Die von Landzeitarbeitslosen erstellten Modelle historischer Gebäude Coburgs zerfallen. Keiner kümmert sich darum. Wird das Ensemble abgerissen?
Gäbe es morgen keine Menschen mehr auf der Erde, würde die Natur den Planeten rasant zurückerobern. Ein reales Beispiel für den Niedergang liefert die Stadt Pripjat um das 1986 havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl. Sie wurde vor 20 Jahren verlassen. Aus der Ferne erscheinen ihre Gebäude intakt, doch ein näherer Blick offenbart den Zerfall: Pflanzen wachsen in allen Winkeln. Ihre Wurzeln brechen Fenster- und Türstürze, Beton und Mauerwerk auf, die Struktur zerbröselt unerwartet schnell.
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Coburg geht Zerfall noch schneller. Auch dafür gibt es ein reales Beispiel: Coburg in Miniatur - noch zu besichtigen auf der Ernstfarm Coburg.
In den Jahren von 2010 bis 2015 hat das Berufsförderungswerk Nürnberg gemeinsam mit den Jobcentern Coburg Stadt und Land eine Maßnahme mit fast 150 Langzeitarbeitslosen durchgeführt. Es entstand ein Modell der historischen Gebäude Coburgs - originalgetreu im Maßstab 1:125 nachgebaut. Zu sehen war es eineinhalb Jahre im Naturkundemuseum, mittlerweile ist es schutzlos der Witterung ausgeliefert. Jetzt soll es "abgerissen" werden. Walter Krahl, Pächter der Ernstfarm, hat den Auftrag vom Berufsförderungswerk, ein Angebot dafür zu erstellen - und ist empört darüber.
Sein Unverständnis dafür teilt er mit vielen Besuchern. Das Tageblatt hakte deshalb nach und fragte Beate Cöster, Leiterin Regionalcenter Nord-West und Regionalzentrum Bamberg, nach den Hintergründen.
Tageblatt: Was war Sinn und Zweck dieses Projekts?
Beate Cöster: Ziel des Miniaturprojekts war es, langzeitarbeitslosen, erwerbsfähigen Leistungsempfängern nach SGB II den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Hierdurch wurde den Teilnehmern die Gelegenheit gegeben, ihre beruflichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Perspektiven zu erkennen und ihre fachlichen und sozialen Kompetenzen arbeitsmarktgerecht zu erweitern.
Warum hat man sich nach der Ausstellung dazu entschlossen, das Modell auf die Ernstfarm Coburg zu bringen, wo es ungeschützt im Freien steht?
Um die durch das Projekt entstandenen Miniaturbauten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurden zahlreiche Gespräche geführt. Die Projektverantwortlichen haben Kontakt zu kommunalen Persönlichkeiten sowie öffentlichen Institutionen aufgenommen. Hierdurch ergab sich die Möglichkeit zur zeitweisen Ausstellung im Naturkundemuseum. Parallel wurden erneut verschiedene Institutionen kontaktiert. Leider gab es keine Angebote, weder in der Stadt Coburg noch im Landkreis, die Gebäude in der vorliegenden Größenordnung auszustellen. Durch Unterstützung des Naturkundemuseums sowie aus dem Stadtrat Coburg wurden zwei Gebäude in öffentlichen Gebäuden ausgestellt. So sind das Naturkundemuseum sowie die Lutherschule vor Ort im eigenen Haus heute noch zu besichtigen.
Da keine weitere Indoor-Ausstellung realisiert werden konnte, wurde ein Freigelände gesucht, das eine geschützte Lage aufweist, um die Ausstellung vor Vandalismus zu bewahren. Hier konnte ein Grundstücksteil der Ernstfarm gefunden werden. So wurden die Gebäudeteile ab Ende 2013 sukzessive auf der Ernstfarm aufgestellt.
Wurde versucht ehrenamtliche Hobby-Modellbauer zu gewinnen, die sich nach Abschluss des Projekts um die Instandhaltung kümmern?
Zunächst wurde die Pflege der Gebäude in andere Maßnahmen in unserer Geschäftsstelle in Coburg integriert. Diese Maßnahmen sind jedoch Mitte 2017 ebenfalls ausgelaufen. Anfragen bei Hobby-Modellbauern scheiterten an dem Umstand, sich langfristig zeitlich und wirtschaftlich für das Projekt zu verpflichten.
Welche Rolle spielte die Stadt Coburg, für die dieses Modell touristischen Wert hätte haben können? Hat man versucht, das Modell den Schulen zugänglich zu machen, damit es im Heimat- und Sachunterricht eingesetzt werden kann?
Der touristische Wert wurde mehrmals versucht über Kontaktaufnahme zum Stadtmarketing zu verdeutlichen. Leider haben sich weder in der Stadt Coburg noch in den Planungen des Naherholungsbebietes um den Goldbergsee Anknüpfungspunkte finden lassen.
