Beinahe hätte der Wasserschaden am Landestheater mit seinen fatalen Nachwirken die Premiere von Franz Lehárs Erfolgs-Operette verhindert. Doch nun erlebte das Werk doch noch seine Premiere am Landestheater - mit gut einem Monat Verspätung.
Arme Hanna Glawari. Alle wollen nur ihr Geld, seit die reiche Witwe als heiß begehrte Ware auf dem Markt der Heiratswilligen feilgeboten wird. Alle reden von Liebe - und alle wollen doch nur ihr Geld.
Alle? Fast alle. Der eine aber, der sie tatsächlich liebt, Danilo, bringt die Worte, auf die Hanna so sehnsüchtig wartet, einfach nicht über die Lippen. Denn damals, als er reich und sie arm war, durfte er als adeliger Spross sie nicht heiraten. Und nun, da sich die finanziellen Vorzeichen ins Gegenteil verkehrt haben, möchte er um keinen Preis der Welt in Verdacht geraten, nur ihr Geld im Sinn zu haben. "Lippen schweigen, 's flüstern Geigen", singt dazu wortlos beredt Franz Lehárs Musik.
Tanz am Rand des Abgrunds Die Musik ist die heimliche Hauptdarstellerin in Lehárs Welterfolg. Sie macht aus dem scheinbar banalen Libretto mitsamt seinem unvermeidlichen Happyend eine Geschichte, die sich auch heute noch spannend erzählen lässt. Gastregisseur Francois de Carpentries vertraut denn auch in seiner Inszenierung am Landestheater Coburg vor allem auf die Macht von Lehárs Musik. Deshalb verzichtet er bewusst darauf, "Die lustige Witwe" vordergründig zu aktualisieren. Er begnügt sich damit, die Handlung der 1905 uraufgeführten Operette in die 20er Jahre zu verlegen.
Die Millionen der Hanna Glawari Eine leuchtende Laufschrift im ersten Akt mit turbulent durcheinander gewirbelten Börsenkursen - mehr braucht er gar nicht, um das Szenario der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise anzudeuten. Operette als Tanz am Abgrund des Ruins - das funktioniert als dramaturgische Grundkonstellation gar nicht so schlecht. Vor diesem Hintergrund wird die Fixierung auf die Millionen der reichen Witwe Glawari, die fast das gesamte Personal dieser Operette umtreibt, gut nachvollziehbar.
Glanz auf Pump im fiktiven Operettenstaat Pontevedro Zum Tanz am Rande des Abgrunds gibt es eine passende Ausstattung - Glanz auf Pump im fiktiven Operettenstaat Pontevedro, den Andreas Becker mit seinem kühl-eleganten bis mondän angehauchten Bühnenbild ebenso liefert wie Karine van Hercke mit viel festlichem Frack-Schwarz und reichlich funkelnden Roben. Und bei Bedarf setzen Bühnenbild und Kostüme auch präzis ironisierende Akzente. Die teure, wenn auch hoch verschuldete Heimat Pontevedro, die in Lehárs Meisterwerk immer wieder beschworen wird, taugt nur noch als Zitat - als farbenfroh in Szene gesetzte Folklore, die im Museum wie in einem lebenden Diorama gezeigt wird.
Paraderolle für Falko Hönisch Die ironischen Akzente unterstreicht auch die einfallsreiche Choreografie von Sebastien Riou. Große Sorgfalt zeigt die Regie von Francois de Carpentries bei der präzisen Durchgestaltung der ausgedehnten Dialogpassagen. Sonderapplaus verdient sich Stephan Ignaz als pontevedrinischer Kanzlist vor allem mit seinem fulminanten Solo vor dem dritten Akt.
Souverän am Dirigentenpult: Roland Fister Jederzeit versierter Sachwalter am Dirigentenpult ist Kapellmeister Roland Fister. Er lässt den manchmal leise melancholisch tönenden Walzer-Charme von Lehárs Partitur mit dem engagiert und konzentriert musizierenden Philharmonischen Orchester an manchen Stellen ganz wunderbar zart aufblühen, entfaltet im Kontrast dazu aber auch den rhythmischen Elan genau dosiert.
