Der Pflegedienst arbeitet am Limit

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Anne Vognsen kämmt Johanna Bauer das Haar. Das gehört zur täglichen Pflege. Foto: Helke Renner
Anne Vognsen kämmt Johanna Bauer das Haar. Das gehört zur täglichen Pflege. Foto: Helke Renner

Schlechtes Image, miese Bezahlung: Pflegepersonal wird knapp - auch in Coburg. Dabei ist der Pflegeberuf für eine immer älter werdenden Gesellschaft überlebenswichtig.

Anne Vognsen kämmt Johanna Bauer vorsichtig das weiße Haar und spricht mir ihr über Alltägliches. Die 72-jährige, an Demenz erkrankte Frau schaut anfangs abwesend, aber dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie mag die junge Altenpflegerin und hat Vertrauen zu ihr. Anne Vognsen liebt ihren Beruf, hat sich bewusst für die Altenpflege im ambulanten Bereich entschieden, nachdem sie eine Ausbildung in der Heilerziehungspflege absolviert hatte. "Die Arbeit gefällt mir sehr gut, man bekommt so viele positive Rückmeldungen von den Patienten", sagt sie. Außerdem schätzt sie das angenehme Arbeitsklima in der ASB-Sozialstation und die Hilfsbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen. Damit ist Anne Vognsen schon fast eine Ausnahme, denn die Zahl der jungen Leute, die sich bewusst für den Altenpflegeberuf entscheidet, sinkt.


"Wo soll das nur hinführen?", fragt Jeannette Görlach, Pflegedienstleiterin beim ASB. Vor zwei bis drei Jahren habe sie noch einen Ansturm an Bewerbern erlebt. Diese Zeiten seien vorbei. Das bestätigt auch Isolde Steinerstauch, Leiterin der Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe der BRK-Schwesternschaft. "Knapp die Hälfte unserer Schülerinnen und Schüler sind schon Pflegehelfer in stationären und ambulanten Einrichtungen. Über ein Förderprogramm der Arbeitsagentur absolvieren sie bei uns eine Altenpflegeausbildung." Das sei zwar ein guter Weg, denn auch sie hätten sich bewusst für den Beruf entschieden. Aber 2016 laufe das Förderprogramm aus. Und dann? Jeannette Görlach beklagt: "Uns fehlen die jungen Leute, die neu in die Pflege einsteigen."

Der ASB, aber auch andere Verbände und Einrichtungen, bilden inzwischen selbst aus. "Doch einige haben jetzt schon das Problem, dass sie ihre Lehrstellen nicht besetzen können", ergänzt Isolde Steinerstauch. Woran das liegt? "Es ist das schlechte Image des Berufs, dass man kaum gesellschaftliche Anerkennung findet", sagt Anne Vognsen. Die Auswirkungen des Personalmangels bekommt auch sie zu spüren. "Hatten wir vor Jahren auf unseren Touren noch 18 bis 20 Patienten zu betreuen, so sind es heute 25 bis 30."
Die Zahl der Menschen, die sich häusliche Pflege wünschten, steige, erläutert Jeannette Görlach. "Viele können sich ein Altenheim nicht mehr leisten." Das heißt, die Zahl der Patienten, die in den eigenen vier Wänden betreut werden wollen, steigt, die Zahl der Pflegekräfte sinkt. "Wir kommen an unsere Kapazitätsgrenzen. Zur üblichen Altenpflege kommt auch noch die Behandlungspflege nach Krankenhausaufenthalten."

Zeitnot in der Ausbildung

Das Problem des Personalmangels treffe im Übrigen auch viele stationäre Einrichtungen, weiß Isolde Steinerstauch aus ihrer Praxis. "Oft werden die Schülerinnen und Schüler mit herangezogen, um Patienten zu waschen, die Windeln zu wechseln oder andere Regularien zu übernehmen. Die Ausbildung bleibt dann leicht auf der Strecke." Zwar würden sogenannte Praxi sanleiter ausgebildet, aber es fehle nicht selten an Zeit, die Schülerinnen und Schüler so gut anzuleiten wie es notwendig wäre. Das funktioniere in der ambulanten Pflege besser. "Da sind die Auszubildenden bei den Touren einfach dabei", erläutert Jeannette Görlach.

Und noch etwas belastet das sowieso schon am Limit arbeitende Personal: die leidigen zeitraubenden Pflegedokumentationen. "Die nehmen genauso viel Zeit oder mehr in Anspruch wie die Behandlung der Patienten selbst", erzählt Anne Vognsen. "Für eine Neuaufnahme müssen wir 46 Formulare ausfüllen, dabei würden 16 definitiv ausreichen", ergänzt Jeannette Görlach.

"Und dann werden uns auch noch andere Steine in den Weg gelegt", schimpft die Pflegedienstleiterin. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die AOK. "Die bezahlen uns Behandlungen wie zum Beispiel Infusionen nicht, wenn Familienmitglieder da sind, die das übernehmen könnten. Aber welcher Laie kann schon spritzen?" Darauf antwortet Holger Hein, Fachteamleiter bei der AOK-Direktion in Coburg. "Injektionen gehören zur sogenannten Laienpflege. Das haben nicht wir so entschieden, sondern der Bundesaussschuss der Krankenkassen."

Angehörige in der Pflicht

Im Bedarfsfall zahle die AOK aber die Anleitung für die Leistungen, die Familienmitglieder zu erbringen haben. Und And reas Gahn, Fachbereichsleiter Leistung, ergänzt: "Wenn Angehörige Pflegegeld bekommen, dann prüfen wir, ob sie in der Lage sind, bestimmte Leistungen zu übernehmen." Wenn sie das nicht könnten, weil sie zum Beispiel im Schichtdienst arbeiteten, dann werde das anders geregelt. "Wir müssen verantwortungsvoll mit dem Geld der Versicherten umgehen", sagt Andreas Gahn. "Wir geben im Direktionsbereich jetzt schon eine halbe Million Euro für Behandlungspflege aus."

Auf Pflege angewiesen

Bei Johanna und Horst Bauer gibt es keine Probleme. Der 75-jährige Ehemann kümmert sich um seine Frau, soweit er dazu in der Lage ist. Der ASB-Pflegedienst kommt am Vormittag zum Duschen, Haarewaschen, Aus- und Anziehen. Einmal im Monat wird Johanna Bauer gewogen und ihr Blutdruck gemessen. "Die Leute vom ASB beraten mich aber auch und empfehlen mir einen Arzt, wenn ich für meine Frau einen brauche", erzählt Horst Bauer. Für ihn sei es nicht vorstellbar, ohne einen Pflegedienst zurechtkommen zu müssen.
Zwar wohnen Tochter und Sc hwiegersohn im Haus, aber die seien beruflich stark eingespannt. Seine Frau aber brauche viel Betreuung. "Durch ihre Demenz ist die Sturzgefahr groß. Sie kann nur noch wenig selbst tun. Ich kann sie nicht mehr allein lassen", sagt Horst Bauer. Und das ist für den 75-Jährigen eine Herausforderung. Er gibt Anne Vognsen die Hand, begleitet sie nach draußen und ist sicher, dass sie w iederkommt.