Ein Coburger Richter nimmt Abschied: Gerhard Amend

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Gerhard AmendFoto: Simone Bastian
Gerhard AmendFoto: Simone Bastian
Gerhard Amend (links) wurde am Freitag im Rahmen einer Richterdienstbesprechung des Landgerichtsbezirks Coburg verabschiedet. Auch Landgerichtspräsident Anton Lohneis (rechts) applaudierte. Foto: Simone Bastian
Gerhard Amend (links) wurde am Freitag im Rahmen einer Richterdienstbesprechung des Landgerichtsbezirks Coburg verabschiedet. Auch Landgerichtspräsident Anton Lohneis (rechts) applaudierte. Foto: Simone Bastian
 

Er führte die großen Prozesse der vergangenen 17 Jahre: Gerhard Amend, Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer, spricht am Montag sein letztes Urteil. Seine Kollegen nahmen am Freitag Abschied.

Man kann sich mit ihm streiten: Das bestätigen seine Kollegen, sein Vorgesetzter und Oberbürgermeister Norbert Tessmer. Doch sie sagen auch, dass es Gerhard Amend immer um die Sache ging. Denn zumindest im Justizgebäude wird sich Gerhard Amend nicht mehr oft mit den Kollegen auseinandersetzen: Am 30. November scheidet er aus dem Staatsdienst aus.

Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer und des Schwurgerichts seit 17 Jahren: Mehr kann man vermutlich nicht werden als Richter, zumindest nicht in Coburg. Formal betrachtet sitzt der Landgerichtspräsident noch eine Stufe höher, aber "niemand ist so unabhängig wie ein Richter", sagt Amend. Landgerichtspräsident habe er nicht werden wollen, "und nicht mal der kann mir reinreden".

Anton Lohneis hätte es vermutlich auch nicht gewollt. Jahrelang war er Amends Gegenüber als Leitender Oberstaatsanwalt, nun händigte er ihm am Freitag im Rahmen einer Richterdienstbesprechung im Rathaus die Verabschiedungsurkunde aus. Lohneis, der Landgerichtspräsident, erinnerte an gemeinsame Verfahren. Das gegen die Betrügerin Monika M. zum Beispiel: "Da haben wir bis zum Schluss nach Säcken mit Goldstaub in Sibirien gesucht." Immerhin 59 Verhandlungstage lang. "Und in ihrem Schlusswort hat Monika M. gesagt, der Intelligenzquotient des Staatsanwalts liege knapp über Raumtemperatur. Aber es war heiß an diesem Tag!", ergänzte Gerhard Amend am Freitagvormittag im Rathaussaal.


Menschliche Seite

Ingo Knecht-Günther, Beisitzer in Amends Kammer, rühmte nicht nur Amends Kompetenz "fachlich, prozesstechnisch, juristisch", sondern auch seine Herangehensweise: "Sie haben immer den Menschen hinter den Angeklagten gesehen." Auf Prozessbeobachter konnte das gelegentlich seltsam wirken, wenn Amend mit einem Russen über Wodka parlierte oder Angeklagten, die ohne Proviant von der Haftanstalt zur Verhandlung geschickt wurden, erst einmal einen Döner spendierte.

Dieses Menschliche sei ihm wichtig gewesen, sagt Amend: "Sonst hält man die 17 Jahre nicht aus, wird zynisch und hartherzig." Er will dahinterkommen, was Menschen dazu brachte, das zu tun, was sie taten. "Die Verbrecherpersönlichkeit gibt es nicht", verkündet er, und: "Herkunft spielt eine große Rolle."


Seine eigene Herkunft ist eher einfach. Ländlich. Geboren und aufgewachsen in Wasmuthhausen, einem Dorf in den Haßbergen, nahe der innerdeutschen Grenze, halb katholisch, halb evangelisch. Zwei Bekenntnisschulen - die wurden erst Ende der 60er Jahre aufgelöst. "Das hat mich geprägt. Mir ist das Ökumenische wichtig", sagt er. "Mein Vater war einer, der in der Dorfgemeinschaft vermittelte."


