"Wir müssen den Opfern die Angst nehmen"
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Montag, 01. Oktober 2018
Die Rechtsanwältin Eva Hastenteufel-Knörr ist Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums Bamberg. Betroffene melden sich auch 2018 bei ihr.
Eine 300 Seiten-Studie, die kaum einer gelesen hat, ist in aller Munde: Die "MHG-Missbrauchsstudie" hat Fakten aus der katholischen Kirche dokumentiert, die in der Öffentlichkeit erst einmal auf Zahlen reduziert werden. Die sind allerdings erschütternd genug, um weitreichende Konsequenzen von den deutschen Bischöfen zu fordern.
Auch das Erzbistum Bamberg bleibt vom Sturm der Empörung nicht verschont. Während Erzbischof Ludwig Schick in der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda weilte, stellte sich Generalvikar Georg Kestel den Medienvertretern und präsentierte die regionalen Zahlen aus der Studie. 1711 Personalakten von Priestern und Diakonen aus dem Zeitraum 1946 bis 2015 wurden untersucht. In 41 Personalakten (2,4 Prozent) wurden Hinweise auf sexuellen Missbrauch und Grenzverletzungen entdeckt. 88 Opfer sind zu beklagen.
Generalvikar Kestel schwört auf die Bibel, dass im Zuge der Untersuchungen nichts an den Personalakten manipuliert, nichts daraus entfernt wurde. Ob dies in früheren Jahren geschehen sei, könne nicht mehr nachvollzogen werden, räumt er ein. Und auch nicht alles stehe in den Akten, denn "Opfer sprechen spät".
Keine Frage des Alters
Diese Erfahrung bestätigt Eva Hastenteufel-Knörr, die als externe Rechtsanwältin seit 2011 Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums Bamberg ist. In einem Exklusiv-Gespräch mit unserer Zeitung wirbt die Anwältin darum, Opfern die Angst zu nehmen, sich zu melden: "Sie haben auch Angst wegen der Machtstruktur in der Kirche und vor Sanktionen durch die Täter und sind häufig traumatisiert", weiß Eva Hastenteufel-Knörr. Sie erlebe immer wieder, dass sich weit überwiegend ältere Betroffene an sie wenden. So wie in diesen Tagen eine 80-jährige Frau, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt im kirchlichen Bereich erfahren musste. "Ich möchte mit dem Missbrauch in meinem Leben abschließen", habe die alte Dame die Kontaktaufnahme begründet. "Wegen Scham, Ohnmacht, seelische Belastung konnte sie nicht früher darüber sprechen", so die Missbrauchsbeauftragte.
Eva Hastenteufel-Knörr, bei der sich Opfer kostenlos und auf Wunsch anonym beraten lassen können, belässt es nicht beim Zuhören und Vermitteln von therapeutischer Begleitung. Wenn Betroffene "stabil sind und Namen nennen, informiere ich die Bistumsleitung". Anhörungen von Opfern und Beschuldigten folgen. Bestätigt sich der Verdacht, wird in strafrechtlich relevanten Fällen umgehend die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft eingeschaltet: "Seit 1999 gab es insoweit 22 Fälle, wegen Verjährung wurden die Verfahren zumeist eingestellt oder der Beschuldigte ist verstorben", fasst Hastenteufel-Knörr zusammen.
Und sie sagt auch, dass von diesen 22 Tätern nicht alle Priester gewesen sind. Bis ins aktuelle Jahr 2018 melden sich Opfer von Grenzverletzungen durch haupt- und ehrenamtliche Laien im kirchlichen Bereich: "Beschuldigte sind Männer und Frauen." Im Jahr 2017 gab es sechs entsprechende Meldungen, im Jahr 2018 sind es bisher vier. Zwei Priester gehören zu den Beschuldigten.
Präventionsprogramm
Missbrauch beginnt bei verbaler Anmache, geht über Angrapschen bis zur Vergewaltigung: "Der einfachste Hinweis - auch ohne Beweis - reicht für eine Erfassung in der Personalakte", hatte Generalvikar Kestel in der Pressekonferenz gesagt. Rechtsanwältin Hastenteufel-Knörr sieht denn auch eine gewachsene Sensibilisierung in der Öffentlichkeit generell für Missbrauch. Sie nennt die "Nähe-Distanz-Problematik", die die umfassende Präventionsmaßnahme des Erzbistums Bamberg sowie die anderen Diözesen angegangen sei: "Keine andere Institution leistet nach meinem Kenntnisstand bisher Ähnliches".