Wo Pflastersteine Barrieren sind

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Aus persönlichen Gründen legt Johannes Thaben jetzt das Amt des Behindertenbeauftragten der Stadt Coburg nieder. Foto: Simone Bastian
Aus persönlichen Gründen legt Johannes Thaben jetzt das Amt des Behindertenbeauftragten der Stadt Coburg nieder. Foto: Simone Bastian

Johannes Thaben hat sein Amt als Behindertenbeauftragter niedergelegt, das er seit 2002 inne hatte. Alles habe er nicht erreichen können, sagt der 71-Jährige. Aber vielleicht hatte er sich einfach zu viel vorgenommen.

Johannes Thaben hat Spuren hinterlassen. Zum Beispiel am Theaterplatz: Rillen im Pflaster markieren dort die Laufwege, die Einstiegsstellen in die Busse. Oder im Josiasgarten: Die wenigsten Passanten werden wahrnehmen, dass in der Mitte der Wege ein anderes Pflaster verlegt wurde als am Rand. Die Pflastersteine in der Mitte sind gesägt, die am Rand gebrochen. Die gesägten haben eine glatte Oberfläche - darauf läuft es sich nicht nur angenehmer, da lassen sich auch Rollstühle leichter bewegen.

Seit dem 7. März 2001 ist Johannes Thaben der ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt Coburg gewesen. "Einmal im Monat Sprechstunde abhalten und dann der Stadtverwaltung mitteilen, was anliegt", so hatte die Tätigkeitsbeschreibung damals ausgesehen. Damals war Thaben 55 und, bedingt durch seine Herzerkrankung, gerade als Leitender Oberarzt der Kinderstation im Klinikum in den Ruhestand gegangen. Schon da hatte er mit Behinderungen zu tun: Thaben behandelte krebskranke Kinder aus der gesamten Region. Aus diesem Engagement erwuchs die Stiftung krebskranker Kinder, zu deren Vorstand Thaben lange gehörte. Seither war Thaben klar: Menschen sind nicht behindert, sie werden es. Zum Beispiel durch holpriges Pflaster.


Kein Gebäude barrierefrei

Seit 1. Mai 2002 gibt es ein Behindertengleichstellungsgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, seit 1. August 2003 eins in Bayern. Dessen Artikel 18 verlangt die Berufung von Behindertenbeauftragten - Coburg war der Zeit voraus. Aber erst seit dem 26. März 2009 ist in Deutschland der Artikel 9 der UN-Konvention in geltendes Recht überführt, der Behinderten Teilhabe am öffentlichen Leben und ein Recht auf Barrierefreiheit zugesteht. Barrierefreiheit bedeutet aber mehr als glatte Wege für Rollstuhlfahrer. "Keins der öffentlichen Gebäude in Coburg ist barrierefrei", sagt Thaben. Bei den historischen Gebäuden wie Rathaus, Stadthaus oder Ämtergebäude in der Steingasse ist das auch nur schwer oder unter hohem (Kosten-)Aufwand machbar. Im Bürglaßschlösschen wurde eine automatische Eingangstür eingebaut, aber innen geht es nur über Stufen weiter. Das Justizgebäude hat eine automatische Tür und außen eine Rampe, aber da wurde gebrochenes Pflaster verlegt. Das Marstallgebäude, wo das Vermessungsamt untergebracht ist, hat zwar nun einen eben geplättelten Zugang, aber wer mit Rollstuhl hineinwill, muss klingeln und die Tür hat kein Vordach.

Thaben könnte fortfahren mit solchen Aufzählungen: Die Tücken stecken in den Details, und für Behinderte ist vieles ein großer Aufwand. "Spontane Reisen sind für Behinderte nicht möglich", zumindest, wenn sie auf die Bahn angewiesen sind. Wenn es um die Bahn geht, kann der sonst so ruhig und besonnen wirkende Arzt sich in Rage reden: Nicht nur, dass das Versprechen nicht gehalten wurde, den Coburger Bahnhof bis 2013 behindertengerecht auszubauen, mit Fahrstühlen zu den Gleisen. Wer als Rollstuhlfahrer zum Zug kommen will, kann zwar über die Mobilitätszentrale der Bahn Hilfe beim Einsteigen bestellen, braucht aber zwei Tage Vorlauf. Nun soll Coburg ICE-Anschluss erhalten, aber nur in Tagesrandlagen. "Als Behindertenbeauftragter finde ich das unmöglich", schimpft Thaben.

