Coburger Zeitgeschichte: Die zweifache Enteignung Abraham Friedmanns

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An Abraham Friedmann erinnert dieser Stolperstein in der Ketschendorfer Straße in Coburg.Foto: Archiv
An Abraham Friedmann erinnert dieser Stolperstein in der Ketschendorfer Straße in Coburg.Foto: Archiv
Kulturwissenschaftler Hubertus Habel: "Abraham Friedmann ist ein Beispiel für ein extrem frühes Arisierungsverfahren. Es begann schon 1933."
Kulturwissenschaftler Hubertus Habel: "Abraham Friedmann ist ein Beispiel für ein extrem frühes Arisierungsverfahren. Es begann schon 1933."
 

Vor 80 Jahren wurde die Villa von Abraham Friedmann versteigert, Geschäftsführer und Hauptaktionär der Großmann AG. Neue Forschungen zeigen, wie es kam, dass keine Wiedergutmachung erfolgte.

Wie viele Worte, wie viele Daten passen auf eine Fläche von zehn mal zehn Zentimetern? Im Fall von Abraham Friedmann scheinen es nicht genug zu sein. Friedmann ist eines der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Coburg, für die in den Straßen der Stadt Stolpersteine gesetzt wurden.


Der von Abraham Friedmann befindet sich in der Ketschendorfer Straße 2, schräg gegenüber vom Justizgebäude, wo sich früher das Staatsministerium des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha befand. Das Anwesen, das zu dieser Adresse gehört, lässt ahnen, dass Friedmann kein armer Mann war. Die Villa mit den Buntglasfenstern dient inzwischen als Hotel. Vor 80 Jahren, am 26. November 1935, wurde das Anwesen zusammen mit dem kleinen Haus Casimirstraße 6 zwangsversteigert. Hubertus Habel, Kultur- und Museumswissenschaftler, nennt das "die erste Arisierung Coburgs".


Der Jahrestag ist der Anlass für den Vortrag, den Habel am Donnerstag, 26. November, 19 Uhr, in der Stadtbücherei halten wird. Habel will nicht nur aufzeigen, wie die Nazis den - eigentlich erfolgreichen - Industriellen in die Armut und aus der Stadt trieben, er will auch zeigen, wie die Familie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs um ihr Vermögen kämpfen musste.


Viele der Dokumente, die Habel eingesehen hat, sind erst seit kurzem zugänglich. Friedmanns Leben hat Hubert Fromm schon vor Jahren im Buch "Die Coburger Juden" nachgezeichnet. "Aber ihm standen viele Akten nicht zur Verfügung", sagt Habel. Vor allem die nicht, die mit Finanzdingen zu tun haben, wie Steuerakten oder die Akten der Wiedergutmachungsbehörden. Die werden erst nach 60 Jahren freigegeben.


Wie bei Fromm nachzulesen ist, stammt Abraham Friedmann aus Autenhausen, das heute zum Stadtgebiet von Seßlach gehört. Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts herum lässt er sich als Viehhändler in Coburg nieder. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wird er verwundet, kehrt nach dem Lazarettaufenthalt nach Coburg zurück und wird Leiter der Bezirksschlächterei. Diesen Posten versieht er so gut - es geht um die Versorgung der Coburger Bevölkerung mit Frischfleisch während des Kriegs - dass er den Titel "Kommissionsrat" erhält.


Verleumdungen und Angriffe

1919 wechselt Friedmann zur Großschlächterei Großmann, wird dort Generaldirektor und, nach Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft, deren Hauptaktionär. Aber er habe auch "eine idealtypische Zielscheibe für die Nazis" abgegeben, sagt Hubertus Habel. Sie werfen Friedmann vor, er habe Arbeiter bestochen, um gegen die Nationalsozialisten zu protestieren, die mit Adolf Hitler an der Spitze zum "Deutschen Tag" in Coburg am 14. Oktober 1922 mit über 600 Mann angerückt sind.

