Füttert das Volk nicht mit Leichen!

2 Min
Danton (Nils Liebscher) auf dem Schafott, vor dem öffentlichen Ankläger (Thomas Straus, links)und Robespierre (Thorsten Köhler) Foto: Andrea Kremper
Danton (Nils Liebscher) auf dem Schafott, vor dem öffentlichen Ankläger (Thomas Straus, links)und Robespierre (Thorsten Köhler)  Foto: Andrea Kremper
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Sehr packend präsentiert das Landestheater Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod".

"Wo hört das auf?", fragen die vor der Hinrichtung stehenden Freunde Dantons. Die Ikone der Französischen Revolution hatte nicht glauben können, dass man sich selbst an seiner "Heiligkeit" vergreifen würde. Aber ohne unverrückbare Prinzipien, welche die Würde des Individuums in den Mittelpunkt stellen und nicht ein großes Ganzes, eine absolut gesetzte Heilsidee, gibt es kein Halten für eine Gesellschaft. Die Revolution frisst auch ihre eigenen Kinder, wie es Georg Büchner in seinem bis heute erstaunlichen ersten Stück, "Dantons Tod", in einen Satz gebracht hat.

Dann brüllen sie: "Wir sind das Volk". Und schlagen mal dieser, mal jener Fraktion die Köpfe ab. Der Blutstrom der Französischen Revolution war ungeheuer. Es war aber lange nicht der letzte von Tyrannei, Willkür und entfesselter Bösartigkeit des menschlichen Wesens gespeiste Blutstrom. Wie ist das heute? Im Nahen Osten? Sonst wo in der Welt? Bei uns?

Der Schauspielchef des Landestheaters Coburg, Matthias Straub, hat sich an Georg Büchners in seiner sprachlichen und inhaltlichen Dimension gewaltiges Drama gewagt. Und er hat mit seinem großen, engagierten Ensemble das Geschichtsdrama ohne vordergründige Aktualisierung zu einer ungemein packenden, heutigen Verhandlung unserer gesellschaftlichen (Über-)Lebensprinzipien werden lassen.

Das Landestheater bietet mit dieser Produktion, die keineswegs trockene Thesenproklamation wurde, ein lebendiges, erschütterndes Stück aktuellen politischen Theaters. Wenn wir am Schluss das Fallbeil in scharfem Ton zischen hören und einen nach dem anderen der für die Freiheit Kämpfenden in den Boden stürzen sehen, schaudert uns vor der Gefahr, in der wir selbst jederzeit stehen. "Dantons Tod" in dieser klug konzentrierten Fassung, die Straub selbst auf nur gut zwei Stunden gebracht hat, ist ein Schauspiel, das man jetzt sehen muss.


Erklärt ist nicht verwirklicht

Georg Büchner hatte 40 Jahre nach der Französischen Revolution die tatsächlich damals gehaltenen Reden ausgewertet. Er lässt die grundsätzlichen politik-philosophischen Positionen in der Auseinandersetzung zwischen dem mittlerweile zur Mäßigung aufrufenden Danton und den im Geiste der "Tugend" nur noch willkürlich wütenden Jakobinern unter Führung von Robespierre und St. Just verhandeln.

Allen voran Nils Liebscher als hintergründig menschlicher, auf das tatsächliche Wesen des Lebens blickender, mitreißender Danton, Thorsten Köhler als schneidend lebensfeindlicher Robespierre mit blutigen Lippen und Benjamin Hübner als diabolischer, goebbels-hafter St. Just ringen in dieser Produktion lebendig um die Regeln der gesellschaftlichen Organisation, die auch für uns heute immer wieder zur Disposition stehen:

Wo verläuft die Abbruchkante zwischen einem mit Leidenschaft zum Wohle der Gesamtheit zu verfolgenden Ziel und der Freiheit des einzelnen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte haben wir der Französischen Revolution zu verdanken. Erklärt ist aber noch lange nicht durchgesetzt.

Ingo Paulick, Tom Wild, Niklaus Scheibli, Oliver Baesler, Stephan Mertl, Thomas Straus und Sarah Zaharanski samt einer Schar von wirkungsvoll agierenden Statisten verdanken wir, dass wir spüren, welche Auswirkungen die hehren Worte und Ziele auf das Individuum haben können. Dass Straub die einzelnen Figuren heraustreten und nüchterne geschichtliche Porträts von sich abgeben lässt, trägt zudem viel zum Verständnis der Zusammenhänge bei.

Bühnenbildner Till Kuhnert zeigt uns die Geschichte als Baustelle mit abschüssiger Plattform zwischen den Gerüsten und unter sich senkenden Arbeitseimern. Werden mit ihnen die Unmengen an Opfern, die abgeschlagenen Köpfe vom Platz des Geschehens geschafft?

Zusammen mit den historisierenden, treffend charakterisierenden Kostümen von Carola Volles, immer wieder auch unterstützt von effektvoller Musik, vermittelt diese Produktion ihren Gehalt auch über eindrucksvolle, stimmungsvolle Bilder. "Das ist eine böse Zeit", heißt es an einer Stelle. Passen wir auf, dass die Zeit für uns nicht ganz schnell wieder eine böse wird.

Die Produktion Regie: Matthias Straub, Bühne Till Kuhnert, Kostüme Carola Volles, Dramaturgie Carola von Gradulewski. Darsteller: Nils Liebscher, Ingo Paulick, Tom Wild, Niklaus Scheibli, Thorsten Köhler, Benjamin Hübner, Oliver Baesler, Stephan Mertl, Thomas Straus, Sarah Zaharanski, Andreas Lindemann

Weitere Termine 30. März, 1., 8., 13. April, 19.30 Uhr