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Macht Corona die Reichsbürger stärker?


Autor: Oliver Schmidt

Coburg, Dienstag, 22. Februar 2022

Reichsbürger sind beim illegalen Treffen Anfang Februar nicht zum ersten Mal in Coburg in Erscheinung getreten. Die Zahl ihrer Anhänger wächst offenbar wieder.
Anti-Corona-Demo - immer mehr Reichsbürger oder Querdenker schließen sich solchen Zügen an.


Reichsbürger aus ganz Deutschland wollten sich in Coburg treffen, eine mutmaßliche Anhängerin lebt hier, ist zudem bewaffnet (unsere Redaktion berichtete). Das ist nicht das erste Mal, dass die sogenannten Reichsbürger, die unter anderem das Bestehen der Bundesrepublik Deutschland leugnen, in Coburg in Erscheinung getreten sind. Und ihre Bewegung scheint in den vergangenen drei Jahren Zulauf zu erfahren. Eine Spurensuche.

Wer sind sie? Und wie viele? Wer gehört dazu und wer liebäugelt vielleicht nur mit einigen der Aussagen, die in der Szene die Runde machen? Diese Fragen rund um die sogenannten Reichsbürger zu beantworten, ist aus verschiedenen Gründen nicht leicht. Dass es aber in und um Coburg Menschen gibt, von denen die Existenz der Bundesrepublik als eigenständiger Staat nicht anerkannt wird, ist kein neues Phänomen. In den 2010er Jahren hielt eine Gruppe die Justiz auf Trab, die für sich in Anspruch nahm, dem "Freistaat Freie Stadt Danzig" anzugehören. Seit dieser Zeit ist die sogenannte Reichsbürgerbewegung stärker in Erscheinung getreten. Entstanden war die Ideologie in den 1980er Jahren.

Verdeckter als früher

Aber 30 Jahre später gingen die Anhänger ganz offen mit ihrer Überzeugung hausieren - viel offener als jetzt. "Diese Menschen sind damals nicht so verdeckt vorgegangen wie heute die Reichsbürger", erinnert sich Gerhard Amend, der damals als Vorsitzender Richter am Landgericht Coburg mit dem einen oder anderen "Danziger" zu tun hatte. Gerhard Amend erzählt: "Wenn sie zum Beispiel in eine Polizeikontrolle kamen, haben sie ganz ungeniert einen Führerschein vorgezeigt, der vom sogenannten Freistaat Danzig ausgestellt worden war." Ohnehin lag ein Schwerpunkt dieser 2008 gegründeten Gruppe auf Urkundenfälschung. Möglich, dass manch Einer zunächst auch nur deshalb Kontakt zu dieser kruden Szene bekam, weil er ein verhängtes Fahrverbot umgehen und sich Ersatz für eine einkassierte Fahrerlaubnis beschaffen wollte.

Der sogenannte "Freistaat Danzig" zählte bisweilen rund 200 Mitglieder und ab 2009 befand sich die Zentrale zunächst in Grub am Forst, später in Coburg. Als Rädelsführer galt damals nicht zuletzt ein Mann aus Ebern, der sich selbst als "Senatspräsident des Freistaats Danzig" bezeichnete.

Ein erster Prozess am Landgericht Coburg, der 2014 wegen des Vorwurfs des Betrugs in mehr als hundert Fällen sowie wegen Urkundenfälschung anberaumt war, platzte. In einem Fax teilte der Angeklagte damals dem Vorsitzenden Richter Gerhard Amend mit: "...erlaube ich mir, Ihr Begehren, vor Gericht zu erscheinen, abzulehnen". 2017 kam es dann aber doch zum Prozess, der mit einer Geldstrafe für den damals 63-Jährigen endete.

Und dann gibt es doch noch eine Parallele zum heutigen Fall der Reichsbürgerin aus Coburg: Der besagte "Senatspräsident" war damals nämlich - ebenso wie jetzt Kerstin P. - im Besitz von Waffen. "Die Waffen wurden ihm dann auf Anordnung abgenommen", erzählt Amend, dem aber auch noch dieser Hinweis wichtig ist: "Weil die Reichsbürger eben sehr viel verdeckter agieren als damals die ,Danziger‘, ist die Arbeit für die Verfolgungsbehörden heute viel schwieriger."

Denn die Abgrenzung der einzelnen Personen ist nicht einfach. Organisierte Strukturen gebe es nicht flächendeckend. 4130 Menschen rechnet der bayerische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht zur Szene der Reichsbürger. In Oberfranken werden insgesamt 417 von ihnen verzeichnet. Zum Stichtag 30. Juni 2021 waren aus der Szene 5 Menschen im Besitz von Waffen, gegen drei von ihnen lief das Verfahren zum Widerruf der Erlaubnis. Laut Verfassungsschutzbericht ist die Szene im Verhältnis zur Bevölkerungszahl besonders in Oberfranken, Mittelfranken und Oberbayern überproportional stark vertreten. Zwar war ihre Gesamtzahl nach dem Jahr 2019 etwas zurückgegangen, jetzt aber wieder auf das Niveau von vor diesem Zeitraum gestiegen.

Zulauf durch Corona: Warum?

"Diese Entwicklung dürfte vor allem durch die Diskussionen über die staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie begünstigt worden sein", heißt es im Verfassungsschutzbericht. Im heterogenen Protestgeschehen befänden sich vereinzelt immer wieder Reichsbürger, teilt der Verfassungsschutz auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Versatzstücke der Ideologie der "Reichsbürgerbewegung" spielten auch eine Rolle bei der Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen: "In der Szene gängige Verschwörungstheorien beziehen sich unter anderem auf die schon seit vielen Jahren von vielen Szeneangehörigen diagnostizierte apokalyptische Endzeit. In Teilen der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter wird mit einem Bürgerkrieg in naher Zukunft gerechnet. Die Corona-Krise wird als der Beginn eines bewusst gesteuerten Umbruchs des politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Systems bewertet." Grundsätzlich erscheine das Protestmilieu in Teilen eher offen gegenüber der staatsablehnenden Haltung der Reichsbürger.