Die Bürgerinitiative "Achtung, Hochspannung" zweifelt die Notwendigkeit für eine Höchstspannungsleitung durch Bayern und Thüringen an.
Manchmal ist sogar Anette Martin so weit, dass sie glaubt, dass die 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung durch die Landkreise Coburg und Lichtenfels wirklich notwendig ist. "Besonders dann, wenn ich den Martin Fuchs reden höre", sagt die 50-jährige aus dem kleinen Ort Großgarnstadt (Gemeinde Ebersdorf bei Coburg). Martin Fuchs ist Vorsitzender der Geschäftsführung bei Tennet - der Firma, die die Leitung bauen möchte. Anette Martins Gegenspieler sozusagen.
Als die Bundesregierung den Atomausstieg proklamierte, da freuten sich Anette Martin und ihre Mitstreiter in der bayerisch-thüringischen Bürgerinitiativenvereinigung: die Interessengemeinschaft "Achtung, Hochspannung". Denn der Atomausstieg, der war für die Gegner der Stromleitung - die von Altenfeld durch den Thüringer Wald und das Coburger Land zum Umspannwerk nach Redwitz (Landkreis Lichtenfels) führen soll - der Schritt in die richtige Richtung. "Wir haben gejubelt", erinnert sich Martin. Und auf dezentrale Lösungen bei der Stromerzeugung gehofft.
Stromtrassen statt dezentraler Erzeugung
Doch die Freude währte nicht lange. Mehr denn je drängt "Tennet" darauf, die Trasse zu errichten, um Windstrom von Nord- nach Süddeutschland transportieren zu können. Anette Martin sieht die Sache anders. Für sie ist die mächtige Leitung ein wichtiger Faktor im europäischen Stromhandel. "Wir werden zum Transitgebiet für Energieriesen", sagt Martin, die seit fast einem Jahrzehnt gegen das einst von Eon und Vattenfall angeschobene Projekt kämpft. Dabei hat sie lernen müssen, dass Energiekonzerne so leicht nicht aufgeben. Auch wenn, davon ist Martin überzeugt, die Höchstspannungsleitung "das letzte Aufbäumen" der Kohle- und Atomstromproduzenten ist.
Aber auch Anette Martin gibt nicht auf. Sie setzt dabei "ein bisschen auf Gottes Hilfe" und die Wirtschaftskrise. Die könnten dem Leitungsbau noch einen Strich durch die Rechnung machen. Die entscheidende Schlacht zwischen den Gegnern und den Leitungsbetreibern dürfte vor dem Bundesverfassungsgericht geschlagen werden. Dort wird demnächst über den thüringischen Trassenabschnitt zwischen Erfurt und Altenfeld verhandelt. In der Klage gegen den Bau und die dafür nötige juristischen Beratung steckt fast das gesamte Vermögen der Interessengemeinschaft "Achtung, Hochspannung".
Vor Gericht entscheidet sich die Zukunft
Sollte das Gericht den Weg frei machen, ist die Sache für Anette Martin gelaufen: "Wenn ab Altenfeld gebaut wird, dann brauchen wir hier keine große Hoffnung mehr haben."
Doch noch ist es nicht so weit. Anette Martin sammelt weiter Argumente gegen die Leitung, hat mit dem Energiefachmann Professor Lorenz Jarass (Wiesbaden) Alternativszenarien entwickelt und legt sich immer wieder mit der Strom-Lobby an. Und dennoch verliert auch sie im Chaos der Argumente manchmal den Überblick. Martin räumt ein, dass ihr die großen On-Shore-Windparks in Sachsen-Anhalt zu denken geben. Vielleicht braucht man für sie ja wirklich Transportpotenzial Richtung Süden? "Ich kann nicht behaupten, dass es nicht so ist", sagt die Mutter zweier erwachsener Kinder. Bei Anette Martins Diskussion-Philosophie kommt nur das auf den Tisch, was belegbar ist. Würden sich doch nur alle Parteien daran halten...
Als Frontfrau der Bürgerinitiative in Franken ist Anette Martin fast schon ein bisschen zum Medienstar geworden. Im Bayerischen Fernsehen und den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen kommt sie regelmäßig zu Wort. Für eine Frau, die sich in den vergangenen Jahren am liebsten um ihren großen Garten und die Kinder kümmerte, ist so etwas eine riesige Umstellung. Heute sind für sie Interviews keine Besonderheit mehr. Nach dem zwölften Termin mit einem TV-Team hat sie das Zählen aufgehört: "Ich brauche das nicht. Aber das Ziel braucht es halt."
An mangelnder moralischer Kraft wird Anette Martins Widerstand gegen die Höchstspannungsleitung sicher nicht zu Ende gehen. Dafür müssten Tennet und der Bund schon Fakten schaffen. Ist das der Fall, wird sich die Großgarnstadterin definitiv aus der Öffentlichkeit zurück ziehen.
"Wenn die Bürgermeister nur noch ein bisschen die Trasse hin und her schieben können, dann bin ich raus aus der Sache. Aber vorher nicht." Der letzte Satz wird Martin Fuchs sicher nicht gefallen.
das St. Floriansprinzip predigen, wenns konkret wird, die Bürgermeister machen lassen und als wesentliches Konzept die Wirtschaftskrise sehen. Wenns dann konkret wird, will Madam sich zurückziehen.
Das ist dem FT einen Artikel wert?
Kein einziges Argument findet sich in den verschwendeten Zeilen. Traurig.