Der Kosovo war lange Zeit das Land, in dem sich laut RKI die meisten Reiserückkehrer im August infizierten. Auch in Bamberg gab es viele Kosovo-Rückkehrer.
Es ist ein Trend, den Florim Gashi mit Sorge betrachtet: Das kleine Balkan-Land Kosovo führte einen Monat lang die Liste der Länder an, in dem sich die meisten Reiserückkehrer im Ausland infiziert hatten. 2946 Covid-19-Fälle mit dem wahrscheinlichen Ansteckungsland Kosovo listete das Robert-Koch-Institut (RKI) am 1. September auf. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Kroatien und die Türkei. In Spanien infizierten sich laut RKI in den vier Wochen zuvor nur 695 Menschen.
Gashi kam wie viele seiner Landsleute in den Wirren des Balkankriegs 1992 nach Bamberg. Als Mitglied des Integrationsbeirats und Vorsitzender des Deutsch-Albanischen Kulturvereins ist der 45-jährige mittlerweile zu einer Art Institition geworden. Wie viele der Exil-Kosovaren pflegt auch Gashi nach wie vor einen engen Draht in seine alte Heimat. Täglich telefoniert er mit seiner Mutter. Zum alljährlichen Ritual wurde der Sommerurlaub im Kosovo, wo sich die Verwandtschaft aus aller Welt einmal im Jahr trifft, Hochzeiten feiert und alte Beziehungen aufpoliert.
Das Risiko war zu hoch
Heuer hat Gashi diese Reise erstmals seit vielen Jahren ausfallen lassen, weil ihm das Risiko zu hoch erschien. Schon im Juni hatte das RKI auch den Kosovo auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. "In der jetzigen Lage das zu machen und dorthin zu fahren, hätte ich nicht für gut gehalten. Sehr zum Ärger meiner Kinder sind wir daheim geblieben."
Die große Mehrheit der rund 700 in Bamberg Stadt und Landkreis lebenden Exil-Kosovaren dachte wie Gashi und hielt sich an die Empfehlungen aus dem auswärtigen Amt, keine Reisen in die alte Heimat zu unternehmen - allerdings nicht alle. Auf rund 100 Personen schätzt Gashi die Zahl der Kosovaren, die sich trotz Corona auf den Weg gemacht haben und auch im Sommer 2020 in den Kosovo fuhren.
Kritisieren mag Gashi das Verhalten seiner Freunde und Bekannten nicht, auch wenn er für sich selbst andere Konsequenzen gezogen hat: "Ein Teil mag unverantwortlich gehandelt haben", sagt er, "andere hatten wichtige Gründe", sei es die schwere Krankheit der Eltern, wichtige Termine beim Notar oder das Gefühl, die Familie nach dem Lockdown nicht länger allein lassen zu können. Verboten ist es ja auch nicht, in ein Risikogebiet zu reisen. Allerdings müssen Rückkehrer mit Quarantänezeiten rechnen, wenn sie sich beim Gesundheitsamt melden, wie es die Verordnung vorschreibt.
Die Zahlen der Corona-Infizierten aus dem Kosovo scheinen die Reisewarnung des RKI zu bestätigen. Bundesweit waren die Familienreisen in den Kosovo die wahrscheinliche Hauptinfektionsquelle im zurückliegenden August. Ende September hat sich das Infektionsgeschehen mehr ins Inland zurückverlagert. Beim Ausland liegen nun die Türkei und Kroatien vor Kosovo. Auffällig bleibt allerdings der Unterschied zu den deutschen Haupt-Reisezielen Spanien und Italien. Diese Länder ziehen mehr Menschen an, produzieren aber nur einen Bruchteil von Infektionen.
Herzlicher als die Deutschen
Woher dieser Unterschied rührt, kann sich Florim Gashi lebhaft ausmalen. Die Menschen aus dem Westbalkan pflegen deutlich herzlichere Umgangsformen als die kühleren Deutschen: Einen Handschlag oder eine Umarmung zu verweigern, das sei hier unvorstellbar. "Wenn ich im Kosovo gewesen wäre und Freunden einen Besuch ausgeschlagen hätte, wären die ein Leben lang beleidigt gewesen." Häufig kommt es auch zu großen Familienfeiern, wenn sich die Verwandtschaft aus der ganzen Welt in der alten Heimat trifft. "Ein Fest mit 200 Leuten gilt im Kosovo als klein", sagt Gashi.
Doch es sind nicht nur die engen Familienbande, die den Kosovo zu einem Risikogebiet für Ansteckungen machen. Die Menschen in dem kleinen Land leiden auch unter der schlechten medizinischen Versorgung und einer Politik, die erst spät auf die Herausforderungen von Corona reagiert hat. Mittlerweile gilt im öffentlichen Raum eine rigide Maskenpflicht, doch es fehlt an der Kontrolle, an den nötigen Tests und den Konsequenzen im Alltagsleben.
Anders als andere Regionen scheint Bamberg vom Problem infizierter Balkanheimkehrer verschont geblieben zu sein. Zumindest kann das zuständige Gesundheitsamt nicht bestätigen, dass der leichte Anstieg in den letzten Tagen im Zusammenhang mit dem Reiseverhalten der Exil-Kosovaren steht.
Mit sechs von 79 infizierten Reiserückkehrern liegt der Kosovo als mutmaßlicher Ansteckungsort seit Beginn der Messreihe im März deutlich hinter Österreich oder Italien. Damals kehrten viele Infizierte aus dem Skiurlaub in Österreich oder Italien zurück.
Insgesamt gibt es in Stadt und Landkreis Bamberg derzeit keinen Grund für übertriebene Sorge. "Unsere Zahlen bewegen sich noch in einem überschaubaren Rahmen", sagt Frank Förtsch, Pressesprecher des Landratsamtes, am Mittwoch. Die einwöchige Inzidenz kletterte dennoch in den letzten für Bamberg auf über 14 und für den Landkreis auf über 12. Zum Vergleich: In München betrug dieser Wert am Donnerstag 36.
Der Test fiel negativ aus
Glück hatte auch der 45-jährige Bekannte von Gashi, der mit Frau und drei Kindern in die alte Heimat gereist war. Der Mann, der nicht genannt werden möchte, weil er Anfeindungen fürchtet, wurde mit seiner Familie bei der Einreise in Passau getestet. Das Ergebnis war negativ, obwohl es im Kosovo Kontakt mit Menschen gab, die typische Corona-Symptome zeigten.