Seit 20 Jahren unterstützt Dieter Wolf Kinder in verstrahlten Gebieten der Ukraine. Dort hat sich die Not mit dem Krieg im Osten nur noch verschlimmert.
"Letztes Jahr waren wir erstmals in einem Dorf, das heißt Ukrainka", erzählt Dieter Wolf. "Da hatten die Dorfbewohner die Straßen gesperrt, weil Spione der Russen Propaganda machten, um sie zum Überlaufen zu überreden. Wir haben dort gerade Kinder für unseren Erhohlungsaufenthalt ausgesucht und die Bewohner haben uns mit diesen Spionen verwechselt - da sind wir um unser Leben gelaufen."
Es ist nicht immer ungefährlich, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Schon gar nicht, wenn Krieg herrscht. Für den Vorsitzenden der Tschernobyl-Kinderhilfe in Neustadt ist das aber kein Hindernis. Jedes Jahr schicken er und sein Verein Hilfsgüter und machen sich sogar selbst auf den beschwerlichen Weg in ein zerrüttetes Land.
Strahlung ist noch nicht weg
"Es ist eine ganz andere Welt in der Ukraine", sagt Wolf. Neben den Kriegsschauplätzen im Osten des ehemaligen Sowjetstaats, ist vor allem das Leben der Menschen rund um Tschernobyl im Norden trostlos. Heute vor 30 Jahren geschah dort der Super-GAU im Atomreaktor. Dieser wirkt sich bis heute auf die Region rund um das Kraftwerk aus. Missbildungen, Fehlgeburten, Herzkrankheiten, Krebsleiden, zählt Wolf auf. Das trifft vor allem die Kinder.
Seit 20 Jahren versucht der Verein um Dieter Wolf schon, den Betroffenen zu helfen. Angefangen hat alles mit einer Verwechslung. Damals kamen Kindergruppen nach Sonneberg, nur verbrachten sie das Wochenende bei Gastfamilien. Der kleine Andreij war damals schwer krank und hatte noch keine Familie gefunden, als bei Dieter Wolf das Telefon klingelte.
Die Auswahl ist nicht einfach
Eigentlich habe sich ein Andreas Wolf bereit erklärt, ein Kind aufzunehmen, "aber die Frau hat halt den Dieter Wolf angerufen", erzählt er. Also nahm er Andreij für vier Wochen auf. Das sei ihm aber nicht genug gewesen. Deshalb besuchte er das Kind in seiner Heimat: "Da habe ich dann das Elend gesehen" und schließlich eine Initiativgruppe gegründet.
Der schwierigste Teil seiner Hilfe ist wohl die Arbeit vor Ort. Das Dorf Fedoriwka - 90 Kilometer westlich von Kiew und 70 Kilometer vom Reaktor entfernt - ist eines der Gebiete, in denen er gezielt helfen will. Es sei zwar kein Sperrgebiet, "aber die Strahlung ist da", sagt Wolf. Geleistet haben er und seine 125 Vereinsmitglieder dort schon einiges: Die Schulküche renoviert, für Warmwasser gesorgt, Heizungen repariert, Essgeschirr, Betten und Schulmöbel gekauft.
Dazu lädt er jedes Jahr noch 20 Kinder zwischen neun und elf nach Neustadt ein. "Wir suchen die Kinder selbst aus. Erst lassen wir uns eine Liste geben, mit Kindern, die ganz besonders bedürftig sind und dann besuchen wir alle persönlich." Natürlich stehen auf dieser Liste immer mehr Kinder, als er einladen kann. Fällt da die Auswahl nicht schwer? "Es haben sich schon Großmütter vor mich hingekniet und ins Bein gebissen, vor lauter Schmerz und Enttäuschung, dass ich ihr Kind nicht mitnehme. Das ist nicht einfach", beteuert er.
Daher gibt es klare Kriterien: Ist ein zweiter Elternteil da? Gibt es genügend Wohnraum? Hat die Familie Arbeit? Ist das Kind krank? Diese Fragen muss er sich immer aufs Neue stellen, bevor er seine Wahl trifft.
Sie lernen, den Müll aufzuräumen
Am 8. Juni kommen die Auserwählten wiedermal in Fornbach an. Auf sie wartet ein großes Programm, mit Musicals, Freizeitparks und natürlich der Fußball-EM, bei der die Ukraine auch auf die deutsche Mannschaft trifft. "Die Kinder haben es hier sehr gut. Sie nehmen wunderbare Erinnerungen, Hoffnung und Zuversicht in die Ukraine mit und sehen, dass es auch anders geht - zum Beispiel, dass man den Müll auch mal wegräumen kann. Auch an die Sauberkeit wird appelliert", sagt Wolf. Vier Wochen dürfen sie bleiben und das macht sich bemerkbar. Viele seien aufgeschlossener nach dem Aufenthalt: "Die erleben hier eine richtige Freudentherapie."
Die Freude, die der Besuch bei den Kindern auslöst wird etwas greifbarer, führt man sich die aktuelle Situation im Land vor Augen. "Fast in jeder Familie ist der Vater oder der große Bruder im Kriegsgeschehen", erzählt der Helfer. Oft werden sie schwer verletzt und "viele junge Männer fliehen, damit sie nicht eingezogen werden."
Währung wird immer schwächer
Aber auch ohne den Konflikt wäre das Leben beschwerlich. Die Schuldirektorin in Fedoriwka verdiene etwa 120 Euro im Monat und eine junge Mutter mit drei Kindern bekomme acht Euro Kindergeld. Dazu seien die Lebensmittelpreise und Mieten entsprechend hoch. Wie schlecht es der Wirtschaft geht, zeigt auch die Entwicklung der Währung. 2003 kostete ein Euro noch sechs Hrywna, 2014 schon 17 und heute über 28.
Die Armut wirkt sich auch auf die Gesundheitsversorgung aus. Von einigen Großmüttern habe Wolf schon gehört: "Wenn unser Kind krank wird, dann hat es Pech - dann muss es sterben." Vor Kritikern muss er sich dennoch verteidigen: "Mir wird oft vorgeworfen: Warum hilfst du nicht in Deutschland? Da gibt es auch Arme", sagt er. "Da haben sie recht - aber wir haben ein soziales Netz." Der Verein schickt mehrmals im Jahr Hilfslieferungen im Wert von bis zu 5500 Euro in die Ukraine. Kleidung, Lebensmittel, Hygieneartikel, Spielsachen und Schulbedarf, zählt Wolf auf: "Die haben ja noch nicht mal ein sauberes Blatt Papier in der Schule."