Der Vater war "Bauer und Schichtarbeiter bei Gaudlitz". Aus Gerhard Amend hätte Ähnliches werden sollen. Die Lehre "bei Kufi" (heute FTE in Ebern) war schon so gut wie sicher, als Amend die acht Jahre Volksschule beendet hatte. Ein Onkel überredete die Eltern, den Jungen weiter auf die Schule gehen zu lassen. Er besuchte das Gymnasium Albertinum in Coburg, das damals einen siebenjährigen Zug anbot. Gerhard Amend musste sich den Schulbesuch selbst organisieren. "Ich war mit 14 schon so selbstständig, dass ich niemanden mehr gebraucht hab'."


Das Los entschied

Tiermedizin oder Jura wollte er nach dem Abitur studieren. "Ich hab ne Münze geworfen." Es wurde Jura. Seinen ersten Job hatte er noch an der Uni, nach dem Examen, 1979, ging er ins bayerische Landwirtschaftsministerium. Aber auf Dauer hielt er es dort nicht aus. An die Universität wollte er auch nicht, für eine Anwaltskanzlei sei er nicht geschäftstüchtig genug, behauptet er. Also wechselte er zur Justiz, kam 1982 nach Bamberg, 1985 nach Coburg, war Amtsrichter und Staatsanwalt, arbeitete zweieinhalb Jahre lang bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (bis 1988) und 1993 etwas über ein Jahr als Aufbauhelfer in Chemnitz. Er kam zurück, zunächst als Staatsanwalt Gruppenleiter in Coburg, dann als Oberstaatsanwalt in Bamberg, um 1998 den Vorsitz in der Großen Strafkammer und im Schwurgericht des Landgerichts zu übernehmen.


Richter brauchen Mut

Entsprechend groß ist sein Netzwerk, wie er nicht ohne Stolz erzählt. Mit den befreundeten Kollegen kann er nicht nur heikle Fälle erörtern, sondern sie vermitteln auch Kontakte zu psychologisch Sachverständigen. Die brauche ein Gericht, ist Amend überzeugt. "Aber nicht, um in der Sache zu entscheiden." Dafür seien die Richter da, und "man braucht als Richter auch Mut", egal ob es um die Verhängung einer Haftstrafe geht oder um eine Entziehungskur, Psychiatrie oder Sicherheitsverwahrung. Oder um Freispruch.

Denn die Entscheidung solle nicht nur den Ansprüchen nach Sühne gerecht werden, sondern auch denen der Gesellschaft auf Sicherheit - und der des Angeklagten, sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu können. "Es gibt viele, die durch eine Strafe mal wach werden" und ihr Leben ändern. "Die Integration von Straftätern hat mit der Urteilsverkündung zu beginnen."


"Es gibt viele, die nach dem Urteil sagten, dass sie sich fair behandelt fühlten", berichtete Ingo Knecht-Günther. Amend könne freilich auch seinen Unmut zum Ausdruck bringen, "die Lautstärke auf einem für Hörgeschädigte passenden Niveau."


Bedenke die Folgen

"Man muss sich überall die Frage stellen: Was bewirkt mein Handeln?" Das sei seine Maxime, sagt Amend. Wie lang schon, weiß er nicht mehr. "Schon während des Studiums - und als Schiedsrichter." Im Fußball hat er gepfiffen, war drei Jahre Linienrichter neben Rainer Koch, dem Vizepräsidenten des Deutschen Fußballbunds.


Auch in der Politik halte er sich an seinen Leitspruch, versichert Amend. Seit 1990 gehört er dem Coburger Stadtrat an, erst als Mitglied der CSU, seit 2007 als "Christlich-sozialer Bürger". Damals spaltete sich die CSU-Fraktion im Stadtrat, Auslöser war die Debatte ums "neue Innenstadtkonzept" für den Angerbereich, für das sich vor allem der Industrielle Michael Stoschek (Brose) einsetzte. Es ging damals auch um Konfrontation im Stadtrat, eine Art "Opposition" gegen den damaligen Oberbürgermeister Norbert Kastner (SPD).

Vorbei, das alles. Auch bald die Zeiten, wo Gerhard Amend jeden Morgen im Straßencafé nahe dem Ketschentor zu finden war, zusammen mit seinem Fraktionskollegen Christian Müller, ebenfalls Jurist und als Anwalt tätig. "Zweimal die Woche werde ich schon noch da sein", verspricht Amend. Vermutlich auch am Montag, 30. November, vor seinem letzten Urteil. Am Nachmittag gibt er seine Schlüssel ab.