Ab dem Schuljahr 2012/13 gab es in Zusammenarbeit mit dem Bildungsbüro der Stadt Coburg für Schüler regionaler Schulen sowie für Kindergärten die Möglichkeit, das Miniaturprojekt hautnah zu erleben.
Stimmt es, dass das mittlerweile durch die Witterung zerstörte Ensemble abgerissen werden soll?
Trotz der abgelegenen Lage blieb die Ausstellung von Vandalismus leider nicht verschont. Die Gebäude wurden mehrmals von Unbekannten massiv beschädigt und mussten restauriert werden. Darüber hinaus hat die extrem feuchte Witterung in Verbindung mit Kälte in der letzten Jahreshälfte 2017 sowie zu Beginn 2018 den Objekten zugesetzt. Durch die Zerstörungen konnte nun Wasser in die einzelnen Gebäude eindringen, was in den Wintermonaten neben dem normalen Verschleiß zu Auffrierungen führte und so die Gebäude weiterhin verfielen.
Die Pflege einer solchen Ausstellung bedarf einer permanenten fachlichen Arbeit. Da das Projekt aus finanziellen Gründen aktuell nicht mehr fortgeführt wird, kann eine kontinuierliche Erhaltung leider nicht mehr durch uns abgesichert werden. Zudem möchte der Besitzer der Ernstfarm das Grundstück der Miniaturausstellung in "ordentlichem Zustand" präsentieren. Mit defekten Gebäuden ist dies nicht möglich.
Sollte sich aufgrund des Artikels eine Person oder Personengruppe finden, die sich um die Pflege der Miniaturausstellung kümmern kann und möchte, so können Sie sich gerne unter coburg@bfw-nuernberg.de melden.
Warum wurden die Mittel für diese Maßnahme gestrichen?
Wir als Berufsförderungswerk Nürnberg mit unserer Geschäftsstelle in Coburg hätten das Miniaturprojekt sehr gerne weitergeführt. Als Bildungsanbieter von Maßnahmen für Rehabilitanden und Langzeitarbeitslose entscheiden wir aber nicht, warum Mittel seitens der Kostenträger für Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen oder nicht bereitgestellt werden. Planungen für derartige Projekte stehen wir offen gegenüber.
Haben Sie Resonanz von den Projektbeteiligten bekommen?
Im Rahmen unseres Qualitätsmanagementsystems sowie durch unseren persönlichen Anspruch sind wir jederzeit darum bemüht, Rückmeldungen zu unseren Projekten und Maßnahmen zu erhalten. In zahlreichen Gesprächen mit den Teilnehmenden des Miniaturprojekts haben wir zum Projektverlauf sehr positive Rückmeldungen erhalten.
Sollte bei einer solchen Maßnahme nicht auch darüber nachgedacht werden, was aus dem entstanden Werk wird?
Die Wertschätzung von Menschen, insbesondere auch die Wertschätzung unserer Teilnehmenden liegt uns als gemeinnütziges Unternehmen sehr am Herzen. Das Hauptziel der Maßnahme "Miniaturprojekt" war jedoch ausgerichtet auf die Heranführung an den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dabei ist mit den Coburger Miniaturbauten gleichzeitig ein schönes Werk entstanden. Ein solches Projekt, wie die Miniaturausstellung, braucht jedoch eine finanzielle Grundausstattung, um fortbestehen zu können. Aktuell ist eine solche finanzielle Unterstützung nicht in Sicht.
Kommentar von Christiane Lehmann
Ein Skandal!
Als hätte eine Bombe in die Arkaden eingeschlagen, die Treppen zerstört und durch die Detonation Ernst I. den Kopfzerfetzt. Surreal liegt Coburg uns zu Füßen. Ein Löwenzahn so hoch gewachsen wie ein Turm der Ehrenburg. Endzeitstimmung für Coburg in Miniatur. Dabei hat alles so toll angefangen. Landzeitarbeitslose haben in mühevoller Handarbeit, maßstabsgetreu Coburg nachgebaut. Stolz waren sie alle: die Macher, die Projektleiter, der Bürgermeister. Doch kaum waren die Mittel versiegt und die Ausstellung im Naturkundemuseum beendet, war es auch vorbei mit der Fürsorge. Schließlich ging es um die Menschen, nicht um die Sache, heißt es. Aber da frage ich: Muss nicht auch das Werk des Menschen geachtet werden, damit sich der Mensch wertgeschätzt fühlen kann? Tragen wir nicht auch Verantwortung für das, was wir schaffen? Die Kritik richtet sich nicht allein gegen die Projektleiter. Alle, die von dem Modell wussten, sich damit brüsteten, die es angeboten bekommen haben, um damit für unsere schöne Stadt zu werben, all jene sollten sich schämen. Hier wurde eine Chance vertan und Nachhaltigkeit mit Füßen getreten. Der desolate Zustand der filigranen Gebäude ist auch ein Schlag ins Gesicht unserer Stadt. Werte im Wandel könnten auch anders aussehen.
Was kann man von einer / einem Coburgerin / Coburger auch anders erwarten?