Die Flüchtlinge als einen Teil unserer Heimat anerkennen und die Lehren aus der Geschichte ziehen. Das wünscht sich der Historiker Johannes Haslauer, Leiter des Coburger Staatsarchivs.
Uwe liest e-Paper in St. Petersburg. Schon ist Coburg nicht mehr so weit weg. Raoul schaut ständig in sein Handy: Wie ist die Lage zu Hause? Bombenalarm? Verletzte? Tote? Namika skypt mit ihrer Schwester in Damaskus. Sie vermisst ihre Familie. Und der Rest der Welt schickt Urlaubsbilder über Facebook an alle daheimgebliebenen "Freunde".
Heimatgefühle, ganz unterschiedlicher Art. Hat die Globalisierung auch unseren Horizont erweitert, unser Herz hat sie fokussiert. Wir suchen Halt in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten und greifen nach einer Tageszeitung, einem Handy, einem Tablet.
Wer sich darüber aufregt, dass die Flüchtlinge und Asylbewerber, die hierher kommen, ein teures Smartphone bei sich tragen, weiß nichts von den Sorgen, die sich Raoul und Namika um ihre Angehörigen daheim machen.
Im Gespräch mit dem Historiker Johannes Haslauer, Leiter des Staatsarchivs Coburg spüren wir dem Heimatgefühl nach und fragen nach dem Zusammenhang von Medien und Heimat.
Nicht nur durch wachsende Auflagen bei Landliebe- und Landlust-Zeitungen wird deutlich, dass den Menschen eine neue Sehnsucht nach Heimat innewohnt. Auch die Dirndl-Invasion auf fränkischen Volksfesten packt Haslauer mit in den Kulturbeutel der Neuzeit. Und selbst liest er immer noch täglich den Münchner Stadtteil der Süddeutschen Zeitung. "Aus alter Verbundenheit", wie er sagt.
Der Münchner lebt seit gut zwei Jahren in Coburg. Die beiden Coburger Tageszeitungen liegen nicht nur von Amts wegen jeden Tag auf seinem Schreibtisch. "In der heutigen Zeit, in der die Menschen in Erregungswellen auf Themen reagieren, sich von Ereignis zu Ereignis in Facebook und Co. hochschaukeln, gehen die Zwischentöne verloren", sagt der Historiker, dem genau jene Zwischentöne für ein gesundes Heimatgefühl wichtig sind. Die Zeitung bietet die ihm, wie er sagt.
Auf die Zwischentöne achten
Heimat habe damit zu tun, sich in sein Umfeld einzufühlen, sich damit zu identifizieren, sich zurechtzufinden, um zufrieden leben zu können. Über die Zeitung hat Johannes Haslauer auch die alternative Szene entdeckt: die Bands Boxgalopp und Kellerkommando in Bamberg oder Radio Influenza in Coburg. Das weckt bei ihm Heimatgefühle. Denn Heimat sei so etwas wie ein Weltgefühl, aber mit einem Zentrum, in dem das Herz schlägt. Sich vorurteilsfrei öffnen und Interesse an anderen Kulturen zeigen, gehört für den 35-Jährigen dazu.
Handy ist Heimat
In einem kulturellen Dialog mit den Flüchtlingen sieht Haslauer eine Möglichkeit, den Menschen wieder so etwas wie ein neues Heimatgefühl zu geben. "Wir müssen die Neuankömmlinge als Teil unserer Heimat begreifen. Wenn man sich kennenlernt, verschwindet auch das Gefühl von Fremdheit auf beiden Seiten", sagt der Historiker und verweist auf unsere Vorfahren, die immer mit neuen Herausforderungen und Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur konfrontiert waren.
Wichtig sei es, sich aktiv einzubringen, statt zu kritisieren und die Nase zu rümpfen. Wer Heimat mitgestaltet, bekommt eine ganz andere Bindung dazu.
Menschen, die ihre Heimat unfreiwillig aus Not verlassen haben - wie viele Vertriebene im Zweiten Weltkrieg auch - wissen um die Sehnsüchte und das Heimweh der Flüchtlinge.
Haslauer kann gut verstehen, dass Menschen auf der Flucht ihr Handy mitnehmen. "Das würde jeder von uns genauso machen." Die Smartphones sind ihre Verbindung nach Hause - sozusagen ihr altes Netzwerk. "Helfen wir, neue Netzwerke zu knüpfen."
Natürlich gebe es Menschen, die ihre Heimat durch die Neuankömmlinge bedroht sehen. Doch Haslauer fordert da zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff.
Die braune Vergangenheit Coburgs und ein offener Umgang damit gehöre dazu. Es gehe darum, daraus zu lernen und es besser zu machen. "Die Heimat hat immer auch Schattenseiten. Die dürften weder verdrängt werden, noch braucht man in einen Prozess der Schuldbezichtigung zu verfallen."
Humanität ist oberste Priorität
"Humanität ist oberste Priorität. Daran muss sich Heimat messen lassen", sagt Johannes Haslauer. Die vielen Hilfsangebote und ehrenamtlichen Projekte, die die Coburger für die Neuankömmlinge auf die Beine gestellt haben, nimmt Haslauer als Bereicherung der Heimat wahr.
Heimatverlust dagegen empfindet der passionierte Denkmalschützer an ganz anderer Stelle: "Zerstören wir nicht unwiederbringlich Heimat, wenn wir historische gewachsene Bauernhöfe einfach abreißen, wie es dieser Tage mit einem alten Hof in Lautertal passiert ist?".