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Erlangen: Debatte um russische Partnerstadt entbrannt - FDP fordert "alle Beziehungen" zu prüfen


Autor: Ralf Welz

Erlangen, Mittwoch, 02. März 2022

Erlangens FDP-Stadträte haben "angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine" beantragt, dass die Stadt Erlangen alle Beziehungen zu ihrer russischen Partnerstadt auf den Prüfstand stellt. Droht der fast 40 Jahre alten Städtepartnerschaft nun das Aus?
Die Erlanger FDP-Stadträte Lars Kittel und Holger Schulze haben "angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine" beantragt, dass die Stadt Erlangen alle Beziehungen zu ihrer russischen Partnerstadt Wladimir auf den Prüfstand stellt.


Nach dem russischen Militärangriff auf die Ukraine haben die Erlanger FDP-Stadträte die Stadt aufgefordert, das Verhältnis zu Erlangens russischen Partnerstadt Wladimir zu überdenken. "Angesichts der dramatischen Lage in der Ukraine beantragen wir, dass die Stadt Erlangen alle Beziehungen zu Wladimir auf den Prüfstand stellt", erklären die Stadträte der Freien Demokraten, Lars Kittel und Holger Schulze, in ihrem Antrag zum Stadtrat.

Insbesondere die Planungen zum 40-jährigen Partnerschaftsjubiläum sollten demnach "zunächst nicht weiterverfolgt" werden - "es sei denn, dass die Stadt Wladimir sich ausdrücklich von den Handlungen Putins und des russischen Militärs distanziert. Dies sei nach Einschätzung der beiden Stadträte allerdings "kaum zu erwarten". Die Großstadt Wladimir, Hauptstadt der Oblast Wladimir, liegt rund 190 Kilometer östlich von Moskau. inFranken.de hat bei Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) und der Stadt Erlangen nachgehakt, wie die Stadtspitze zu einer etwaigen Einstellung der Städtepartnerschaft mit Wladimir steht. 

Erlangen: Städtepartnerschaft mit Wladimir beenden? Stadt bezieht nach FDP-Antrag Stellung 

Das 40-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Erlangen und Wladimir steht vor der Tür. "Das Jubiläum ist 2023 und soll nach bisheriger Planung in Wladimir stattfinden", erklärt Christofer Zwanzig vom Bürgermeister- und Presseamt der Stadt Erlangen, inFranken.de. Wladimir habe erst kürzlich die Einladung nach Erlangen erneuert. "Die konkrete Planung hatte aufgrund der Pandemiesituation noch nicht begonnen."

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Oberbürgermeister Florian Janik stand laut Angaben der Stadt seit Ausbruch der Kämpfe nicht mehr in Kontakt mit seinem Bürgermeisterkollegen in Wladimir. Der letzte Kontakt auf politischer Ebene habe am 17. Februar (also noch vor Beginn des Kriegsangriffs auf die Ukraine am 24. Februar) in Wladimir mit einem hochrangigen Politiker stattgefunden. "Bei der halbstündigen Unterredung Mitte Februar versicherten sich beide ihres gegenseitigen Vertrauens und äußerten die feste Absicht, auf lokaler und regionaler Ebene alles zu tun, um die guten Verbindungen nicht abreißen zu lassen", berichtet Erlangens Pressesprecher. "In dem Gespräch wurden jedoch auch die sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf das Geschehen deutlich."

Die Reaktionen aus Erlangens russischer Partnerstadt zur aktuellen Kriegssituation fallen indes äußerst unterschiedlich aus. "Den russischen Medien ist es untersagt, von 'Krieg' zu sprechen, es handelt sich um einen 'Sondereinsatz'", berichtet Zwanzig inFranken.de. Öffentliche Kritik am Vorgehen in der Ukraine werde als Vaterlandsverrat gewertet, der mit bis zu 20 Jahren Gefängnis geahndet werde. "Wie in vielen russischen Städten kam es auch in Wladimir zu ersten Demonstrationen gegen den Krieg, leider auch zu einigen vorübergehenden Festnahmen", schildert der Erlanger Stadtsprecher die angespannte Lage vor Ort. 

"Es wäre ein Fehler, das russische Volk mit Wladimir Putin gleichzusetzen"

Genau wie die FDP-Stadträte Lars Kittel und Holger Schulze hält auch Zwanzig eine Distanzierung vonseiten der Stadt Wladimir zu Putins Militäreinsatz für extrem unwahrscheinlich. "Offizielle Stellungnahmen gegen den Krieg wird es daher nicht geben", erklärt der Pressesprecher mit Blick auf die zu erwartenden Konsequenzen für derartigen Äußerungen. Anders sehe es dagegen aufseiten der russischen Bevölkerung aus. "Freilich erreichen uns viele Nachrichten aus der Zivilgesellschaft - aus Kunst und Wissenschaft - und Privatleuten, die sagen, dies sei nicht ihr Krieg." Das Wladimirer Lokalfernsehen habe erst vergangenen Montag (28. Februar 2022) eine Sendung über das Erlangen-Haus geendet - mit dem Tenor "Wir bleiben Freunde, gleich was kommt".

In Hinblick auf eine womögliche Aussetzung der langjährigen Städtepartnerschaft gibt Erlangens Pressesprecher zu bedenken: "Letztlich obliegt es dem Stadtrat, über den Antrag der FDP zu entscheiden", so Zwanzig. "Aus Sicht des Oberbürgermeisters und des zuständigen Fachbereichs im Bürgermeister- und Presseamt wäre es jedoch fatal, die Verbindungen jetzt abreißen zu lassen." 

Was 1983 noch in Zeiten des Kalten Krieges im Geist der Ostpolitik und der Aussöhnung mit den Völkern der UdSSR als erste bayerisch-sowjetische Städtepartnerschaft begonnen habe, sei in fast 40 Jahren unter Einbeziehung aller denkbaren Bereiche der Zivilgesellschaft längst zu einem herausragenden Beispiel der Volksdiplomatie geworden, betont Zwanzig. "Auf diesem Fundament gilt es auch in diesen Zeiten aufzubauen. Dialog auf allen Ebenen ist gerade jetzt unverzichtbar. Es wäre ein Fehler, das russische Volk mit Wladimir Putin gleichzusetzen."

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