Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: Diese fränkischen Regionen waren auf der Karte tiefrot

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Tschernobyl-Katastrophe erreichte Franken schnell
Das heutige Kernkraftwerk Tschernobyl mitten im Kriegsgebiet: Von hier aus wanderte 1986 eine gefährliche radioaktive Wolke bis nach Franken.
Tschernobyl-Katastrophe erreichte Franken schnell
Efrem Lukatsky (AP)

In der Nacht auf den 26. April 1986 misslingt ein Experiment sowjetischer Forscher im Kernkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine. Daraufhin zieht eine gefährliche Wolke von Osteuropa her in Richtung Franken - sie hat unheilvollen Regen im Gepäck.

  • Katastrophe von Tschernobyl: Reaktor-Explosion am 26. April 1986
  • Vor 36 Jahren: Radioaktive Wolke zieht über Franken hinweg 
  • Regenfälle führen zu verseuchten Böden: Viele fränkische Landkreise auf Karte tiefrot
  • Achtung verstrahlt: Hier sind die Folgen des Atom-Gaus noch heute sichtbar

Vor 36 Jahren passierte das Unglück, das sich tief in das Gedächtnis Europas eingegraben hat. In der Nacht auf den 26. April 1986 verloren sowjetische Ingenieure bei der Simulation eines vollständigen Stromausfalls die Kontrolle über ihre Meiler im Atomkraftwerk Tschernobyl. Ein Reaktor, die Nummer Vier, explodierte, radioaktive Stoffe wurden in die Atmosphäre geschleudert. Eine schädliche Wolke zog über Europa hinweg - erst Richtung Schweden, dann über Österreich und Bayern auch nach Franken. Vor allem dort, wo es regnete, zeigte es sichtbare Folgen - wie heute mit Blick auf eine Karte nachvollzogen werden kann.

Radioaktive Wolke aus Tschernobyl über Franken: Diese Regionen hatten die höchsten Strahlenwerte

Denn mit dem Regen drangen radioaktive Stoffe in den Boden. Zwei Wochen während und nach Durchzug der "Aktivitätsfahne" von Tschernobyl 1986 hatte das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) mit tragbaren Strahlungsmessgeräten die Umweltradioaktivität in den bayerischen Landkreisen erhoben - mit schockierendem Ergebnis. Die Karte des LfU zu den damaligen Messungen zeigt ein in weiten Teilen tiefrotes Franken. Für folgende fränkische Städte und Kreise wurde bei der bodennahen Messung der Radioaktivität der höchste Grenzwert überschritten:

  • Kreis Bamberg
  • Stadt Bamberg
  • Kreis Lichtenfels
  • Kreis Hassberge
  • Kreis Kulmbach
  • Kreis Bayreuth
  • Kreis Nürnberger Land
  • Stadt Erlangen
  • Stadt Aschaffenburg
  • Kreis Hof
  • Kreis Wunsiedel
  • Kreis Ansbach
  • Kreis Roth
  • Kreis Bad Kissingen
  • Kreis Neustadt a.d. Aisch-Bad Windsheim

Ebenfalls deutlich erhöhte Strahlenwerte, wenn auch nicht über der höchsten Grenzwertstufe, wurden in den Kreisen Rhön-Grabfeld, Forchheim, Aschaffenburg und Miltenberg gemessen. In der landesweiten Übersichtsdarstellung stellte das LfU allerdings "ein ausgeprägtes Süd-Nord-Gefälle der Bodenbelegung" fest. Bayern war demnach "in einen relativ stärker beaufschlagten südlichen Teil und in einen geringer kontaminierten nördlichen getrennt", so die Behörde in einem Bericht von 2006. Der Grund: Die Strahlen-Wolke kam zuerst in Südbayern an und wurde "dort im Wesentlichen durch häufige und heftige lokale Regenfälle ausgewaschen".

Panik nach Reaktor-Unglück in Tschernobyl: Verseuchte Milch aus Bayern wird dekontaminiert

Nachdem die Sowjetregierung den Reaktor-Unfall erst mehrere Tage nach dem Unglück eingeräumt hatte, brach in Deutschland vielerorts Panik aus. Jod-Tabletten-Käufe, elterliche Angst um ihre Kinder und die Vernichtung von Ernten waren die Folge. Am 23. Mai gaben mehrere Landesregierungen Entwarnung, wie der SWR berichtet.

