Taxifahrer von Michael Schumacher geht in die Politik

Tuncer Yilmaz wurde vor 56 Jahren in der türkischen Stadt Çorum. Heute ist er aber vor allem im oberfränkischen Coburg bekannt wie der sprichwörtliche "bunte Hund". Das liegt zum einen daran, dass er als Taxifahrer schon sehr viele Coburgerinnen und Coburger chauffiert hat.
Bundesweite Berühmtheit
Zum anderen hat es aber auch mit seinem prominentesten Fahrgast aller Zeiten zu tun: 2007 war es, als Tuncer Yilmaz den Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher vom Flugplatz auf der Coburger Brandensteinsebene zu einem Hundezüchter nach Kronach fuhr, ehe sich "Schumi" bei der Rückfahrt selber hinters Lenkrad setzte - in der Hoffnung, mit einer rasanteren Fahrweise doch noch einen Anschluss-Flieger zu erreichen. Als das publik wurde und sogar noch ein juristisches Nachspiel hatte, galt Tuncer Yilmaz als "Deutschlands berühmtester Taxifahrer".
14 Jahre später fährt Tuncer Yilmaz immer noch Taxi, und erneut steht ihm ein Höhepunkt in seinem Leben bevor: Am heutigen Donnerstag wird er als neues Mitglied im Coburger Stadtrat vereidigt. Er freut sich auf die kommenden Aufgaben und will sich vor allem für Kinder und Jugendliche einsetzen, außerdem liegt ihm die Belebung der Innenstadt sehr am Herzen, wie er im Gespräch mit dem Tageblatt sagt. Diese Verbundenheit ist insofern keine große Überraschung, weil Tuncer Yilmaz bereits seit 49 Jahren in Coburg lebt. "Meine Eltern sind damals als Gastarbeiter nach Coburg gekommen", erzählt er.
Klar, die Bundesrepublik suchte damals händeringend Arbeitskräfte und schloss deshalb mit mehreren Ländern Anwerbe-Abkommen, unter anderem auch mit der Türkei. Das Kuriose an der Geschichte von Tuncer Yilmaz' Eltern ist: Damals gab es im gut 250000 Einwohner zählenden Çorum noch weitere Familien, die ausgerechnet im kleinen Coburg landeten. Und, besser noch: Aus diesen Familien entstammen gleich zwei künftige Stadtratskollegen von Tuncer Yilmaz (siehe dazu "Hintergrund" am Endes des Textes).
So sehr Tuncer Yilmaz längst zum Coburger geworden ist ("Ich habe ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft"), so gerne ist er noch immer regelmäßig zu Besuch in seiner Geburtsstadt. Çorum hat nicht nur historische Bauten zu bieten, sondern auch zwei Besonderheiten. Zum einen gilt Çorum als "Mittelpunkt der Erde" - Geografen haben das herausgefunden, als sie sich auf die Suche nach den geometrischen Schwerpunkt aller Landflächen der Erde gemacht haben. Außerdem ist Çorum berühmt für eine Spezialität namens Leblebi. Dabei handelt es sich um geröstete Kichererbsen, die gerne als Snack zwischendurch geknabbert werden.
Der Glaube und der Mensch
Apropos Spezialität: Gleich am ersten Tag, als die Familie Yilmaz 1972 nach Coburg kam, ging es auf den Marktplatz. Tuncers Vater war der Meinung, dass eine Bratwurst gegessen werden müsse. Im Islam mag Schweinefleisch für streng Gläubige zwar ein Tabu sein. Anders im Hause Yilmaz. "Mein Vater sagte: Ist zwar Schwein, macht aber nix!" Noch heute verspeist Tuncer Yilmaz gerne und regelmäßig die Coburger Spezialität, und wenn er in diesem Zusammenhang auf die Regeln des Islam angesprochen wird, dann erklärt er: "Glaube ist mir nicht wichtig - Mensch sein ist mir wichtiger."
Hintergrund
Tuncer Yilmaz ist bei der Coburger Stadtratswahl im März 2020 ein echtes Kunststück gelungen: Er kandidierte bei der Wählergemeinschaft Pro Coburg (WPC) auf Listenplatz 19 und wurde bis auf Platz 6 nach vorne gewählt. Den Einzug in den Stadtrat verpasste er denkbar knapp: WPC holte fünf Sitze, und auf diesem fünften Platz landete Matthias Schmidt-Curio mit 2495; Yilmaz auf Platz 6 hatte 32 Stimmen weniger (2463). Doch jetzt profitiert Yilmaz davon, dass seine WPC-Kollegin Jessica Heß ihr Mandat niederlegt. So rutscht er in den Stadtrat nach.
Alper Hasirci, der 2020 auf der Liste der Jungen Coburger kandidierte, war während des Wahlkampfs sehr offensiv mit seinen familiären Wurzeln - die in Çorum liegen - umgegangen: "Ich will Coburgs erster deutsch-türkischer Stadtrat werden!" Das klappte auch. Allerdings hat er sich von den Jungen Coburgern getrennt und ist heute fraktionsloser Stadtrat. Seine Eltern kamen 1970 nach Coburg und haben seit 50 Jahren ein Feinkostgeschäft auf dem Wochenmarkt. Alper Hasirci, der 1992 in Coburg geboren wurde, studierte Jura und ist heute Diplom-Jurist. "Ich bin jährlich in Çorum, um meine Familie zu besuchen und verknüpfe es gerne mit einem Urlaub am Mittelmeer", erzählt Alper Hasirci im Gespräch mit dem Tageblatt. Dass er - wie seine gesamte Familie - die doppelte Staatsbürgerschaft, will er jetzt gar nicht mehr so hoch hängen: "Nicht Staatsbürgerschaft ist wichtig, sondern die kulturelle Vielfalt, die man in sich trägt." Und sein Vater würde immer zu ihm sagen: "Sohn, umso mehr Sprachen Du beherrscht, umso mehr Nationalitäten trägst Du in Dir."
Can Aydin gehört seit 2020 der SPD-Stadtratsfraktion an. Im Gespräch mit dem Tageblatt berichtet der 31-Jährige, dass er noch viele Verwandte in Çorum, der Heimat seiner Familie, hat. Der letzte Besuch dort datiert allerdings aus der Zeit vor der Corona-Pandemie. Er
selber ist in Coburg geboren und aufgewachsen und hat ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Als Stadtrat fungiert er unter anderem als Patientenvertreter am Klinikum.