Im Juli 1969 besuchten prominente Vertreter der APO Bamberg: Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann brachten die Stadt in die Schlagzeilen.
Ruhig und beschaulich ging's in Bamberg in den 60er Jahren zu, verglichen mit den Brennpunkten der Studentenrevolte. Der "Nabel der Welt", an dem es nicht mal eine Universität gab, war für die überregionalen Medien kein Thema. Im Juli 1969 aber überschlugen sich die Ereignisse, über die "Der Spiegel" mehrfach berichtete, ebenso "Die Zeit" und diverse andere Medien: Der Außerparlamentarischen Opposition (APO) war's zu verdanken, dass die tiefschwarze Domstadt in den Blickpunkt des Interesses rückte. Aktivisten fielen ins Landratsamt ein, eine nur etwa zehn Minuten dauernde Aktion, nach der die Teilnehmer dem Café Sandbad einen unfreiwilligen Besuch abstatteten - darunter der aus Bamberg stammende Dieter Kunzelmann und Fritz Teufel.
"Knast-Camp" boykottiert
Rund 40 APO-Leute stürmten am 16. Juli das spätere Kreiswehrersatzamt am ZOB. Gegen 12.20 Uhr drangen sie bis ins Büro des Landrats vor, der das in Ebrach geplante "Knast-Camp" der APO boykottierte: eine einwöchige Solidaritätsaktion für den hier inhaftierten Demonstranten Reinhard Wetter. Vorsorglich hatte Otto Neukum das Zelten außerhalb genehmigter Campingplätze untersagt, was man mit ihm wohl auszudiskutieren suchte.
Akten flogen aus dem Fenster
Nur glänzte der Landrat in der Mittagspause durch Abwesenheit, so dass es zu keinem verbalen Schlagabtausch kam. Statt dessen flogen Akten und Schriftstücke, die auf Neukums verwaistem Schreibtisch lagen, aus dem Fenster. Ein Kruzifix nahmen die Aktivisten noch von der Wand, hängten es aber gleich wieder zurück, als ein anwesender Beamter protestierte. Gegen 12.30 Uhr begannen die vom Landrat gerufenen Kräfte der Bamberger Stadtpolizei zusammen mit einem Zug der Bereitschaftspolizei indes schon, das Gebäude zu räumen.
Kunzelmann "entfleuchte"
39 Invasoren wurden festgenommen. Allein Kunzelmann fehlte, der dem "Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates entfleuchte", wie die Autoren der von Werner Kohn herausgegebenen Veröffentlichung "In Bamberg war der Teufel los" vermerkten. Allerdings wurde der Kommunarde zwei Stunden später festgesetzt, nachdem er sich mit anderen APO-Leuten vor dem Polizeigebäude einfand, um die Inhaftierten mit Schokolade, Obst und Kaugummis zu versorgen.
Gymnasiasten wehren sich
"Der APO ging's darum, verkrustete Strukturen in Gesellschaft und Politik aufzubrechen - wie man sie damals auch in Bamberg spürte", sagt Kohn, der das gesamte Geschehen als Fotograf dokumentierte. "Selbst Lehrer brachten ihre zu dieser Zeit noch von der NS-Ideologie geprägte Weltsicht offen zum Ausdruck." Was viele Gymnasiasten nicht länger hinnehmen wollten, die die "Demokratisierung der Schule forderten" und zu einem Teil der 68er-Bewegung wurden. Aber es gab auch andere, die sich einfach nur aufs Abi vorbereiteten, wie beispielsweise Gerhard C. Krischker, der neben Rudi Sopper, Werner Mayer und Wolfgang Will die Texte zu "In Bamberg war der Teufel los" lieferte. "Ich bin heute ein 69er (Jahrgang 1947), aber ich war kein 68er-Aktivist. Die Jahrgänge nach uns waren weitaus politischer."