Gemüse könne wieder ohne Bedenken gegessen werden, hieß es. Die radioaktive Wolke hatte vor allem Jod 131 nach Deutschland gebracht, das nach einigen Wochen vollständig verschwunden war, erklärt der SWR. Doch zwei Jahre nach Tschernobyl saß Deutschland noch auf 5000 Tonnen verstrahltem Molkepulver, das aus Bayern kam. Hier waren die Milchkühe zum Weiden auf die Wiesen gelassen worden.

In einem Gebäude des stillgelegten AKWs Lingen wurde der Molke schließlich das Cäsium entzogen, wie der SWR schreibt. Der Freistaat Bayern hat stets betont, dass in Bayern keine gesundheitlichen Auswirkungen von Tschernobyl gegeben habe. Untersuchungen an Kindern Ende der 80er-Jahre hätten etwa "keine regionalen und zeitlichen Änderungen der genannten Gesundheitsparameter ergeben", was Fehlbildungen oder Ähnliches betreffe. 

Verstrahlte Wildschweine, radioaktive Pilze? So ist die Lage in Franken heute

Und heutzutage? Für Pilze und Fleisch von Wildschweinen, die den belasteten Waldboden nach Nahrung durchwühlen, wiesen Stichproben der Behörden aus Bayern 2021 noch immer Spitzenwerte auf: Weißer Rasling aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen - 5100 Becquerel, Semmel-Stoppelpilz aus dem Landkreis Miesbach - 1300 Becquerel oder Wildschwein aus dem Landkreis Ostallgäu - 1400 Becquerel.  In einem guten Jahr sind nach Experten-Schätzungen etwa 10 bis 15 Prozent der erlegten Wildschweine aus den betroffenen Gegenden in Bayern so verstrahlt, dass sie entsorgt werden müssen.

Es können aber auch bis zu 60, 70 Prozent sein, berichtete die Deutsche Presseagentur vor genau einem Jahr. Die Strahlung der Wildschweine schwankt je nach Jahr und Jahreszeit. Entscheidend ist dabei die Nahrung. Je weniger die Tiere im belasteten Waldboden nach Nahrung wühlen, desto weniger sind sie verstrahlt. Es wird wohl noch 70 bis 80 Jahre dauern, bis sich die Belastung bei den Wildschweinen zumindest halbiert, schätzen Forscher.

Auch wenn der radioaktive Stoff langsam zerfalle, nähmen die Tiere noch mehr als genug davon auf. Das Landesamt für Umwelt wagt gegenüber der Deutschen Presseagentur erst gar keine Prognose. "Eine Aussage darüber, wann die Aktivität nicht mehr messbar sein wird, ist nicht möglich", so eine Sprecherin. Allerdings gibt es für Franken auch hier wieder gute Nachrichten: Die vergangenen Pilzstichprobenmessungen des Münchner Umweltinstituts ergaben lediglich einmal 2021 eine leicht erhöhte Belastung mit Cäsium-137, nämlich bei einem Maronenröhrling aus Roth. "Wildfleisch und Wildpilze würden "im Regelfall nur in relativ geringen Mengen verzehrt", so das LfU. Vorsicht gelte besonders bei Schwangeren und Kleinkindern, heißt es vom Umweltinstitut aus München. 

Ukraine gedenkt Tschernobyl-Katastrophe - russische Besetzung im Kernkraftwerk hätte "Tragödie" werden können 

Die Ukraine hat währenddessen mitten im Russland-Krieg der Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 36 Jahren gedacht. "Die Folgen der Tragödie waren wirklich schrecklich und betrafen ganz Europa", schrieb Ministerpräsident Denys Schmyhal am Jahrestag am Dienstag (26. April 2022)  im Nachrichtendienst Telegram. Schmyhal erinnerte auch an die kürzliche, über einen Monat währende russische Besetzung des stillgelegten Kraftwerks. Der kleinste Fehler hätte zu einer neuen "Tragödie" führen können, so Schmyhal. 

Im ukrainischen Fernsehen wurde als Zeichen des Gedenkens eine Kerze eingeblendet und um 12 Uhr Ortszeit eine Gedenkminute eingelegt. Dokumentationen zeigten das Gebiet nach dem Rückzug russischer Truppen Ende März. Die 30-Kilometer Sperrzone um das Kraftwerksgelände war unmittelbar nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 besetzt worden.

Der Unfall in Tschernobyl gilt als die größte Atomkatastrophe der zivilen Nutzung der Kernkraft. Infolgedessen wurden radioaktiv verstrahlte Landstriche um den Meiler gesperrt. Es gab Tausende Tote und Verletzte. Zehntausende Menschen wurden zwangsumgesiedelt.