Warum Reichsbürger die Nähe zu Waldorfschulen suchen
Autor: Jochen Berger
Coburg, Dienstag, 08. Februar 2022
Die Rudolf-Steiner-Schule in Coburg wurde von Reichsbürgern aus ganz Deutschland für ein illegales Treffen genutzt. Warum das kein Einzelfall war und was Esoterik damit zu tun hat.
Auch vier Tage nach dem heimlichen Treffen von 55 sogenannten Reichsbürgern aus dem gesamten Bundesgebiet in der Rudolf-Steiner-Schule in Coburg bleiben viele Fragen offen. Fragen, bei denen die Polizei nach Antworten sucht - aber auch Fragen, warum Waldorfschulen wie die in Coburg immer wieder von Reichsbürgern ins Visier genommen werden. "Unsere Schulgemeinschaft distanziert sich klar von jeder Form von Reichsbürgertum", hatte Schulleiter Hans-Joachim Döhner am Montag in einer ersten Reaktion erklärt. Und doch muss irgend jemand, der einen Schlüssel hat, den Reichsbürgern an diesem Abend die Tür geöffnet haben.
Alle Hintergründe zum illegalen Reichsbürgertreffen in Coburg
Matthias Pöhlmann kennt sich aus bei der Suche nach Berührungspunkten. Reichsbürger stützen sich nach Einschätzung des Beauftragten für Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern auf Verschwörungstheorien, wonach die Bundesrepublik gar kein souveräner Staat, sondern eine Firma oder ein besetztes Land sei. Und auch in der Esoterik gebe es grundsätzliche Vorbehalte der Politik und der Legitimation staatlichen Handelns gegenüber. Denn dort berufe man sich auf sogenanntes Überwissen, auf "höhere Erkenntnisse", die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen. Oftmals setzen offenbar Rechtsextreme ihre esoterischen Gedanken gleich mit dem pädagogischen Konzept von Waldorfschulen.
In Einzelfällen gab es tatsächlich Berührungspunkte. So wurde im Sommer 2015 der Geschäftsführer einer Waldorfschule in Rendsburg entlassen, weil er Kontakte zu Reichsbürgern hatte.
Der Bund der Freien Waldorfschulen reagierte: In einer Broschüre warnte er vor der möglichen Vereinnahmung der Schulen durch Reichsbürger. Zudem veröffentlichte er die sogenannte Stuttgarter Erklärung. In der heißt es unter anderem: "Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass das Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt Formulierungen enthält, die von einer rassistisch diskriminierenden Haltung der damaligen Zeit mitgeprägt sind. Die Waldorfschulen distanzieren sich von diesen Äußerungen ausdrücklich." Darauf hat sich nach dem Vorfall in Coburg auch die hiesige Rudolf-Steiner-Schule berufen.
Warum suchen Rechte aber dennoch immer wieder die Nähe? Es könnte die Suche nach "gemeinsamen Feindbildern" durch die Reichsbürger sein, sagt Matthias Pöhlmann. In der Entwicklung der rechten Szene und der Annäherung an esoterische Themen sieht der Sektenbeauftragte durchaus eine Dynamik in den letzten Jahren - verstärkt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Man suche gezielt Verbündete im Kampf gegen die vermeintliche Diktatur, die errichtet werden solle. Das zeige sich bundesweit bei den "Montagsspaziergängen".
Die gefährliche Folge: Man gehöre aus Sicht der Rechten irgendwie zusammen, weil man sich im gemeinsamen Kampf gegen diese vermeintliche neue Weltordnung wähnt. Das können im Fall von Waldorfschulen auch Einzelpersonen sein, was aber am Ende auf die gesamte Einrichtung zurückfällt.