kann sich die Stadt beides leisten?
Jetzt sind wir stark in der aktuellen Politik drin, zu der ich ja eigentlich nichts sagen will. Ohne mich im Detail zu äußern: Wie beim Privatmann, kann auch eine Stadt jeden Euro nur einmal ausgeben. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Die CSU in Erlangen ist in einer schwierigen Situation. Sie hat nach 18 Jahren das OB-Amt verloren. Jetzt die Niederlage beim StUB-Bürgerentscheid, nachdem man ein zerrissenes Bild abgegeben hatte. Joachim Herrmann war für die StUB, andere in Ihrer Partei dagegen. Was muss die CSU in Erlangen tun, um wieder auf die Beine zu kommen?
Es ist zwar nicht wünschenswert, dass Minister und Fraktion und Partei unterschiedlicher Auffassung sind. Aber verschiedene Meinungen muss eine Partei aushalten. Sagen wir es mal so: Es sollte sich nicht wiederholen.
Muss die CSU einen Shootingstar ähnlich wie Florian Janik für die nächste Wahl aufbauen?
Intern mische ich mich natürlich ein. Aber in der Öffentlichkeit will ich mich mit solchen Ratschlägen lieber zurückhalten. Bis 2019, wenn es um die Nominierungen für die Kommunalwahl geht, läuft noch viel Wasser die Regnitz runter.
Das Gespräch führte Christian Bauriedel.