Die etwas andere Coburger Wohngemeinschaft

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Gemütliche Kaffeerunde in der Gemeinschaftswohnung: Sozialpädagogin Johanna Thomack (dritte von links) ist Ansprechpartnerin und Moderatorin, falls es ein Problem zu besprechen gibt. Fotos: Christiane Lehmann
Gemütliche Kaffeerunde in der Gemeinschaftswohnung: Sozialpädagogin Johanna Thomack (dritte von links) ist Ansprechpartnerin und Moderatorin, falls es ein Problem zu besprechen gibt. Fotos: Christiane Lehmann
 
 
 

Wie es sich anfühlt, in einer generationenübergreifenden Wohngemeinschaft zu leben. Die Bewohner haben ihre Entscheidung nie bereut.

Für Gisela Schlechtweg war es keine einfache Entscheidung: Ihr eigenes Haus und den großen Garten zu verkaufen und dafür in eine 86 Quadratmeter große Wohnung in der Pettenkofer Straße zu ziehen, fiel der damals 75-Jährigen nicht leicht. Noch immer vermisst sie ihren Garten und genießt jede Stunde, die sie auf ihrem Balkon verbringen kann - eine kleine blühende Oase.

Doch ihr Mann Wilhelm überzeugte sie vor zweieinhalb Jahren, weil ihm klar war, dass die Arbeit daheim für die beiden nicht mehr zu schaffen war und das generationenübergreifende Wohnprojekt doch eine tolle Alternative sei. "Letzte Woche sagte sie zum ersten Mal: Ich glaube, wie haben es richtig gemacht", erzählt der 81-Jährige freudestrahlend in der Kaffeerunde, die sich zwei Mal im Monat in der Gemeinschaftswohnung trifft.

Am Tisch sitzen die Bewohner des Hauses und diskutieren, wie sie demnächst ihre gemeinsame Kaffeekasse plündern wollen. Es wird gelacht und gewitzelt, kleine Alltagsgeschichten erzählt und ein bisschen auch über die Wehwehchen geklagt. Nicht alle der 20 Bewohner sind gekommen - die Jüngeren müssen eben arbeiten und eine Nachbarin ist im Krankenhaus. Ingeburg Rauh und Gisela Schlechtweg haben sich schon erkundigt, wie es ihr geht und hoffen, dass sie bald wieder kommt.

Lange Warteliste

Sozialpädagogin Johanna Thomack, die die Wohngemeinschaft regelmäßig als Moderatorin und "Kümmerin" betreut, sitzt ganz entspannt dabei. Gleich erwartet sie eine neue Interessentin, die sich eine Wohnung anschauen möchte. Die Chance, eine der 14 Wohnungen tatsächlich mieten zu können, ist derzeit allerdings gering. Es gibt bereits eine Warteliste mit zwölf möglichen Anwärtern.

Wer einziehen darf, bestimmt die Gemeinschaft - vorausgesetzt, es wird eine Wohnung frei. Um sich ein Bild darüber machen zu können, ob der neue Nachbar denn überhaupt "passen" würde, sind die geselligen Nachmittag für Jedermann geöffnet. "Man lernt sich am besten bei den Treffen kennen", sagt Ursula Schmitt, die im Februar einziehen durfte. Eine, die so gern einziehen möchte, ist Adelheid Nix. Sie kommt regelmäßig zu den gemeinsamen Treffen und gehört schon irgendwie dazu. Doch im Moment ist eben keine Wohnung frei.

Barbara Moritz (87) war eine der ersten, die eingezogen ist. "Mein Mann ist ganz plötzlich gestorben und ich fühlte mich verloren", erzählt sie. Alles in ihrer Wohnung erinnerte an ihren Mann. Da nahm sie allen Mut zusammen und meldete sich bei Johanna Thomack für das Modellprojekt an. Ihre große Schrankwand konnte sie mitnehmen und die Bilder und Bücher, die ihr am Herzen lagen. Inmitten ihrer Nachbarn fühlt sie sich gut aufgehoben - immerhin hat Manfred Büchner sie vorhin auch gleich angerufen, ob sie denn die Kaffeerunde vergessen habe.

