Oberfranken: Zahl der Sexualdelikte in 10 Jahren mehr als verdoppelt - woran liegt das?
Autor: Max Schmidt
Bayreuth, Donnerstag, 01. April 2021
Die oberfränkische Polizei musste im vergangenen Jahr in mehr als 900 Fällen wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ermitteln. Die Zahl der Sexualdelikte erreicht damit einen neuen Höchstpunkt und im Jahr 2021 ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Was ist der Grund für den drastischen Anstieg der Sexualdelikte?
936 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung registrierte das Polizeipräsidium Oberfranken im Kalenderjahr 2020. Im Jahr 2011 waren es noch genau 500. Somit hat sich die Zahl der Sexualdelikte in Oberfranken innerhalb eines Jahrzehnts beinahe verdoppelt. Die Ursache dieser erschreckenden Entwicklung ist der Polizei jedoch gut bekannt.
Jedes Jahr im März veröffentlicht das Polizeipräsidium Oberfranken die oberfränkische Kriminalstatistik. In ihr wird die Kriminalitätsentwicklung des Bezirks dargestellt. Einige wichtige Kriminalitätsbereiche werden einzeln aufgeschlüsselt. Mit dabei: Sexualdelikte. Dieser Sammelbegriff fasst Straftaten wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Zuhälterei und sexuelle Belästigung zusammen. Außerdem beinhalten Sexualdelikte auch viele Straftatbestände, welche im Zusammenhang mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen stehen, wie etwa das Verbreiten von Kinderpornografie. Neben den Sexualdelikten musste sich die Oberfränkische Polizei auch mit einem starken Anstieg der Wohnungseinbrüche beschäftigen. Zusätzlich haben die Drogendelikte in der Region stark zugenommen: Bei der Suche nach Erklärungen legt die Polizei ein besonderes Augenmerk auf Crystal und Cannabis.
Drastischer Anstieg der Sexualdelikte
Der Anstieg von 500 auf bald zu erwartende 1.000 Fälle entspräche einem Wachstum von 100 Prozent. Alleine von 2019 auf 2020 wuchsen die Fallzahlen der Sexualdelikte von 813 auf 936 - das entspricht einem Anstieg um 15,1 Prozent. Bayernweit steht Oberfranken im Vergleich dennoch erstaunlich gut dar: von 9.050 Fällen im Jahr 2019 wuchs die Zahl in ganz Bayern auf 11.197 Fälle im Jahr 2020. Die Sexualdelikte stiegen somit in ganz Bayern um rund 24 Prozent.
Betrachtet man die oberfränkische Fallstatistik, sticht ins Auge, dass die Fallzahlen von 2011 bis 2016 einigermaßen stabil blieben. Selbstverständlich sind Schwankungen zu verzeichnen, insgesamt kann dennoch behauptet werden, dass sich die Zahl der Sexualdelikte vor 2016 nicht groß verändert hat. Ganz Bayern verzeichnet diesen Trend.
Um diese Zahlen richtig einzuordnen, muss man eines beachten: Kriminalstatistiken geben keine genaue Auskunft darüber, ob eine Straftat tatsächlich öfter verübt wurde oder nicht. Sie spiegeln lediglich wider, wie oft eine entsprechende Straftat von der Polizei aufgenommen wurde. Wie das Bundesinnenministerium in der polizeilichen Bundeskriminalstatistik einräumt, bilden die Zahlen nur das sogenannte "Hellfeld" ab. Der "Dunkelbereich" - also die Straftaten, welche nicht bei der Polizei gemeldet werden - könnte viel größer sein.
Neue Gesetzeslage für besseren Schutz vor sexueller Gewalt
Um diese Dunkelziffer so klein wie möglich zu halten, hat der Gesetzgeber einige Werkzeuge zur Hand: eine Beeinflussung des Anzeigeverhaltens, eine höhere polizeiliche Kontrollintensität, eine Änderung der statistischen Erfassung und eine Änderung des Strafrechts. Im Falle der Sexualdelikte ist laut der Polizeiinspektion Oberfranken vor allem eine Reform des Sexualstrafrechts vor vier Jahren die Ursache der stetig steigenden Zahlen.
Der Bund und die Länder einigten sich 2016 auf eine umfassende Ausweitung der unter dem Begriff Sexualdelikte verfolgten Straftaten. So wurde unter anderem der Grundsatz "Nein heißt Nein" in dem Gesetz verankert. Betroffene Frauen und Schutzbedürftige sollen besser vor Übergriffen geschützt werden und diese auch leichter zur Anzeige bringen können. Der damalige bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) kommentierte die Reform mit: "Es ist dringend an der Zeit, die bestehenden Schutzlücken und Wertungswidersprüche im Sexualstrafrecht zu beseitigen."