Polarisierend - aber alternativlos: Retten osteuropäische Kräfte die ambulante Pflege?
Autor: Stephan Großmann, Agentur dpa
Bamberg, Montag, 28. Oktober 2019
Weil in der ambulanten Pflege zu viele Fachkräfte fehlen, sind Betreuer aus dem Ausland unentbehrlich, sagen Experten. Doch die 24-Stunden-Betreuung ist nicht unumstritten.
Es sind Hunderttausende. Sie kommen hauptsächlich aus Polen, Rumänien oder Bulgarien, sind in der Regel Frauen, aber selten ausgebildete Pflegekräfte. In Deutschland greifen sie Ehepartnern und Verwandten unter die Arme, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen wollen. Die sind in der Regel auf bezahlbare Hilfe angewiesen - ohne die Kräfte aus Osteuropa wären sie oft aufgeschmissen.
Das System fußt doppelt auf Notständen. Viele der Osteuropäerinnen sind selbst bereits im Ruhestand, müssen ihre schmalen Renten aber aufstocken. Gerade sie leiden unter teils prekären Arbeitsbedingungen.
Statt nur zu betreuen und im Haushalt zu helfen, übernehmen viele die Aufgaben qualifizierter Pflegedienste, und zwar rund um die Uhr. Zwar gibt es Ruhephasen die Rufbereitschaft aber läuft im Prinzip ständig. Hinzu kommt: Neun von zehn arbeiten schwarz, wie die Verbände für häusliche Pflege schätzen.
Heimplatz als letzte Option
"Häusliche Pflege wäre ohne diese Betreuung nicht zu bewerkstelligen", sagt Professor Michael Isfort vom Deutschen Institut für Pflegeforschung (DIP). Für viele Familien sei ein Heimplatz nur die letzte Option, grundsätzlich gilt die Devise "ambulant statt stationär".
Die Kosten für eine Osteuropäerin entsprechen etwa dem Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim. Heißt: 2000 Euro müssen Interessierte mindestens einplanen, soll die Beschäftigung legal vonstatten gehen. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines ambulanten Dienstes hierzulande kann sich hingegen kaum einer leisten, monatliche Kosten steigen leicht ins Fünfstellige. Doch selbst wenn Geld da wäre: Weil Fachkräfte fehlen, könnten nicht ansatzweise alle Nachfragen bedient werden. "Personalmangel in der Pflege ist ein Risiko für die Patientensicherheit", sagt Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP). Wenn sich die Zahl der Pflegebedürftigen wie prognostiziert von 3,4 auf 4,9 Millionen im Jahr 2054 erhöhe, werde man kaum alle versorgen können.
Osteuropas Betreuungskräfte werden also vorerst wichtig bleiben. Frederic Seebohm, Geschäftsführer des Verbandes für Häusliche Betreuung und Pflege (VHBP), geht noch weiter und hält diese Arbeitsverhältnisse gar für alternativlos: "Gäbe es keine ausländischen Betreuungskräfte, bräuchte es auf einen Schlag bis zu 300 000 stationäre Pflegeplätze", sagte er.
Das aber ist utopisch. Laut ZQP mussten vier von fünf Pflegedienste in den vergangenen drei Monaten Versorgungsanfragen ablehnen, weil sie deren Versorgung nicht sicherstellen konnten.