Gemeinsame Kindheit

Der 79-Jährige ist seit einem Jahr verwitwet. Er zog 2011 zusammen mit seiner Frau ein, da sie im Rollstuhl saß und eine behindertengerechte Wohnung frei war. 50 Jahre lebten die Büchners in Creidlitz, aber "wir haben uns hier sofort richtig wohl gefühlt". Zwei Rosenstöcke hat die Wohngemeinschaft zur Erinnerung an seine Frau im Garten gepflanzt. Dass er jetzt zusammen mit Wilhelm Schlechtweg in einem Haus wohnt, lässt die Männer schmunzeln. Denn aufgewachsen sind beide in der Spitalgasse. Und eine gemeinsame Fahrradtour führte sie als Jugendliche an den Tegernsee. Viele Jahre hatten sie sich dann aus den Augen verloren.

Ingeburg Rauh, die mittlerweile seit dreieinhalb Jahren in der Pettenkofer Straße wohnt, gibt zu, dass sie sich schon erst etwas eingewöhnen musste. Doch mittlerweile möchte sie die Gemeinschaft nicht mehr missen. "Wenn es einem mal nicht so gut geht, ist immer jemand da. Ob es um Hilfe bei den Augentropfen geht oder einfach mal um einen Teller Suppe, der die Seele wärmt, man klingelt an jeder Tür gern", sagt sie offen.

"Wir nehmen Rücksicht aufeinander. Streit gibt es nicht", unterstreicht Ursula Schmitt, die seit vielen Jahren ehrenamtlich im Treff am Bürglassschlösschen tätig ist und dafür sorgt, dass jeder am Tisch frischen Kaffee hat. So etwas wie Ruhestörung kennen die "Pettenkofer" nicht. Lediglich die kleine Zoe (7) ist manchmal zu hören, wenn sie mit ihrem Ball spielt, aber das für alle eine große Freude. Die junge Familie im obersten Stock gehört ganz selbstverständlich dazu.

Alternative Lebensformen sind gefragt

Möglichkeiten Der demografische Wandel, sich ändernde Familienstrukturen und die unterschiedlichen individuellen Lebenslagen älterer Menschen erfordern neue gesellschaftliche Antworten und insbesondere vielfältige alternative Wohn- und Betreuungsformen.

Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales informiert auf seiner Internetseite über die verschiedenen Alternativen:

? Wohnberatung und Wohnungsanpassung

? Bürgerschaftlich organisierte Nachbarschaftshilfe

? Seniorengenossenschaft

? Betreutes Wohnen zu Hause

? Wohnen für Hilfe

? Quartierskonzepte

? Seniorenhausgemeinschaft

? Generationenübergreifendes Wohnen

? Betreutes Wohnen

? Ambulant betreute Wohngemeinschaften

? Voll- und teilstationäre Pflegeeinrichtungen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen informiert ausführlich über alternative Wohnformen, konkret über Senioren-Wohngemeinschaften, Hausgemeinschaften oder integriertes Wohnen.

Rechtsformen Ausführliche Informationen - auch zu den Rechtsformen und Konditionen alternativer Wohnformen - erteilt das Forum Gemeinschaftliches Wohnen, das sich seit 20 Jahren mit diesem Thema befasst. Auf dessen Seiten sind nach Bundesländern gegliedert die Mitgliedsorganisationen aufgelistet, die vor Ort informieren können. In der Wohnprojektbörse können Sie außerdem nach geeigneten Projekten suchen oder selbst Ihr Gesuch nach einem bestimmten Wohnprojekt einstellen.

Modellprogramm Mit dem Modellprogramm "Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben" werden beispielgebende gemeinschaftliche Wohnprojekte gefördert, die Vorbildwirkung entfalten und zur Nachahmung anregen. Anhand der Projekte wird zudem eine Analyse vorgenommen, um die Bedeutung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten gerade auch für das kommunale Leben aufzubereiten und darzustellen. Das Programm läuft bis Ende 2019. Weitere Informationen sowie eine Liste der ausgewählten Projekte sind auf dem Serviceportal "Zuhause im Alter" abrufbar.

Das Projekt "Gemeinschaftswohnen"