Was ist los mit der SPD? Spurensuche an der Basis. Am Stammtisch wird Tacheles geredet.
Autor: Natalie Schalk
Rödental, Montag, 10. Dezember 2018
Die letzte Hochburg der SPD ist die Kommunalpolitik: Im Ort vertrauen viele Bürger ihren Sozialdemokraten. Doch die Basis leidet. Ein Stimmungsbild vom Stammtisch "Red Socks" in Rödental: Currywurst, Bier und starke Worte.
"In dieser Nacht", berichtet Fabian Weber ruhig, "habe ich bei uns in Einberg die ganze Straß' z'amgschrien." Es war die Nacht der Bundestagswahl 2017, bei der die SPD mit 20,5 Prozent das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren und der gescheiterte Kanzlerkandidat Martin Schulz voreilig die Große Koalition für beendet erklärt hatte. Die AfD: 12,6 Prozent. "So blöd kann Deutschland nicht sein!", schrie Weber hinaus in die Nacht. Am nächsten Tag trat er in die SPD ein.
Inzwischen ist der 32-Jährige ins zehn Kilometer entfernte Neustadt bei Coburg gezogen. Der SPD Rödental, seinem ersten Ortsverband, blieb er verbunden. Er ist zum Stammtisch gekommen, hat sich ein Bier geholt und neben Zweiten Bürgermeister Thomas Lesch gesetzt. Ein Dutzend Genossen sind bereits da. Einmal im Monat treffen sich die "Red Socks" in einem Bistro am Bahnhof. Es gibt Currywurst mit Pommes, Sülze mit Bratkartoffeln, Salat mit Putenbrust, dazu jede Menge Meinung.
Da sitzen Informatiker und Erzieherin beim Bier beisammen, Chirurg und Fleischereiverkäuferin, Rentner und Pflegekraft. Einfache Mitglieder und Stadträte diskutieren über Politik. Sie haben viel zu sagen. Aber in Berlin werden sie nicht gehört.
Klatsch und Tratsch gehören auch zur Kommunalpolitik
Am Stammtisch gibt's keinen Fraktionszwang, da hat jeder seine Ansichten und sein Lieblingsthema. Es geht um ein Neubaugebiet in der Kommune und das "exponierte Äußere" der neuen Flamme des Coburger Landtagsabgeordneten. Auf Facebook hat Tanja Volk ein Foto der beiden gefunden. Die 32-Jährige zeigt es auf ihrem Smartphone; die 84-jährigen Gisela Angermüller betrachtet es interessiert.
Wie immer war die Seniorin als erste da. Sie sagt, ihre Partei müsse für die "kleinen Leute" einstehen. Sie ist ein SPD-Urgestein. Manche am Tisch kennt sie seit Jahrzehnten. Wie lange sie Parteimitglied ist, weiß sie nicht. "Mein Mann hat mich irgendwann angemeldet." Sie lacht leise. So war das früher mit ihrem Mann. "Ich bin halt mitgetrabt. Wir haben alles gemacht: Plakate geklebt, ausgefahren, eingesammelt." Wie es jetzt läuft - da kommt sie nicht mehr mit. "Dass man die SPD gar so in den Dreck tritt! Gott sei Dank hat mein Mann das nicht mehr erlebt."
Was ist eine Volkspartei?
Bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober war die Partei nicht einmal mehr auf zehn Prozent gekommen. Ist die SPD noch eine Volkspartei? "Na logisch!", sagt Herbert Clemens, Postbeamter im Ruhestand. Noch so ein Rödentaler Ur-SPDler. Heidi Ludwig, die neben ihm auf der Bank sitzt, runzelt gleich die Stirn: "Schwierig", findet sie. "Wir haben viel erreicht, aber für die Jugend ist alles selbstverständlich geworden", sagt die 61-Jährige. "Die beschäftigen sich nicht damit, wie ihre Urlaubstage oder das Krankengeld zustande gekommen ist. Das haben sie, sie wollen das Nächste. Die Gesellschaft wird immer schnelllebiger."
Hans-Jürgen Lorke dreht nachdenklich eine leere Flasche Landbier in den Händen. "Das Soziale interessiert die Jungen nicht mehr", sagt der SPD-Vorsitzende des Ortsverbands. Die Roten Socken am Stammtisch haben nichts von ihrem Engagement. Sie sind überzeugt von der Idee der Sozialdemokratie - jeder auf seine Weise. "Klassenkampf: Die Zeiten sind vorbei", sagt Lorke. Aber es gibt viele soziale Probleme, die die Basis beschäftigen."Die SPD wird sich erholen, wenn die oben auf die Leute hören. "