Misshandlungen in Coburger Kita: Wurden Kinder zum Essen gezwungen und geschlagen?
Autor: Katja Nauer
Coburg, Montag, 27. März 2017
Kehrten die Verantwortlichen die Vorfälle unter den Teppich? Bereits 2011 wollen sich Eltern an die Leiterin gewandt haben. Passiert sei aber nichts.
"Das Schlimmste war für mich, wie das von der Arbeitgeberseite abgelaufen ist", sagte eine Zeugin am Montag vor Gericht aus. Die ehemalige Kinderpflegerin erhob schwere Vorwürfe gegen ihre Vorgesetzten, die nach der Meldung von Kindesmisshandlungen durch das Kindergartenteam untätig geblieben seien.
Ein anfängliches Hilfsangebot sei von Arbeitgeberseite zurückgezogen worden. "Die ... (Vorgesetzte, Anm. der Redaktion) sagte, dass wir uns die Suppe selber eingebrockt hätten. Wir durften nicht mit den Eltern darüber sprechen." Stattdessen seien die Mitarbeiterinnen an ihre Schweigepflicht erinnert worden.
Bereits am ersten Verhandlungstag zum Prozess wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in einem Kindergarten nannte eine Zeugin eine Mitarbeiterin, die ebenfalls Vorfälle gemeldet haben soll. Der Frau sei dann jedoch ein Aufhebungsvertrag angeboten worden und sie habe die Einrichtung verlassen müssen.
Vorfälle von 2011 bis 2015
Zum Hintergrund: Seit dem 8. März müssen sich eine ehemalige Kinderpflegerin und die ehemalige Leitung einer Kindertagesstätte im Raum Coburg vor Gericht verantworten. Staatsanwältin Jana Huber wirft ihnen nicht nur die Misshandlung von neun Kindern im Alter von zwei bis vier Jahren vor, sondern auch vorsätzliche Körperverletzung. Die Taten sollen sich in den Jahren 2011 bis 2015 ereignet haben. Ein betroffenes Elternpaar tritt als Nebenkläger auf. Den Kindern sollen Schläge verabreicht oder Essen verweigert, sie sollen an den Armen gerissen oder zu Boden gestoßen worden sein. Einem Mädchen habe die angeklagte Kindergartenleiterin laut Staatsanwaltschaft so lange Obstsalat aufgezwungen, bis es sich übergeben musste.
Eine Zeugin bestätigte, dass das Verhalten der beiden Angeklagten teilweise eine Grenze überschritten habe. Die Kinder seien "grob an den Ärmchen gerupft", oder gröber in ihren Stuhl hineingesetzt worden. Ein Bub sei beim Aufstehen so ruckartig zurückgeholt worden, dass er auf den Po gefallen sei.
"Wie ein Äffchen ..."
Über ein Kind mit Entwicklungsstörungen hätten sich die beiden Angeklagten auch lustig gemacht: "Er musste wie ein Äffchen da sitzen und ,Bitte, bitte‘ machen." Manchmal sei ihm auch das Essen entzogen worden. Es habe aber auch schöne Momente gegeben, betonte die Zeugin. Die angeklagte Kinderpflegerin habe sehr viel gearbeitet und sei in manchen Situationen wohl überfordert gewesen. "Sie hat falsch gehandelt", sagte die Zeugin, "aber das ist menschlich nachvollziehbar."
Öfters auf den Kopf geschlagen?
Ein Vater, der ebenfalls als Zeuge geladen war, erzählte vom Verhalten seiner Tochter. "Sie wollte früh nicht mehr aufstehen, hat sich am Autositz festgeklammert und wollte partout nicht aussteigen." An ihrem Geburtstag habe seine Tochter einen großen Weinanfall bekommen und erzählt, dass sie von der Kinderpflegerin öfters auf den Kopf geschlagen werde. Beide Eltern hätten daraufhin das Gespräch mit der Kindergartenleitung gesucht. Diese habe sich aber vor ihre Kollegin gestellt und von "reiner Verleugnung" gesprochen, sagte der Mann. Sollten die Eltern vorhaben, das Jugendamt einzuschalten, würden auch Kindergarten und Träger rechtliche Schritte einleiten, habe man ihm mitgeteilt. "Wir haben an der Aussage unserer Tochter nicht gezweifelt", erklärte er weiter. "Diese Umstände haben uns aber davon abgehalten, Anzeige zu erstatten." Stattdessen wurde das Mädchen aus dem Kindergarten genommen.Im Gespräch mit den Eltern sei es lediglich um einen Schlag auf den Mund gegangen, erwiderte die angeklagte Kindergartenleiterin. Sie habe den Vorfall an ihre Vorgesetzte weitergemeldet.
In der Kindertagesstätte herrschte Zeugenaussagen zufolge ein Mangel an Vertrauen und Angst unter den Mitarbeitern. Dafür machten Zeugen die ehemalige Kindergartenleiterin verantwortlich, die intrigiert haben soll.
Tessmer stellte Anzeige
Den Vorfall ins Rollen gebracht hatte schließlich die Anzeige von Coburgs Oberbürgermeister Norbert Tessmer, informierte ein Kriminalhauptkommissar. Auslöser war ein Aktenvermerk über ein Gespräch von Jugendamt und Mitarbeiterinnen der Tagesstätte über die Vorfälle. Polizei und Staatsanwaltschaft stellten schließlich beim Träger und in der Einrichtung Unterlagen sicher. Die Akten aus dem Kindergarten seien allerdings dürftig gewesen und "nicht relevant", so der Ermittler. Bereits am ersten Verhandlungstag hatte Staatsanwältin Jana Huber die mangelnden Aufzeichnungen in der Kindertagesstätte moniert. Die angeklagte Kindergartenleiterin war sich jedoch sicher, dass eigentlich umfassende Dokumentationen hätten vorhanden sein müssen.
Eine Mutter, die sich erst am Ende des zweiten Prozesstages bei Richterin Melanie Krapf meldete und als weitere Zeugin anbot, berichtete, dass sich ihr Kind, das in der Tagestätte betreut wurde, in psychologischer Behandlung befinde. Außerdem will sie von einem mobbingähnlichen Vorfall berichten, den die Kindergartenleitung gegen eine Kollegin initiiert haben soll.
Der Prozess wird am 6. April (8.30 Uhr) fortgesetzt.