"Die Nazis raunten schon 1922 von der jüdisch-marxistischen Weltverschwörung", sagt Habel. Bewiesen wurde das nie; aber Friedmann sieht sich genötigt, Anzeigen zu schalten, in denen er beteuerte, dass er nie Geld gegeben habe, um die Veranstaltungen des Deutschen Tags zu stören. "Wer das Gerücht ausgesprengt hat oder weiter verbreitet, ist ein leichtfertiger Ehrabschneider."


Friedmann bleibt Hauptzielscheibe der Coburger Nazis um Franz Schwede, der bei den Städtischen Werken beschäftigt war. Als Friedmann erwägt, deswegen seine Verträge über Koks- und Strombezug bei den Städtischen Werken zu kündigen, fordern deren Führungskräfte Schwede auf, die Verunglimpfungen zu unterlassen. Das nutzen die Nazis zu weiteren Angriffen - und erzwingen Neuwahlen für den Coburger Stadtrat. Sie erhalten 13 der 25 Sitze.


Misshandelt und entlassen

Nach der Machtergreifung von Adolf Hitler am 30. Januar 1933 gehen die Coburger Nazis brutal gegen die Coburger Juden und Andersdenkende vor. Friedmann wird Mitte März in einem Waldstück bei Finkenau derart misshandelt, dass er ins Krankenhaus muss. Am 20. März flüchtet er sich zu seiner Tochter Berta Landauer nach Berlin; am 25. März 1933 wird er von der Firma Großmann & Kisch fristlos entlassen. Außerdem sperrt die Nazi-Mehrheit im Aufsichtsrat Friedmanns Aktien. Damit hat er keine Einkünfte mehr und kann ab November die Zinsen für die Hypothek auf seinem Haus Ketschendorfer Straße 2 nicht mehr bezahlen. Tilgungsraten hatte er für das Darlehen nie bezahlt. Pfingsten 1934 zieht Friedmann nach Paris zu seiner Tochter Senta Friedensreich; im Frühjahr 1935 beantragt die (verstaatlichte) Dresdner Bank die Zwangsversteigerung.


Doppelspiel des Notars

An dieser Stelle kommt ein Mann ins Spiel, der die Familie Friedmann doppelt betrügen wird. Friedmann hätte - nach deutschem Recht - Anspruch auf Schuldnerschutz gehabt und beansprucht diesen auch. Doch er scheitert, weil der mit der Versteigerung betraute Coburger Notar Alfred Ehrlicher argumentiert, dass Friedmann aus politischen Gründen in wirtschaftliche Schieflage geraten sei. In einem solchen Fall greift der Schuldnerschutz nicht.
Der gleiche Alfred Ehrlicher wird nach dem Zweiten Weltkrieg behaupten, dass keine politischen Gründe im Spiel waren und Friedmann schon vor dem 30. Januar 1933 wirtschaftliche Probleme gehabt habe. Ehrlicher begründet dies damit, dass Friedmann keine Tilgungsleistungen erbracht hätte. Damit torpediert er die Versuche von Friedmanns Töchtern, das Haus nach dem Wiedergutmachungsgesetz zurückzuerhalten. Friedmann selbst war 1938 in Paris gestorben.
Das Verfahren zieht sich hin - und Hubertus Habel hat sich intensiv mit der Rolle jenes Alfred Ehrlicher in diesem Fall befasst. Darauf wird er in seinem Vortrag detailliert eingehen. Denn Ehrlicher sagt auch zugunsten von Max Brose in dessen Entnazifizierungsverfahren aus. Brose hatte das Anwesen Ketschengasse 2 zusammen mit seinem Geschäftspartner Ernst Jühling ersteigert für 41000 Reichsmark. Damit war die Hypothek gedeckt, "aber es war nur der halbe Verkehrswert", sagt Habel.
1953 einigen sich Friedmanns Töchter mit der Firma Brose auf einen Vergleich; Brose zahlt 25000 D-Mark. Dieser Vergleich sei überraschend erfolgt, sagt Habel. "Wie der zustande kam, dafür gibt es keinerlei Hinweis" - zumindest nicht in den Akten der Staatsarchive Coburg, Bamberg und Nürnberg.