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Der neue "Holländer" ist szenisch ein Debakel


Autor: Monika Beer

, Donnerstag, 26. Juli 2012

Der Premierenzyklus der Bayreuther Festspiele begann am Mittwoch mit der Oper "Der fliegende Holländer". Die Neuinszenierung von Jan Philipp Gloger ist leider misslungen.
Der Tenor Benjamin Bruns (Mitte) in der Rolle des Steuermanns neben Chorsängern. Foto: Timm Schamberger, dapd


"Ihr Welten, endet euren Lauf!", singt Richard Wagners fliegender Holländer, wenn sein Fluch ihn wieder mal ans Land geworfen hat. "Ew'ge Vernichtung, nimm mich auf!" Der Ruf des zur ewigen Seefahrt Verdammten ist in Bayreuth erhört worden. Allerdings weniger durch die Liebe einer Frau, sondern von einem jungen Regisseur: Volle Kraft voraus hat Jan Philipp Gloger sein Festspiel-Debüt in den Sand gesetzt. Die Inszenierung ist geradezu lächerlich banal und bieder, langweilig, leer und voll von scheinbar modischen Klischees, die von vorgestern sind.

Bayreuth hat also nach dem "Tannhäuser"-Debakel vom letzten Jahr schon wieder einen Regietheater-Unfall. Und der hat wohlgemerkt nichts damit zu tun, dass fünf Tage vor der Premiere der Titelprotagonist nach fünf Probenwochen wegen eines alten und überdeckten Hakenkreuz-Tattoos plötzlich ersetzt werden musste. Ob der abgereiste Evgeny Nikitin besser gewesen wäre als der Samuel Youn können sowieso nur jene beurteilen, die auch in der Hauptprobe gesessen sind.

Ein Titelheld mit Potenzial


Fest steht, dass der theatralische Funke vom neuen Holländer eigentlich erst ins Publikum übersprang, als alles vorbei war. Bei seinem ersten Solovorhang fiel der südkoreanische Sänger hochdramatisch auf die Knie - was die einen fast zu Tränen rührte, während andere sich fatal an Otto Schenks Opernparodien erinnert fühlten. Wie auch immer: Seine Leistung als Einspringer war beachtlich, aber ein Holländer von Format ist Samuel Youn noch nicht. Immerhin: Sein sängerisches Potenzial ist ausbaufähig.

Was das Darstellerische betrifft, war er von vornherein auf verlorenem Posten. Denn die Inszenierung scheitert fast durchgängig darin, die Figuren so lebendig und plastisch werden zu lassen, dass sich die Zuschauer von ihnen angesprochen fühlen. Mich hat genau genommen nur Erik (Michael König) interessiert, der als Hausmeister durch die Szenen werkelt (was normalerweise mit zu den Regietheatermacken gehört, die man neben blauen Müllsäcken, breiten Kehrbesen, Trolleys, Handys, Sonnenbrillen, und so weiter verbieten sollte). Aber er entwickelt sich, hat eine Persönlichkeit.

Langweilige Klischees


Alle anderen sind auf Klischees reduziert: Beim soignierten und doch schleimigen Anzugträger Daland (stimmlich solide: Franz-Josef Selig) blitzt immer wieder operettenhaft die Krawattennadel auf, der Steuermann (sehr agil: Benjamin Bruns) ist auf hektische Geldgier abonniert und Sentas Amme Mary (Christa Mayer) in ihrem strengen Kostüm darf ihre hochgesteckten Haare schon während Sentas Ballade fallen lassen.

Sowohl der Holländer als globaler Businessplayer mit Rollkoffer und merkwürdigen Verletzungen an Kopf und Hand als auch die irgendwie kindlich gebliebene Senta (sängerisch in Höchstform: Adrianne Pieczonka) in ihrem penetranten Rot-ist-die-Liebe-Kleid sind Borderliner. Während er sich coram publico in den rechten Unterarm ritzt, bastelt sie sich aus Pappkartons eine Traumwelt mit Holländer-Figur, Häusern und Blumen, welche sie mit Farbtopf und Pinsel bemalt - natürlich rot wie Blut!

Ventilatoren statt Spinnräder


Die beiden treffen in einer Fabrikhalle aufeinander, in der emsige Chorfrauen in hellblauer Arbeitsuniform unter Gesumm und Gebrumm Ventilatoren verpacken. Wenn die Liebesszene von Senta und Holländer anhebt, beginnt ihr Kartonrefugium sich zu drehen, während sich aus dem Bühnenhimmel Sterne aus Pappkarton senken. Das könnte gleichermaßen bitter, böse und poetisch sein - wunderbare Beispiele dafür sind David Böschs Arbeiten an der Bayerischen Staatsoper - ist es aber leider nicht. Sondern wirkt nur, samt den kartonierten Engelsflügeln, dilettantisch und peinlich.

Zuvor hat Bühnenbildner Christof Hetzer eine Art finstere Matrix auf die wasserspiegelglatten Bretter gestellt, die stimmig beleuchtet und übermalt (Licht: Urs Schonebaum, Video: Martin Eidenberger) auf den ersten Blick beeindruckt, aber schnell zu bloßem Dekor absinkt, zusammen mit dem kleinen Holzboot, auf dem Daland und der Steuermann stranden. Als Verwandlung zum 2. Akt klappt die Matrixwand einfach auf, während der in hellgraue Anzüge gekleidete Matrosenchor (Kostüme: Karin Jud) den Fabrikhallenkasten langsam nach vorne schiebt. Hat man leider alles irgendwo schon überzeugender gesehen.

Spielopernhafte Leichtigkeit


Bei der Festspielpressekonferenz hat Regisseur Gloger noch betont, dass diese Produktion in den letzten eineinhalb Jahren sein Lebensmittelpunkt war. Da hat er viel investiert in ein paar nette und viele mittelmäßige Einfälle, die vielleicht an einem Stadttheater funktionieren könnten, aber nicht im Festspielhaus von Bayreuth. Dass er es besser kann, zeigt seine "Alcina"-Inszenierung in Dresden: Dort hat er sich weder pseudo-kritisch noch pseudo-ironisch verzettelt, sondern mit packenden Figuren eine ebensolche Geschichte erzählt.

Bleibt die musikalische Interpretation - und die löste am Premierenabend fast schon uneingeschränkt Jubel aus. Dem hohen solistischen Gesamtniveau setzten die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre und das Festspielorchester unter Christian Thielemann das Sahnehäubchen auf. Mit 110 Festspielaufführungen in Herz und Hinterkopf meistert der 53-jährige Dirigent nicht nur die akustischen Tücken souverän. Sondern kann sich die Freiheit nehmen, die spielopernhafte Leichtigkeit in dem 1843 vom 29-jährigen Wagner selbst uraufgeführten Werk ebenso zu akzentuieren wie rabenschwarze Verzweiflung und Pathos. Das ist festspielreif und festspielwürdig.