In der Titelrolle: Sofia Kallio Mit einer leichten Indisposition lässt sich Sofia Kallio vor Premierenbeginn durch Intendant Bodo Busse entschuldigen. Dennoch überzeugt sie in der Titelpartie als reiche Witwe Hanna Glawari durch ihre musikalische Gestaltungskraft und ihren jederzeit stilsicheren Gesang - auch in dem berühmten Vilja-Lied, das sie mit fast schwebender Tongebung ebenso zart wie ausdrucksvoll interpretiert.
Falko Hönisch brilliert als Graf Danilo Der Part des in Hanna verliebten Grafen Danilo wird für Falko Hönisch zur Paraderolle. Hönisch beeindruckt stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen. Im gelingt es tatsächlich, den inneren Konflikt dieser Figur sicht- und hörbar werden zu lassen - hin- und hergerissen zwischen Liebe und Stolz.
Nichts ist davon zu spüren, dass Falko Hönisch, der den Part des Danilo alternierend mit Karsten Münster gestaltet, erst sehr kurzfristig die Premiere übernahm, weil Münster nach der Generalprobe arg indisponiert absagen musste.
Lehárs "Lustige Witwe" bietet mit zahlreichen kleineren und größeren Rollen viele interessante Aufgaben für Solisten wie Chorsolisten - einige alternierende Besetzungen inklusive. Dass das Coburger Ensemble gerade im Tenorfach geradezu üppig besetzt ist, zeigt diese Produktion (Joel Annmo mit warm timbriertem lyrischem Tenor als Camille de Rosillon, David Zimmer als Raoul de St. Brioche mit jugendlich-dramatischem Potenzial). Mit wohl dosierter Koketterie und schlankem Koloratursopran: Anna Gütter als Valencienne.
Bemerkenswert spielfreudig auch in vielen lebendig und prägnant gestalteten kleinen Solorollen: der Chor des Landestheaters, von Lorenzo Da Rio gewohnt sorgfältig einstudiert.
Freundlicher Beifall Der Probenprozess dieser Coburger Neuinszenierung hatte massiv zu kämpfen mit den Auswirkungen des Wasserschadens am Landestheater. Weil die ursprünglich für 7. Dezember geplante Premiere schließlich um mehr als einen Monat verschoben werden musste, wurde die fast fertige Produktion für einige Wochen gleichsam eingefroren, bevor die Endproben dann doch noch über die wieder funktionsfähige Bühne gehen konnten.
Ein wenig ist diese besondere Situation durchaus zu spüren - das letzte Prickeln, die richtige Champagnerlaune will sich am (verspäteten) Premierenabend mitten in der Woche nicht in jeder Szene sofort einstellen.
Elegantes Bühnenbild, opulente Kostüme, effektvolle choreografische Akzente und geschickte arrangierte Ensembleszenen - diese Coburger "Witwe" bietet dem Zuschauerauge reichlich Nahrung.
Zugleich aber beweist diese Produktion, vom Premierenpublikum im Landestheater mit ungetrübt freundlichem Beifall aufgenommen, dass die Gattung Operette in einer sorgfältigen Inszenierung auch ohne gewaltsame Aktualisierung heute noch lebendige Wirkung entfalten kann.
Das Coburger Team für "Die lustige Witwe" Termine Franz Lehár "Die lus tige Witwe" - 11. Januar, 19.30 Uhr, 2. März, 15 Uhr, 4., 13. März, 19.30 Uhr, 23. März, 15 Uhr, 6. April, 19.30 Uhr, Landestheater Coburg
Darsteller Baron Mirko Zeta: Michael Lion
Valencienne: Anna Gütter / Julia Klein
Graf Danilo Danilowitsch: Falko Hönisch / Karsten Münster
Hanna Glawari: Betsy Horne / Sofia Kallio / Gabriela Künzler
Camille de Rossilon: Joel Annmo / David Zimmer
Raoul de St. Brioche: Karsten Münster / David Zimmer
Vicomte Cascada: Benjamin Werth
Bogdanowitsch: Sascha Mai
Sylviane: Gabriele Bauer-Rosenthal
Kromow: Martin Trepl
Olga: Joanna Stark
Pritschitsch: Sergiy Zinchenko
Praškowia: Patricia Lerner
Njegus: Stephan Ignaz
Chor des Landestheaters, Ballett Coburg, Philharmonisches Orchester, Dir.: Roland Fister
Inszenierung: François De Carpentries; Bühnenbild: Andreas Becker; Kostüme: Karine van Hercke; Choreografie: Sébastian Riou; Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio