Partnerschaft wurde immer enger

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Am 3. Oktober 1990, dem heutigen Tag der Deutschen Einheit, gab es anlässlich des Partnerschaftsvertrages einige feierliche Handlungen zwischen dem Eisfelder Bürgermeister Gerd Braun (links) und seinem Ahorner Amtskollegen und Freund Wolfgang Dultz.
Am 3. Oktober 1990, dem heutigen Tag der Deutschen Einheit, gab es anlässlich des Partnerschaftsvertrages einige feierliche Handlungen zwischen dem Eisfelder Bürgermeister Gerd Braun (links) und seinem Ahorner Amtskollegen und Freund Wolfgang Dultz.
Gerd Braun aus dem Osten und Wolfgang Dultz aus dem Westen wurden enge Freunde. Fotos: privat
Gerd Braun aus dem Osten und Wolfgang Dultz aus dem Westen wurden enge Freunde.  Fotos: privat
 
 

Auch wenn mittlerweile drei Jahrzehnte vergangen sind, kann sich Gerd Braun noch bis ins Detail an die aufregenden Tage um den 9. November 1989 erinnern. Es wurde auch die Geschichte einer innigen Freundschaft.

In der Grenzstadt Eisfeld brodelte es, und Tausende von Fahrzeugen standen in den Straßen in den Tagen um den 9. November 1989. Wenn Gerd Braun die Zeit vor drei Jahrzehnten Revue passieren lässt, kann er gar nicht aufhören zu erzählen - es gibt so viele Geschichten, Erlebnisse, Episoden und Glücksmomente, mit denen glatt ein Buch zu füllen wäre. Gerd Braun sagt: "Das vergisst man nie, und dabei gewesen zu sein, nenne ich einen Glücksfall der Geschichte."

Am 17. Oktober 1988 wurde Gerd Braun Bürgermeister der Stadt Eisfeld. Klar, er zuckt mit den Schultern, habe es in tiefster DDR-Zeit wohl keinen Bürgermeister in einer Grenzstadt gegeben, der nicht Parteimitglied war. Ein bequemer Zeitgenosse aber war Gerd Braun sicher nicht. Er war und ist einer, der kein Blatt vors Maul nimmt, der pragmatisch an die Sache rangeht, aber auch die Ärmel hochzukrempeln weiß und manchmal hemdsärmelig Probleme zu lösen versteht. Ohne viel Geschnacke.

Erste Fußspur in Coburg

Dankbar ist er noch heute, dass diese Revolution friedlich verlaufen ist. Dabei, erinnert er sich, habe es schon Augenblicke gegeben, wo es bei der ersten großen Versammlung im Eisfelder Volkshaus am 30. Oktober 1989 mächtig gebrodelt hatte und eine Eskalation nicht auszuschließen war. Die Kirche, sagt er, habe viel zu diesem friedlichen Verlauf beigetragen.

Am 9. November wurden dann die Grenzen geöffnet. In Eisfeld, meint Braun, habe man das an diesem Tag noch nicht richtig realisiert und dem Frieden aus der Schabowski-Rede nicht getraut. Erst, als am 10. November morgens um 7 Uhr der Schornsteinfegermeister Hanner im Rathaus an des Bürgermeisters Tisch stand und erzählte, er komme gerade aus Coburg, habe den Fuß kurz auf den Marktplatz gestellt und sei wieder zurückgefahren, weil schließlich die Arbeit begann, kam der Stein richtig ins Rollen. Noch war es allerdings ruhig geblieben, bis gegen 17.30 Uhr das Telefon klingelte und ein Hauptmann der Grenztruppen durchstellte, das Rathaus zu öffnen, um Visa auszustellen. Braun, der schon zu Hause war, kehrte postwendend zum Rathaus zurück, wo bereits Hunderte Eisfelder nach einem Visum anstanden, das von der Polizei ausgestellt wurde. "Ich schloss das Rathaus auf, und es wurden immer mehr Leute, nur von der Polizei war nichts zu sehen", erzählt Gerd Braun.

Eine Nacht im Rathaus

Als dann gegen 19.15 Uhr endlich die Polizei ankam, oblag Braun die Aufgabe, die Visa zu siegeln. 15 DDR-Mark hatte das Visum gekostet - Geld, das im Tresor landete, ohne dass jemand irgendeine Quittung ausstellte. Im Rathaus wurde die Nacht zum Tag gemacht. Braun erinnert sich noch an ein junges Pärchen, das mit dem Motorrad aus Rostock gekommen war, beim Tanken von den offenen Grenzen erfuhr und in Eisfeld nach Visa anstand. Nachts holte Braun dann in der Bäckerei des Vaters Brötchen, zu Hause Wurstbüchsen, und Kaffee wurde unaufhörlich gekocht.

Schon in den Nachtstunden und bis in die nächsten Tage hinein füllten sich die Straßen rund um Eisfeld in Richtung Coburg mit Hunderten Trabis, Wartburgs, Ladas. Die Schlangen standen zum Teil bis hinter Brattendorf.

Gerd Braun machte die Nacht durch, zog sich am Samstag nach dem Mittag nur kurz zu Hause um, und weiter ging's bis Sonntagabend. Um die 20 000 Leute, schätzt er, seien in diesen Tagen zunächst mit Visa, dann mit Pässen ausgestattet worden. Braun selbst hatte für sich und die Familie am Samstag Visa und Pässe geholt. Und die Pässe hat er noch heute, wie auch sein Parteibuch, das er im Februar 1990 hinlegte, sich zugleich schwor, nie wieder in eine Partei einzutreten. Später sollte er die Freien Wähler mit aus der Taufe heben.

Lachs und Obadzda

Die stürmischen Tage des Novembers 1989. "Es war auf der einen Seite ein wunderbares Gefühl. So etwas gibt es nur einmal im Leben. Aber auf der anderen Seite hatte ich schon ein bisschen Angst, dass sich gerade mal alle in den Westen absetzten und nicht wieder kommen." Die meisten kamen wieder.

Am 19. November fuhr Gerd Braun mit seiner Familie zum ersten Mal nach Coburg, zu einer ehemaligen Schulkameradin des Vaters. "Mein Gott, wir wurden mit Lachs und Obadzda bewirtet und kannten weder das eine noch das andere."

Weil in Coburg die Begrüßungsgeldausgabestellen natürlich überlaufen waren, hatte damals der Coburger Bekannte vorgeschlagen, nach Ahorn ins Rathaus zu fahren. "Ich hatte ein paar Stadtwimpel dabei", erzählt Braun, "mich aber nicht als Bürgermeister geoutet. Als der dortige Hauptamtsleiter Martin Kollmann das aber spitz kriegte, führte er mich gleich gastfreundlich durchs Rathaus. Besonders imponiert hatte mir neben der Freundlichkeit auch die kleine Ratsstube im Keller." Vom ersten Westgeld wurde im Aldi in Creidlitz eingekauft - Gemüse, Obst, Süßigkeiten, ein ganzer Einkaufswagen für 47,46 D-Mark.

Ein paar Tage später kam dann in Eisfeld im Rathaus ein Brief vom Ahorner Bürgermeister Wolfgang Dultz an - mit einer Einladung nach Ahorn. Gerd Braun, Hans Hartwig und Hansi Popp machten sich mit einem alten B1000 auf den Weg. "Früh um 9 Uhr fuhren wir los, in der Überzeugung, den 11 Uhr-Termin natürlich zu schaffen. Gegen 13 Uhr trudelten wir in Ahorn ein." Die Verspätung der Gäste aus dem Osten wurde mit Freude und Freundlichkeit überspielt. "Schon die ersten Kontakte waren sehr herzlich und interessiert." Als sich am 24. Dezember um Mitternacht auch die Grenzen in die andere Richtung öffneten, also von West nach Ost, waren es schon die Ahorner, die zu den ersten Gästen zählten und vom Begrüßungskomitee in Eisfeld mit Bratwürsten und Bier bewirtet wurden.

Und als Gerd Braun dann bei der ersten Kommunalwahl nach der Wende im Mai 1990 wieder ins Amt kam, wurde die Partnerschaft der beiden Kommunen ganz eng.

Kartuschen unterm Ahorn

Wenn Gerd Braun von seinem ehemaligen Bürgermeisterkollegen und Freund Wolfgang Dultz redet, werden die Augen feucht. In diesem Jahr wäre Wolfgang 80 Jahre alt geworden. "Ich habe ihm viel zu verdanken", sagt Braun. "Wir waren zwar ein ungleiches Paar, der eine eher perfektionistisch, der andere vielleicht ein bisschen zu leger, aber wir haben uns menschlich verstanden und wurden schnell Freunde."

Vor allem Verwaltungshilfe leisteten die Ahorner, legten gar manches Mal ein Veto ein, um den Eisfeldern zu ersparen, über den Tisch gezogen zu werden. "Für uns war doch der neue Verwaltungsaufbau ein Buch mit sieben Siegeln. Die Ahorner haben uns immer geholfen, uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden, ob beim Straßen- und Kanalausbau oder bei den Beitragszahlungen." Braun erinnert sich an viele Ratssitzungen, die er in Ahorn besucht hat. "Da wurde auch gestritten, aber hinterher bei einem Bierchen in der Ratsstube konnte man sich immer in die Augen sehen. Nach einer doch etwas feuchtfröhlichen Nacht habe ich auch mal im Rathaus übernachtet", verrät er mit einem Augenzwinkern. Und die Eisfelder lernten schnell die Schleichwege von Rathaus zu Rathaus kennen. Am 3. Oktober 1990 wurde die Freundschaftsurkunde zwischen Ahorn und Eisfeld feierlich unterzeichnet. Braun deutet in eine Richtung und sagt: "Hier gleich im Park am Schloss haben wir gemeinsam einen Ahornbaum gepflanzt. Unter dem Baum liegt eine Kartusche mit Zeitdokumenten. Der Baum, davon kann sich jeder überzeugen, gedeiht prächtig, wie die Partnerschaft es über all die Jahre auch getan hat."

In beiden Kommunen agieren bis zum heutigen Tag Freundschaftskomitees, die alljährlich die gegenseitigen Treffen vorbereiten. Gegenseitige Einladungen werden gern wahrgenommen. Und auch wenn Gerd Braun schon lange kein Bürgermeister mehr ist, lässt er sich Höhepunkte im gemeindlichen Leben von Ahorn nicht entgehen. Viele Freundschaften, damals geknüpft, halten noch immer und setzen sich in die nächste Generation fort. Über die Autobahn A 73 ist es heute ein Klacks, von Eisfeld nach Ahorn und umgekehrt zu fahren.

Wofür Wolfgang Dultz und Gerd Braun vor drei Jahrzehnten den Grundstein legten, das haben die nachgekommenen Bürgermeister gern und mit viel Engagement fortgesetzt. Heute sind es Sven Gregor und Martin Finzel, die der Partnerschaft noch immer Leben und Inhalt geben - und diese im Rahmen der Initiative Rodachtal längst auf ein neues Niveau gehoben haben.

Gerd Braun findet es "schade, dass viele junge Leute dieses Gefühl nicht nachvollziehen können", und er meint, dass dieses Stück deutscher Geschichte es doch weitaus mehr Wert sei, durch die Doku-Sender zu flimmern als die Zeiten des Nationalsozialismus. Seine Erlebnisse und Geschichten erzählt Gerd Braun gern und demnächst auch wieder Neunt- und Zehntklässlern am Grenzturmmuseum. "Das vergisst man nie, und das Glück, es erlebt zu haben."