Von einem Jungen, der wie vom Himmel fiel

2 Min
Liebevoll und ganz ernsthaft kümmert sich der syrische Junge um die Winterfütterung der Vögel im Schloss Falkenegg. Foto: Christiane Lehmann
Liebevoll und ganz ernsthaft kümmert sich der syrische Junge um die Winterfütterung der Vögel im Schloss Falkenegg.  Foto: Christiane Lehmann

Vor vier Wochen stand plötzlich ein kleiner syrischer Junge vor der Kindergartentür von Schloss Falkenegg...

Ein Kind. Ein Kind mit zwei Armen und zwei Beinen. Wie vom Himmel gefallen. Das sagt Pfarrer Peter Trapp über Mohammed (Name von der Redaktion geändert). Der sechsjährige Junge aus Damaskus kam vor etwa vier Wochen in den Kindergarten Schloss Falkenegg. Zusammen mit seinem kleinen Bruder und seiner Mutter ist er nach Wochen der Flucht in Coburg gelandet. Sein Vater ist noch in Syrien.
Was aus dem Mund des Pfarrers so einfach klingt, ist alles andere. Für die Grundschule in Neuses war Mohammed nicht geeignet. Da für ihn jedoch Schulpflicht besteht, entschied das Jugendamt, ihn zunächst im Kindergarten unterzubringen. "Stellen Sie sich doch mal vor, da kommt ein Kind ganz allein, wird an der Tür abgegeben, weil die Mutter zum Sprachkurs muss, sieht eine Handvoll fremder Frauen und 50 Kinder, die um ihn herumspringen. Er versteht kein Wort und kann sich auch nicht verständigen!" Für die Kindergartenleiterin Alexandra Bohl und ihr Team werden diese ersten Tage mit Mohammed unvergessen bleiben. Der Junge schrie und rannte weg. "Es sah hoffnungslos aus. Wir wussten nicht, wie wir diesen Berg überwinden können. Mittlerweile ist es besser", sind sich die Erzieherinnen einig.


Mit Büchern lernen

Während mir die Frauen die Geschichte erzählen, sitzt Mohammed auf dem Schoß von Elisabeth Fleischmann und blättert interessiert in einem Kinderlexikon. Vor allem die Bilder mit den Tieren wecken seine Aufmerksamkeit. Ich frage, ob er schon mal ein Reh gesehen hat, das er gerade auf dem Papier vor sich streichelt. Und er sagt "Ja!"
Mohammed versteht gut. "Mehr als wir glauben", sagt Elisabeth Fleischmann, die Erzieherin, die eigentlich im Ruhestand ist, sich aber seit zwei Wochen täglich zwei bis drei Stunden um den syrischen Jungen kümmert. Ehrenamtlich. Weil Mohammed besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit braucht. Da sie vor vielen Jahren schon mal im Schloss Falkenegg gearbeitet hatte, gab es Verbindungen, die reaktiviert wurden. "Wir haben uns Unterstützung geholt zum Wohle aller", erklärt Alexandra Bohl.
Die Entscheidung hat sich bewährt: Mohammed hat Vertrauen gefasst. Er sucht mittlerweile die Nähe der Frauen, spielt mit den Kindern. Am liebsten Eisenbahn. Der Junge mit den dunklen Augen und dem freundlichen Lächeln macht jeden Tag Fortschritte. Das sind deutsche Wörter, die er spricht, das sind seine neuen Freunde, die sich zu ihm gesellen. Auch bleibt Mohammed beim Essen mittlerweile sitzen. "Das war nicht immer so. Er ist sofort aufgestanden und herumgelaufen", erzählt die Gruppenleiterin Ranja Korn.
Für die anderen Kinder ist das nicht einfach. Mohammed hat eine Sonderstellung. Mohammed hält sich auch nicht immer an die Regeln und wird trotzdem nicht so gerügt wie die anderen. Wenn Mohammed ausdrücken möchte, was ihm gefällt oder nicht gefällt, zeigt er das durch Gestikulieren, Schreien oder auch mal, indem er zupackt. Zumindest war das am Anfang so. Um den Kindern zu verdeutlichen, wie Mohammed sich fühlt, hat Alexandra Bohl beim Essen mit ihnen nur Englisch gesprochen. "Die Kinder sollten spüren, wie das ist, wenn man nichts versteht." Das hat offensichtlich geholfen. Auch die Eltern der anderen Kinder haben Verständnis gezeigt. "Sicherlich gab es einige Gespräche und Nachfragen, aber Schwierigkeiten hatten wir dabei nicht." Für Alexandra Bohl ist die Sprache das eigentliche Problem. "Die Mutter versteht nichts. Wir wissen nichts über den Jungen und können ihn auch nichts fragen", schildert sie das Problem. Auch Dolmetscher gibt es kaum. Eine Frau kommt ganz sporadisch ein-, zweimal im Monat vorbei. Ehrenamtlich und völlig ausgepowert, da sie von Kindergarten zu Kindergarten fährt, wo ihre Dienste gebraucht werden. (Übrigens, Fahrtkosten bekommt sie dafür nicht erstattet!)
Mohammed hüpft Elisabeth Fleischmann vom Schoß und rennt weg. Es dauert nicht lange und er kommt mit einer Dose voller Meisenknödel zurück. Er zeigt nach draußen zum Vogelhäuschen. Die Frauen können gar nicht so schnell schauen, hat er die Balkontür geöffnet und schon steht er draußen auf der Terrasse und hängt die neuen Knödel auf. "Das ist ihm ganz wichtig. Schauen Sie nur, wie seine Augen strahlen", sagt Ranja Korn. Mohammed ist ein Kind. Ein Kind mit zwei Augen, zwei Armen und zwei Beinen, das Vögel liebt und sich mit großer Ernsthaftigkeit um sie kümmert.