In der Stadt Coburg selbst sieht es besser aus, aber einem Menschen wie Johannes Thaben nie gut genug. Wobei er selbst sagt: "Wir stehen sehr gut da in Coburg. Viele Städte haben weniger als wir." Aber mit behindertengerechten Bushaltestellen und Taststreifen an Fußgängerampeln allein ist es nicht getan. Es sind die Kleinigkeiten im Alltag, die dann doch wieder behindern oder Teilhabe erschweren. "Es gibt in der Innenstadt keine Kneipe mit behindertengerechter Toilette", sagt Thaben. Im öffentlichen Bereich sehe es etwas besser aus, da in zwei Parkhäusern WCs zur Verfügung stehen. Die Stadtbusse fahren nur bis 20 Uhr. Thaben ist froh, dass es gelang, das Anrufsammeltaxi für die Abendstunden zu installieren (und zu erhalten), da vor allem Behinderte darauf angewiesen seien.

Beim Wohnungsbau habe sich "barrierefrei" zum Qualitätsmerkmal entwickelt, berichtet er. Während er die städtische Wohnbau dafür lobt, dass sie standardmäßig auf Türschwellen verzichtet und unterfahrbare Waschbecken installiert, hilft einen Tisch weiter im Stadtcafé ein älterer Herr seiner Frau in den Rollstuhl. Die Senioren von heute wollen am Leben teilnehmen, Rollstuhl oder Rollator hin oder her. Inzwischen seien in Coburg zwölf Prozent der Einwohner schwerbehindert, und über 90 Prozent sind das durch Unfall oder Krankheit, sagt Thaben. "Barrierefreiheit ist für Schwerbehinderte unabdingbar, für bis zu 40 Prozent der Bevölkerung erforderlich und für 100 Prozent komfortabel."

Aus persönlichen Gründen hat Thaben sein Amt zum Jahresende niedergelegt, obwohl er erst im Mai 2014 für weitere sechs Jahre gewählt worden war. Sein Rückzug stellt die Stadt vor Probleme - nicht nur in personeller Hinsicht. Thabens Stellvertreter Wolfgang Doischer wird erst einmal allein tätig sein. Er hat sich bislang schwerpunktmäßig um die Senioren- und Behindertenheime gekümmert und sich mit Thaben in der Sprechstunde abgewechselt. Wer der neue Beauftragte für die Belange der Behinderten sein wird, steht noch nicht fest, sagt Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD).


Bildung, Bauen, Soziales

Was die Organisation des Amtes angeht, war Thaben im letzten Jahr nur noch bedingt zufrieden. Traditionsgemäß ist der Behindertenbeauftragte den Sozialämtern zugeordnet, aber Thaben fragt sich, ob das so sinnvoll ist. Denn ein großer Teil der Arbeit widmet sich den Schulen, "und Herr Schäuble ist schließlich auch kein Sozialfall". Auch bei Baufragen muss Thaben gehört werden.

Eine umfangreiche Tätigkeit, die von der Stadt bislang mit 50 Euro im Monat entschädigt wurde. Hinzu kamen Fahrtkostenerstattung und Unterstützung aus der Verwaltung, zum Beispiel Schreibarbeiten. "Ich mache es ehrenamtlich", betont Thaben. Doch damit ist er eine Ausnahme: Woanders sind die Behindertenbeauftragten Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die zehn oder mehr Stunden für ihre Tätigkeit aufwenden dürfen. "Mein Vorteil ist dafür, dass ich unabhängig bin", sagt Thaben. So kann er auch kritisieren, dass ein neuer Architektenwettbewerb für ein Bürgerhaus in Wüstenahorn für 100 000 Euro ausgelobt wird, "obwohl wir da schon eine Planung haben. Für Fahrstühle in den Häusern haben wir dann kein Geld."