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Coburger Kita-Prozess: Vorverurteilung im Netz


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Donnerstag, 09. März 2017

Für heftige Diskussionen sorgt der Prozess, in dem es um angebliche Misshandlungen von Schutzbefohlenen in einer Coburger Kindertagesstätte geht.
Foto: Symbolbild


Bild-online titelte noch am Abend "Lego-Kisten über Köpfe gestülpt, Brot in Hals gerammt - Quäl-Prozess gegen Kindergärtnerinnen". Sat1 sendete einen Fernsehbeitrag aus dem Gerichtssaal.

Bestürzung und heftige Reaktionen lösten auch die Berichte der örtlichen Medien in Facebook aus - zumal zunächst nicht bekannt wurde, um welche Kindertagesstätte es sich handelt.

Aus presserechtlichen Gründen wird auch im Tageblatt die Einrichtung nicht genannt solange die angeklagten Frauen nicht verurteilt sind. Es gilt bis dahin immer noch die Unschuldsvermutung.


Unschuldsvermutung gilt

Spekulationen darüber, um welche Tagesstätte es sich handelt, wurden von unserem Redaktionsleiter Oliver Schmidt entkräftet. Angst müsse niemand um seine Kinder haben. Wenn es sich um die eigene Einrichtung handeln würde, hätten es die Eltern doch mitbekommen. Immerhin arbeiten die angeklagten Frauen bereits seit Anfang 2016 nicht mehr in dem Haus. Die Vorfälle ereigneten sich zwischen 2011 und 2015. Mittlerweile berichten anderen Medien offen über die betroffene Kindertagesstätte in Wort und Bild.


Warum fehlte der Bürgermeister?

Für Verwirrung sorgte auch das Ausbleiben eines Bürgermeisters beim Kreistag. Es hieß, der Kollege werde wegen des Kindergartenprozesses von überregionalen Medien belagert. Zunächst ließ sich kein Reim darauf machen - zumal die betroffene Kita im Stadtgebiet liegt.

Tageblatt-Recherchen ergaben jedoch, dass die angeklagte, ehemalige Kindergartenleiterin in einem Kindergarten im Landkreis als stellvertretende Leitung angestellt ist. Sie wird jedenfalls noch immer auf der Internetseite der Einrichtung geführt und gehört zum pädagogischen Krippenpersonal.

Die Kindertagesstätte befindet sich in eben jener Gemeinde, deren Bürgermeister gestern dem Kreistag fern blieb. Für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss war der Bürgermeister nicht zu sprechen. Er befand sich auf mehreren Außenterminen.


Popoklatscher & Co.

Hunderte von Kommentaren im Internet, vorwiegend von Müttern, zeugen von der Verunsicherung und der Angst der Frauen, was in Krippen und Kindergärten wohl doch alles möglich ist. Einige berichten von ähnlichen Erlebnissen. "Popoklatscher" und "Spinat bis zum Erbrechen" sind nur ein paar Beispiele. Aber auch Beleidigungen und Vorverurteilungen häufen sich und sind ein Beispiel für die Verrohung im Netz.


Erzieher überfordert?

Diskutiert wird darüber, wieso die anderen Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen so lange weggeschaut haben. "Ich verstehe nicht wie Kollegen das mit ihrer Liebe zum Kind vereinbaren können, und solche Zustände nicht gleich melden!", schreibt eine Userin. Ein anderer fragt, ob nicht auch die Politik schuld sei, weil die Personalschlüssel nicht passen und Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen einfach überfordert seien.

 

Hinweis der Redaktion: Das Verfahren gegen die Kindergartenleitung ist zwischenzeitlich durch Freispruch im Berufungsverfahren beendet worden.