In Coburg fassten die Nationalsozialisten in den 1920er Jahren früher Fuß als in vielen anderen Städten. Eine Kommission aus sieben Historikern soll nun festlegen, wie Coburgs Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet werden kann.
Das beschloss der Stadtrat am Donnerstag bei drei Gegenstimmen von Kurt Knoch, Frank Völker und Mathias Zimmer (alle Junge Coburger/CSU).
Die Kommission unter Leitung des in Coburg lebenden Historikers Gert Melville soll als erstes festlegen, was von einem oder mehreren Historikern aufgearbeitet werden soll und wie. Der Stadtrat muss diesen Leistungskatalog absegnen. Wer sich dann mit der Coburger Geschichte befassen wird, wird die Kommission vorschlagen - der Stadtrat muss den Vorschlag dann bestätigen.
Die Verwaltung geht davon aus, dass der Aufarbeitungsprozess vier Jahre dauern wird. Weil derjenige, der dann in die Coburger Stadtgeschichte eintaucht, auch bezahlt werden muss, sollen für diesen Zeitraum 265.000 Euro bereitgestellt werden. Der oder die Historikerin "sollte mindestens einen Doktortitel haben", sagte Gert Melville.
Er trat auch der Befürchtung entgegen, dass am Ende ein einzelnes Buch mit "der Wahrheit" stehe. Geschichtliche Forschung müsse überprüfbar sein - und für jedermann verständlich: "Auch Wissenschaftler können lesbar schreiben." Kurt Knoch (Junge Coburger/CSU) hatte die Befürchtung geäußert, dass am Ende der vier Jahre "nur ein Buch" stehe, aber nichts, was auch die Menschen erreiche. Auch Hans-Herbert Hartan (CSU) bekannt sich dazu, das Projekt skeptisch zu sehen. Er stimme der Berufung der Kommission aber zu, sagte Hartan. Denn entscheidend sei ja der Leistungskatalog, den die Kommission dem Stadtrat vorlegen werde.
"Über Geschichte reden kann man nur, wenn man darüber Bescheid weiß", betonte Melville. Das, was Knoch wünsche, sei erst möglich, wenn das Buch vorliege. "Wir sprechen über einen Zeitraum praller Geschichte", betonte Melville. Möglichweise könnten sogar noch Zeitzeugen gefunden werden. Das Forschungsprojekt solle eine objektive Darstellung der Zeit bis kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Coburg liefern. "Dann soll die Diskussion massiv einsetzen. Das ist die Stadt sich schuldig. Aber die Diskussion sollte nicht mit Urteilen und Verurteilen geführt werden."
Wolfgang Weiß (Grüne) bat darum, die Zwischenberichte des Projekts nicht nur ins Ratsinformationssystem zu stellen, sondern auch ins Bürgerinformationssystem. Außerdem sollten Mittel für Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt werden.
Was die berufenen Historiker angehe, so handele es sich um "eine ausgezeichnete Gruppe, die so selten zustande kommt", bestätigte Gert Melville. "Ich finde, dass die Stadt das verdient."
Die Namen und beruflichen Stationen der berufenen Historiker finden sich in der Fotogalerie. Ralf Stremmel, Direktor des Historischen Archivs Krupp (Essen) hat seine Mitarbeit in der Kommission ebenfalls zugesagt. Er ist außerplanmäßiger Professor für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der Ruhr-Universität Bochum, wollte aber kein Foto für eine Veröffentlichung zur Verfügung stellen.
Hintergrund: Die Coburger Geschichte in der Zeit bis 1920 bis nach dem Zweiten Weltkrieg war in der ersten Jahreshälfte 2015 Diskussionsthema, als der Stadtrat beschloss, die Von-Schultes- in Max-Brose-Straße umzubenennen. Max Brose, Gründer des gleichnamigen Fahrzeugteile-Unternehmens, war 1933 der zu diesem Zeitpunkt schon regierenden Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) beigetreten. Die NSDAP hatte aber schon Jahre zuvor in Coburg den Oberbürgermeister gestellt. In Coburg selbst hatten die Nationalsozialisten vergleichsweise viel Zulauf, vermutlich auch, weil der vormalige Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha offen seine Sympathie für die Partei zeigte.