Coburger "Carmen"-Premiere: Tödliches Ende einer fatalen Liebe
Autor: Jochen Berger
Coburg, Montag, 03. Juni 2019
Wie Gastregisseur und Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau am Landestheater Coburg Bizets "Carmen" interpretiert.
Was eigentlich lieben Opernfans an Georges Bizets "Carmen"? Die vielen Hits, das klischeehafte spanische Ambiente? Oder vielleicht doch den tragischen Ausgang mit der erstochenen Titelheldin? Wer in "Carmen" vor allem bunte, nette Spanienklischees sucht, ist in der Coburger Neuinszenierung von Gastregisseur Alexander Müller-Elmau ganz sicher in der falschen Vorstellung. Wer freilich wissen will, warum der Soldat Don José zum Mörder seiner ehemaligen Geliebten Carmen wird, sollte sich rasch Tickets sichern für die nächsten Aufführungen am Landestheater.
Das Bühnenbild, die Kostüme
Wenn sich der Premierenvorhang im Landestheater öffnet, ist sofort klar: Diese Inszenierung will nichts zu tun haben mit den sattsam bekannten "Carmen"-Klischees. Das von Regisseur Alexander Müller-Elmau entworfene Bühnenbild zeigt ein kaltes, fast kahles Halbrund - ein stilisierter Raum, der bald als Stierkampfarena, bald als Gefängnishof und bald als Marktplatz erscheint. Hier spielt sich das Drama um Don José, Carmen und den Stierkämpfer Escamillo ab. Die Kostüme von Julia Kaschlinski sind zeitlos stilisiert und helfen dabei, die Figuren mit klaren Akzenten zu charakterisieren.
Das Regiekonzept
Mit dem Titel "Carmen" hat Bizet seine erfolgreichste Oper auf die Bühne geschickt und die Titelheldin als Femme fatale mit längst zu Schlagern gewordenen Melodien ausgestattet. Alexander Müller-Elmau aber erzählt dieses tödlich endende Liebesdrama ganz bewusst und aus guten Gründen aus der Sicht des Sergeanten Don José und kann sich dabei auf Prosper Mérimée und seine 1845 veröffentliche "Carmen"-Novelle berufen. Dass Don José auf fatale Weise Carmen verfallen ist und völlig aus der Bahn gerät, lässt Müller-Elmau effektvoll deutlich werden. Auch kleine Rollen profitieren von seiner insgesamt sorgfältigen Personenführung.
Die Darsteller
Milen Bozhkov singt und spielt den aus enttäuschter Liebe zum Mörder gewordenen Don José mit packendem Ausdruck, mit bisweilen gar erschreckender Intensität. Sein lyrischer Tenor zieht das Publikum mit enormer Ausdruckskraft, aber auch mit der Fähigkeit zu feiner Differenzierung in Bann. In der Titelpartie singt Emily Lorini die Carmen fernab von allen Rollenklischees - schlank in der Stimmführung, voller Leidenschaft im Ausdruck. Auch ihr Spiel gewinnt große darstellerische Kraft und Unerschrockenheit, auch wenn sie anfangs in einigen Szenen von der Regie doch ein wenig allein gelassen wirkt. Vielleicht ist das auch dem Umstand geschuldet, dass Emily Lorini diese Rolle erst während des Probenprozesses endgültig erarbeitet hat, da die ursprüngliche Premierenbesetzung (Kora Pavelic) krankheitsbedingt wenige Wochen vor der Premiere ausfiel.
Micaëla versucht, Don José mit ihrer bedingungslosen Liebe vor dem fatalen Einfluss Carmens zu retten - freilich vergeblich, auch wenn Olga Shurshina diese Rolle mit lyrischer Innigkeit insgesamt sehr nachdrücklich gestaltet. Für den jungen Bariton Marvin Zobel wird die Partie des Stierkämpfers Escamillo zur Traumrolle - stimmlich wie darstellerisch. Bestens besetzt sind zudem die weiteren Rollen der Soldaten, Schmuggler und des Wirts Lillas Pastia.
Die Chöre
Die vereinten Chöre sind in manchen "Carmen"-Produktionen nur klingende Staffage. In Müller-Elmaus Deutung aber werden Chor, Extrachor (Einstudierung Mikko Sidoroff) und Kinderchor (Einstudierung Daniela Pfaff-Lapins) des Landestheaters zu wichtigen Akteuren. Sie verleihen dem Geschehen auf der Bühne immer wieder eine fast beängstigende Wucht. Die Massenszenen formt Müller-Elmau zu eindringlichen Bildern von großer, bedrängender Intensität - am überzeugendsten in der Schluss-Szene.
Das Orchester
Eine Woche nach dem erfolgreichen London-Gastspiel präsentiert sich das Philharmonische Orchester bestens disponiert und gründlich vorbereitet und musiziert ebenso farbenreich wie prägnant in den Konturen - mit sicherem Stilgefühl, bei Bedarf aber auch mit großer Wucht.