Gardinenpredigt in der Kirche
Kohn war mit der Kamera in der Hand politisch aktiv. Allerdings erinnert seine Veröffentlichung auch an eine "Jugendsünde", bei der der Jahrzehnte später mit dem Berganza-Preis und dem E.T.A.-Hoffmann-Preis der Stadt gewürdigte Künstler im Januar 1969 den Frühgottesdienst in St. Martin mit einer "unerwünschten Predigt über die Feigheit des Christenmenschen" störte und festgenommen wurde. Normalerweise aber stand der Fotograf im Hintergrund und dokumentierte die Ereignisse jener Jahre - auch jenseits regionaler Grenzen. "Über die Künstlergruppe ,SPUR' hatte ich gelernt, die Fotografie als Instrument zu begreifen, um Kritik zu üben."
Rebellion hielt sich in Grenzen
Schon vor dem "Sturm aufs Landratsamt" war es in Bamberg zu Aktionen gekommen, die sich allerdings in Grenzen hielten. So gab's damals nur die Theologisch-Philosophische Hochschule und die Pädagogische Hochschule, deren Studenten gegen das Establishment nicht groß rebellierten.
Sitz-Blockade als Protest gegen den Vietnam-Krieg
Immerhin suchte der Republikanische Club in Bamberg Sympathisanten zu mobilisieren. Eine Demonstration gegen den Vietnam-Krieg vor der US-Kaserne sorgte im April 1968 für Aufsehen. Gefolgt von einer Sitz-Blockade gegen die Notstandsgesetze auf dem Schönleinsplatz, die Ende Mai über die Bühne ging: Um die 50 Teilnehmer ließen sich bei dem Sit-in nieder, bis das Einsatzkommando der Stadtpolizei eintraf und die Kreuzung räumte. "Die zufällig anwesenden Bamberger Bürger sparten nicht mit aufmunternden Zurufen wie ,Fahrt sie doch über den Haufen' oder ,Ab ins Arbeitslager!'", liest man in "In Bamberg war der Teufel los".
Landrat privat "aufgesucht"
Wie ging's nach dem "Sturm auf das Landratsamt" weiter? Ein Bamberger Student wurde in der Nacht offenbar noch beim Versuch festgenommen, über das Hoftor ins Privatanwesen des Landrats einzusteigen, so Willy Heckel, der frühere Leiter der Lokalredaktion in "Bamberg im 20. Jahrhundert". Die restlichen APO-Leute, die einige Stunden lang inhaftiert waren, verließen das Gefängnis nach ihrer Vernehmung wieder - begrüßt von Gesinnungsgenossen, die in der Sandstraße schon auf sie warteten - neben entrüsteten Bürgern.
Stoff für den Wahlkampf
In einem üblen Zustand aber hatten die Inhaftieren ihre Zellen hinterlassen: Offenbar setzten sie sie unter Wasser. Toiletten wurden verstopft, ein Bettlaken angezündet und ein Fenster ausgehängt. Was ein gefundenes Fressen für CSU-Chef Franz Josef Strauß war, der sich "einen Wahlkampf lang an der APO berauschte, wie ein Hippie am Hasch", so "Der Spiegel" 1969: "Diese Personen", wetterte der damalige Finanzminister, "benehmen sich wie Tiere, für die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist."
Brave Bürger rasten aus
Zu welchen Übergriffen es von Seiten braver Bürger kam, darüber schwieg sich Strauß natürlich aus. So verwüsteten aufgebrachte APO-Gegner zwei Tage nach dem "Sturm aufs Landratsamt" einen Treffpunkt in der Kleberstraße: Mehrere Menschen wurden in dem "Politbuchladen" zum Teil krankenhausreif geschlagen. Auch andernorts kam es zu Gewalt gegen Demonstranten, deren Aktionen viele damals als ungeheuerlich werteten: geprägt von einer Zeit, in der der kompromisslose Gehorsam gegenüber der Obrigkeit über dem eigenen Gewissen stand.