Die Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt besteht seit einem halben Jahrhundert. In dieser Zeit hat man viel erreicht, wurde bei einem Festakt deutlich.
Als Heinrich (Heiner) Müller mit betroffenen Eltern vor 50 Jahren in
Herzogenaurach die Lebenshilfe gründete, waren geistige Behinderungen weitgehend ein Tabuthema. Das hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten geändert, weil viele Missverständnisse im Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ausgeräumt sind. Der Schlüssel zum emanzipatorischen Menschenbild war der pädagogische Ansatz der Förderung und Bildung: der Mensch als Individuum, den es bei seinen vorhandenen Fähigkeiten abzuholen gilt.
Mit fetzigen Rhythmen eröffnete die Trommelgruppe der Offenen Behindertenarbeit die Jubiläumsfeier im Herzogenauracher Vereinshaus, und Oliver Brüggen, Pressesprecher der Firma Adidas, führte gekonnt sowie humorvoll durch dem Vormittag und moderierte auch die Interviews und Gespräche auf der Bühne. Dass Menschen mit Behinderung in Deutschland bis nach dem Krieg ein Tabu darstellten, verdeutlichte Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich Wustmann bei seiner Begrüßung ebenso wie der Festredner Bernhard Conrads, erster Vizepräsident der Spezial Olympics und ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Lebenshilfe-Bundesvereinigung.
"Einen perfekten Menschen gibt es nicht", schickte Conrads seiner Festrede voraus und blickte in die Vergangenheit, als Menschen mit Behinderung versteckt wurden oder im Dritten Reich einfach verschwanden. "Wenn man die Entsorgung von türkischen Mitbürgern propagiert, sind auch wir in Gefahr", erklärte Conrads. Deswegen brauche die Lebenshilfe einen Schutzwall der Solidarität.
"Lebenshilfe für das behinderte Kind" war die Namensgebung bei ihrer Gründung durch Tom Mutters nach dem Zweiten Weltkrieg, weil es nach der Nazizeit keine erwachsenen behinderten Menschen mehr gab. Sie wurden als "lebensunwert" oder als "Ballastexistenzen" getötet.
Unter dem Titel "Menschenbild im Wandel" betrachtete Conrads sowohl aktuelle Entwicklungen in der Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen wie auch historische und gesellschaftliche Hintergründe und zeichnete so ein lebendiges Bild, welches zeigt, wie sehr immer wieder Aufmerksamkeit und Diskussionen wichtig sind, um die Entwicklung eines emanzipatorischen und wertschätzenden Menschenbilds fortzuführen.
Im Landkreis Erlangen-Höchstadt heißt es: "Miteinander - Mittendrin". Die Inklusion werde auch dadurch gelebt, dass Menschen ohne Behinderung in den Werkstätten der Lebenshilfe zusammenarbeiten und das Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam die Kindertagesstätte besuchen. Menschen mit Behinderung seien bei der Lebenshilfe wertvolle Mitarbeiter und arbeiten in der Fabrikation an komplizierten Maschinen. Es fährt kaum ein Auto in Deutschland, in dem nicht irgendein Teil durch die Hände eines behinderten Menschen gegangen ist.
Eines der wichtigsten Ziele sei die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Dies bedeute, eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als auch im Arbeitsleben zu ermöglichen. Damit sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten können, müssen noch weitere vorhandene gesellschaftliche Barrieren erkannt und abgebaut werden.
"Menschen mit Behinderungen stehen heute mitten im Leben, etwa als kreativ Schaffende: Sie stellen ihre Kunstwerke in Museen und Galerien aus und sie bereichern Musik, Theater und Fernsehsendungen", erklärte Conrads. Den Beweis dafür trat Tobias Schüpferling mit seiner Trompete an, bei seinen Stücken war seine Leidenschaft für Musik spür- und hörbar. Nicht minder bekannt wie Tobias Schüpferling sind "Die wilden Hühner" der Aurach-Werkstatt, die bei jeder Veranstaltung der Lebenshilfe die mit ihren Tanzvorführungen für Begeisterung sorgen.
Bei einem Gespräch auf der Bühne äußerten Eltern unter anderem den Wunsch, dass der Ausbau der sozialen Teilhabe von Menschen mit Behinderung noch mehr gefördert werden muss.
Das Forum "Politik und Lebenshilfe im Gespräch" mit Christa Naaß (SPD), stellvertretende Bezirkstagspräsidentin, Landrat Alexander Tritthart (CSU), Bürgermeister German Hacker (SPD), Monika Haslberger, stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung, und Gerhard John, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes des Lebenshilfe-Landesverbands, beleuchtete die politische Seite. "Die Lebenshilfe hat in unserem Landkreis schon immer Tradition und ist wichtig für die gesamte Region", erklärte der Landrat. Bürgermeister Hacker sprach von einem extrem breiten Spektrum der Lebenshilfe sowie einer lückenlosen Einrichtung von der Frühförderung bis zur Seniorenpflege.
Dass die Lebenshilfe einen hohen Stellenwert einnimmt, davon berichtete Monika Haslberger. Insbesondere über das Bundesteilhabegesetz berichtete Gerhard John, so werde das Gesetz jetzt in Landesrecht umgesetzt und auch die Eingliederungshilfe sei auf einen guten Weg. "Wir kämpfen und wir werden es mit Herzblut tun", rief John am Ende unter Beifall. Der stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrates Claudia Bach, die mit ihrem Mann Thomas Bach (IOC-Präsident) am Festakt teilnahm, oblag es am Ende, ein Resümee zur Lebenshilfe zu ziehen und allen Redner sowie Sponsoren und Unterstützern zu danken.
Die Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt mit Sitz in Herzogenaurach ist ein gemeinnütziger Verein und bietet seit 50 Jahren individuelle Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung in allen Lebenslagen an. Darüber hinaus ist sie Träger von Kindertageseinrichtungen und von Diensten für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen. Ebenso gibt es Angebote für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. Über 400 engagierte Mitarbeiter betreuen heute rund 1000 behinderte Menschen.