Michl Müller verkauft die Bamberger Brose-Arena aus: Frauen sind kompliziert und Helene Fischer tanzt wie Flugbegleiterinnen.
Man kennt das Shirt. "Dreggsagg" steht darauf, ein sogenanntes Markenzeichen. Einige Fans von Michl Müller haben es sich sogar besorgt und angezogen, sich der Selbstbezeichnung anschließend. Es gibt jetzt auch Kühlschrankmagneten und Mützen und Pralinen: Dreggsagg, Dreggsagg, Dreggsagg. Der Künstler verschwindet hinter den Boxen seiner Merchandise-Produkte.
Der Künstler, denkt man, fränkische Comedy Schrägstrich Kabarett halt, Bayrisches Fernsehen, Veitshöchheim. Letzteres, dieser Faschings-Trara unerklärlicher Popularität hat aus Kleinkunst-Müller wahrscheinlich so etwas wie einen Star gemacht, der die Brose-Arena mal eben ausverkauft.
"Nicht Shakespeare... Müller" heißt das neue Programm des Bad Kissingers, warum, fragt man sich, ja warum eigentlich? Es soll an diesem Abend um alles gehen, vor allem um die Liebe, Romeo und Julia, klar. Müller kommt raus, energisch, drahtig, superaufgekratzt, ruft: "Es ist Frühling!" Die
Bamberger schmeißen sich weg. Geiler Job.
Und dann wird es direkt auch nicht eben literarisch, Shakespeare-mäßig, sondern politisch: "Ein Franke ist Ministerpräsident!" Tatsächlich jubelt das Publikum, als wäre das ein Verdienst. Zum Glück setzt Müller noch nach: "Die Not muss wirklich groß sein." Der Rest dieser kleinen tagesaktuellen
Einlage ist Aufgewärmtes: Sigmar Gabriel ist dick und Merkel schon lange im Amt, okay.
Zweites wichtiges Thema: Körperhygiene. Auch das kennt man von deutschen Comedians, die gerne den Eindruck erwecken, der Mann an sich wäre lieber Höhlenmensch geblieben, bis er unter die zwanghafte Fuchtel der Kosmetikindustrie geriet. Vor zehn, 15 Jahren, muss das gewesen sein, die
Zeitspanne, in der sich im Müller-Kosmos alles änderte.
Vom Bamberger Publikum will er wissen, wer denn untenrum rasiert sei. Und tatsächlich meldet sich einer, ein einziger: Rainer aus Pettstadt. "Rainer", verspricht Müller, "du wirst jetzt den Rest des Abends erwähnt." So ist es und das sorgt tatsächlich immer wieder für Erheiterung, auch beim
Rainer.
Soweit, so erwartbar. Dann funkt der Shakespeare aber wirklich noch rein ins Programm in Form eines sprechenden, sächselnden Totenkopfs. Der behauptet, er habe das alles gar nicht geschrieben: "Das war mein Bruder, der Heiko. Der war übrigens Legastheniker." Kurzer, netter Nonsense-Dialog
mit dem Schädel, dann wirft Müller ihm wieder ein Handtuch über.
Zwischendurch flicht er mehrmals die Geschichte einer Urlaubsreise ein, zu acht, alle schwer verliebt, nach Verona. Diese Erzählung soll wohl gar nicht den Eindruck von Authentizität erwecken. Man habe unbedingt den Balkon von Romeo und Julia sehen wollen. "Das musst du machen, wenn du
verliebt bist." Die Binnen-Story streckt den Abend auf letztlich über drei Stunden.
Sympathisch wird's, wenn Müller diesen bübischen Frechdachs rauskehrt und einfach rumalbert, bis er selber drüber lachen muss. Wenn er absichtlich schlecht tanzt zu seinen Songs oder die Parallelen von Helene-Fischer-Choreographien und Sicherheitsunterweisungen im Flugzeug verdeutlicht. Gesungen wird nämlich auch, etliche Male, Comedy-Schlager, der zwar irgendwie ironisch ist, aber ja trotzdem die gleichen Reflexe aktiviert: Ja, es wird geklatscht, vereinzelt sogar gesungen, spätestens
bei der Zugabe, der Ingwerreibe. Jetzt schnell raus hier.
Klar, es gibt nette Einfälle. Michl Müller hätte gerne eine schöne Beerdigung. "Ich bin schon in 90 Vereinen", sagt er. Wegen der netten Trauerreden der Vorsitzenden. Und weil wir in Zeiten von
Lebensmittelskandalen leben, bietet er sein Grab gleich noch als Anbaufläche an: "Es muss nicht immer priemelig sein. Der Trend geht zu Zucchini, Radieschen, Kopfsalat. Man darf nur nicht zu tief graben."
Den Erfolg von Michl Müller erklärt das eigentlich nicht. Es ist vielmehr ein Humor, der funktioniert, weil der oder die Angesprochene hoffentlich denkt: Kenn ich! Und dann lachen muss, mehr über sich selbst und das eigene Leben. Und deswegen ist das alles auch über weite Teile so tief aus der Klischeekiste: Im Baumarkt wird man schlecht beraten. Warteschleifen von Telekommunikations-Anbietern sind nervig. Heutzutage gibt es viele Apps.
Und natürlich: Frauen sind so kompliziert und shoppen gern. Und sogar: "Für Frauen ist es normal, dass sie hormonell mal austicken." Was? Dabei wäre es schön, wenn Müller wirklich Geschichten über Baumärkte und Beziehungen anzubieten hätte, etwas Persönliches, Originelles. Stattdessen haben wir es mit einer Art Schrotgewehr-Humor zu tun: Möglichst breite Streuung, hohe Wahrscheinlichkeit, irgendwen zu treffen. Aber nicht präzise. Wenn er von Freundin Uschi und Freund Carlos erzählt, der einen Verlobungsring in der Paella versteckte, so dass sie ihn aß, wirkt das nicht wie potenziell wahr und absurd, sondern eher wie angelesen im großen Buch des deutschen Humors.
Und als hätte man es erwartet, tappt Müller dann zu allem Überfluss auch noch in die ultimative Comedy-Falle: Jugendsprache nachahmen. Schließlich ist er jetzt noch seine eigene Romeo-und-Julia-Version schuldig. Romeo heißt Hassan und spricht so: "Ey, ich lieb dich voll konkret krass." Und so haben Erkan und Stefan Jugendsprache nachgemacht, aber das ist fast 20
Jahre her.
Michl Müller hat Bock auf dieses Programm, das Publikum auch, das ist das Wichtigste. Es wird gelacht. Nach drei Stunden verlässt man die Arena und hat nicht das Gefühl, diese Figur kennengelernt zu haben. Viel mehr wirkte das wie ein Remix von Dagewesenem. Michl Müller, das wäre bei dem Namen schon fast wieder konzeptuell, gibt es eigentlich gar nicht. Er ist ein Abziehbild, ein Max Mustermann lokal gefärbter Comedy.