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Coburg: Menschen mit Behinderungen bangen um Zuhause - bei Diakonie flossen Tränen


Autor: Ralf Welz

Coburg, Mittwoch, 30. März 2022

In Coburg wurde mehreren Menschen mit Behinderung ihr langjähriger Pflegedienst gekündigt. Der Dienst ermöglichte es ihnen bislang, eigenständig in ihrer Wohnung zu leben. Nun droht der Umzug in ein Pflegeheim.
Von der Kündigung des Assistenz- und Pflegedienstes sind sechs Menschen mit Behinderung betroffen. Um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, riefen die Arche-Verantwortlichen am Dienstag (29. März 2022) zu einer Kundgebung auf dem Coburger Marktplatz auf. 


  • Coburg: Pflegedienst wegen Personalmangel eingestellt: Menschen mit Behinderungen bangen um Zuhause
  • Selbsthilfeverein übt scharfe Kritik: "Inklusion und selbstbestimmtes Leben wird zunichtegemacht"
  • "Auch Tränen im Team geflossen": Diakonie-Vorstand berichtet von schwerer Entscheidung 
  • Fachkräftemangel führte zu großer Belastung: "Wir sind am Ende unserer Kräfte"

In Coburg wurde mehreren Menschen mit Behinderung ihr langjähriger Pflegedienst gekündigt. Der Grund: akuter Personalmangel. Die Betroffenen fühlen sich dennoch im Stich gelassen. Der Selbsthilfeverein Arche übt scharfe Kritik an der Diakonie. Diese verteidigt sich und spricht von einer Entscheidung, die "schweren Herzens" erfolgt sei. 

Coburg: Menschen mit Behinderung erhalten Kündigung - Pflegedienst wird eingestellt, weil Mitarbeiter fehlen

Von der Kündigung des Assistenz- und Pflegedienstes sind sechs Menschen mit Behinderung betroffen. Der Dienst ermöglichte es ihnen bislang, eigenständig in ihrer Wohnung zu leben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. "Nun sollen wir uns in kürzester Zeit einen neuen Pflegedienst suchen, ansonsten müssen wir unter Zwang aus unserer Wohnung raus und in ein Pflegeheim", erklären die Betroffenen auf der Facebook-Seite der Arche Coburg. Der Selbsthilfeverein widmet sich der Förderung und der Betreuung von körperbehinderten und pflegebedürftigen Menschen.

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"Alles, was wir uns die ganzen Jahre erkämpft haben, wie Inklusion und selbstbestimmtes Leben, wird damit zunichtegemacht", lautet die Befürchtung der Betroffenen. Grund für die Einstellung ihrer Versorgung ist ein akuter Personalnotstand beim langjährigen Pflegedienst. "Die Situation hat sich über die Zeit sehr zugespitzt", erklärt Bernd Baucks, Vorstand des Diakonischen Werks Coburg, am Dienstag (29. März 2022) inFranken.de. "Wir haben einen massiven Mangel an Pflegekräften." 

Laut Baucks Schilderung habe es die prekäre Personalsituation nicht mehr länger zugelassen, die Arbeit des Assistenz- und Pflegedienstes fortzuführen. "Wir haben den Dienst über Monate hinweg mit sehr großer Mühe am Leben gehalten", konstatiert der Diakonie-Vorstand. Teilweise hätten die Beschäftigten sogar ihren Urlaub unterbrochen, um für ausgefallen Kolleginnen und Kollegen einzuspringen. "Nun haben aber viele signalisiert: 'Wir sind am Ende unserer Kräfte.'"

"Geht uns emotional nahe": Diakonie-Mitarbeiter vergießen nach Pflegedienst-Aus Tränen

Auch über andere Bereiche des sozialen Dienstes habe sich der Notstand an Mitarbeitenden nicht auffangen lassen. "Das war alles bereits ausgereizt", betont Baucks. Weil keine andere Lösung ersichtlich gewesen sei, seien letztlich "schweren Herzens" die Pflegedienst-Kündigungen erfolgt. "Es sind auch Tränen im Team geflossen. Das geht uns emotional nahe." Manche Angestellte seien teils Jahrzehnte im Assistenz- und Pflegedienst tätig gewesen. 

Für drei der sechs betroffenen Menschen mit Behinderung sei inzwischen ein Kurzzeitpflege-Platz in einem Heim organisiert worden, berichtet der Vorstand. Was mit den anderen drei Bewohnern wird, die Assistenz und Pflege benötigen, ist dagegen aktuell noch völlig unklar. Für die zwei Männer im Alter von 59 beziehungsweise 67 Jahren und die 43-jährige Frau habe bislang nur ein neuer Pflegedienst für die Nachtschicht gefunden werden können. "Sie brauchen aber rund um die Uhr jemanden", erklärt Elisabeth Stolz von der Arche Coburg am Dienstag inFranken.de. Auch der Lösungsansatz der Kurzzeitpflege stößt bei ihr auf Kritik. "Die Bewohner wollen in ihrem Zuhause bleiben. Wer will schon aus seiner Wohnung raus?", gibt Stolz zu bedenken. 

Ihr Ehemann Wolfgang Stolz, Vorsitzender der Arche Coburg, fühlt sich indes von der Diakonie alleingelassen. "Die betroffenen Menschen stehen vor dem Aus ihres selbständigen und selbstbestimmten Lebens", moniert Wolfgang Stolz. Ihm zufolge sei es völlig unverständlich, dass der benötigte Dienst nun mit der Kündigung eingestellt werde. "Wir konnten uns bisher nicht vorstellen, dass die Diakonie Coburg, als kirchliche Organisation, Menschen mit Behinderungen ohne Alternative im Regen stehen lässt", hält der Arche-Vorsitzende auf der Webseite des Vereins fest. Um die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, luden die Arche-Verantwortlichen am Dienstag zu einer Kundgebung auf dem Coburger Marktplatz ein. 

Neue Corona-Impfpflicht führt teilweise zu Kündigungen - Pflege fehlt außerdem der Nachwuchs

Der Vorstand der Coburger Diakonie unterstreicht im Gespräch mit inFranken.de indessen, dass alle verbliebenen Mittel ausgeschöpft seien. Fehlende Fachkräfte machten dabei gleichwohl nicht nur der Diakonie zu schaffen. "Die Situation ist überall die gleiche", berichtet Bernd Baucks. "Überall herrscht Personalmangel." Die Ursachen hierfür sind verschieden. So habe es bei der Diakonie Coburg beispielsweise zuletzt infolge der einzugsbezogenen Corona-Impfpflicht Kündigungen vonseiten der Beschäftigten gegeben. "Andere wechseln aus privaten Gründen den Job", sagt Baucks. Langjährige Pflegekräfte verabschiedeten sich zudem in den Ruhestand. "Ein großes Problem ist natürlich auch der fehlende Nachwuchs." 

Was die Zukunft der von der Kündigung des Assistenz- und Pflegedienstes betroffen Bewohner anbelange, arbeite man zusammen mit anderen Einrichtungen und Organisationen, etwa der Lebenshilfe und Life and Care, an einer Lösung. "Wir bemühen uns alle, eine Möglichkeit zu finden, die auch die Betroffenen selbst wollen - nämlich selbstbestimmt zu Hause zu wohnen."

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