Politikwissenschaftler in Bamberg: Populismus ist "wie ein schleichendes Gift"
Autor: Natalie Schalk
Bamberg, Montag, 14. August 2017
Politologe Andreas Püttmann über die katholische Kirche, die AfD und was wir in Deutschland vom Siegeszug Donald Trumps lernen können.
Andreas Püttmann ist ein Politikwissenschaftler mit intensiven Beziehungen zur katholischen Kirche. Deshalb hat er sich stark damit auseinandergesetzt, welche Rolle Kirche und Konservativismus im Rechtspopulismus spielen. Der 53-jährige Bonner hat einen besonderen Bezug zu Franken, seit er als Junge regelmäßig seinen Urlaub auf einem Bauernhof im Fränkischen Jura verbrachte.
Wir wollen über Populismus sprechen - bedeutet das automatisch, dass wir über die AfD reden?
Andreas Püttmann: Ansätze zu Populismus im Sinne der Definition des Duden gibt es in allen Parteien. In der AfD ist er allerdings regelrecht Programm, Webmuster, in rechtsnationaler Variante. In Südeuropa, wo man bis in die Siebzigerjahre unter rechten Diktaturen litt, ist der Linkspopulismus erfolgreicher. Manche Konservative bei uns hoffen, die politische Achse mit Hilfe der AfD von links nach rechts der Mitte bewegen zu können. Das ist ein Spiel mit hohem Risiko. An den USA sieht man, wie das schleichend verdirbt: Zehn Jahre nach Aufkommen der Tea-Party-Bewegung ist das gesellschaftliche Klima so vergiftet, dass ein verrohter rechter Maulheld wie Trump die Macht errang.
Rechtspopulisten beziehen sich immer wieder auf das christliche Abendland - welche Rolle spielen Katholizismus und Protestantismus dabei?
Umfragen zufolge wählen kirchennahe Katholiken und Protestanten in Deutschland weniger rechtspopulistisch als Konfessionslose. Es gibt eine christliche Schwarmintelligenz - katholisch-theologisch: "sensus fidelium" - die von der AfD weg weist. Aber als Christ ist man nicht automatisch auf der sicheren Seite: Im NS-Regime lagen viele Christen falsch. Heute verdankt die nationalistisch-autoritäre Regierungspartei PiS in Polen ihre Macht wesentlich der katholischen Kirche. Ein Faktor dabei ist die starke Ordo-Orientierung im Katholizismus. Der Protestantismus ist individualistischer ausgerichtet.
Ist der Katholizismus damit ein Nährboden für rechtes Gedankengut?
Jede Religion kann zur Ideologie denaturieren. Hinter dem Ordo-Gedanken steckt der vernünftige Glaube an die ausgleichende Gerechtigkeit der Gemeinschaft, die Notwendigkeit von Leitplanken. Wird diese Idee religiös sinnentleert, kann sie zum Gefäß für rechten Autoritarismus werden. Das funktioniert, wenn jemand sich vom Evangelium entfernt und in Formalismus erstarrt oder sich narzisstisch ins "Eigene" verkrümmt. Der Papst und die deutschen Bischöfe warnen vor dem Rechtspopulismus. Aber ideologisierte AfD-Gläubige werden sich nicht darum scheren. Sie sind sich selbst das höchste Lehramt.
Welche Rolle spielt umgekehrt die Religion in der AfD?
An den wenigen Stellen, wo im Parteiprogramm Kirche vorkommt, geht es um Abgrenzung gegen den Islam. Eine eigenständige Würdigung der Kirchen und ihrer Gemeinwohldienste gibt es nicht. Dort, wo in der Politik am ehesten vom Christentum die Rede ist, beim christlichen Menschenbild, vermeidet die AfD diesen Bezug und spricht von einem "differenzierten Menschenbild". Das zeigt die Verlogenheit der Rede vom "christlichen Abendland", das bloß zum antiislamischen Identitätsmarker verzweckt wird.
Ist jeder, der den Islam kritisiert, ein AfD-Christ oder Rechtspopulist?
Natürlich nicht! Man sollte auch nicht jedem, der den Islam skeptisch betrachtet, gleich "Islamophobie" unterstellen. Selbstverständlich darf man fragen, wo sich denn auf islamischem Kulturboden liberale Demokratien finden. Aber die Mitglieder einer anderen Religion pauschal als demokratieunfähig einzustufen, ist kultureller Rassismus und stimmt einfach nicht. So man wird den Muslimen nicht gerecht.
Was tun?
Ich halte es für wichtig, dass die Religionspolitik jene Kräfte im Islam stärkt, die unsere Gesellschaftsordnung bejahen, beispielsweise durch die staatliche Ausbildung von Religionslehrern in Kooperation mit den Islamverbänden. Fünf bis zehn Prozent Muslime im Land zu haben, sollte nicht zum Untergang des Abendlandes hochstilisiert werden. Aber Grenzen beim Zuzug müssen sein. Außerdem ist staatliche Repression gegen volksverhetzende oder gewalttätige Fanatiker wichtig - egal welchem Gedankengut sie anhängen. Ständiges Herumhacken auf einer Religion bringt aber nichts außer einer Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas.
Sie sprechen auch darüber, welche Rolle die Familie bei den Rechtspopulisten spielt - wieso?
Weil sie eine neue Art Klassenkampf propagieren: Christen gegen Muslime, Eltern gegen Kinderlose, Hausfrauen gegen berufstätige Mütter, Hetero- gegen Homosexuelle. Im AfD-Grundsatzprogramm wird zum Beispiel kontrafaktisch behauptet, die Wertschätzung für die traditionelle Familie gehe in Deutschland zunehmend verloren und die niedrige Geburtenrate sei die Folge einer dramatischen finanziellen Benachteiligung und Armut von Familien. In Wirklichkeit ist die Wertschätzung von Familie so hoch wie nie zuvor. Dem Allensbacher Institut zufolge meinen etwa 80 Prozent der Unter-30-Jährigen: "Man braucht eine Familie zum Glück". Es gibt allenfalls mehr Großzügigkeit als früher, auch Alleinerziehende und gleichgeschlechtliche Paare mit Kind als Familie zu verstehen. Das Leitbild ist aber mit Abstand immer noch: Vater, Mutter, Kinder. Und der Hauptgrund für Kinderlosigkeit ist nicht Armut, sondern dass man nicht den richtigen Partner gefunden hat. Die AfD macht Politik mit falschen Behauptungen und wiegelt Menschen gegeneinander auf.
Das Gespräch führte
Natalie Schalk.
Lesen Sie hier, wie der Bamberger Linguist Martin Haase die Sprache des Populismus zerlegt.