Die dunkle Seite eines Erfolgreichen: Mitarbeiter beschreiben den der Körperverletzung und des Missbrauchs in 15 Fällen bezichtigten Chefarzt als "beliebten und sympathischen Kollegen". Er galt als High-Tech-Experte im Klinikum.
Viel Spaß macht Klinikchef Xaver Frauenknecht der Blick in die großen Tageszeitungen und Online-Magazine in diesen Wochen nicht. Der Skandal, der das Bamberger Klinikum mit der Festnahme des 48-jährigen Chefarztes für Gefäßchirurgie fest im Griff hat, beschäftigt Journalisten und ihre Millionen zählenden Leser in ganz Deutschland.
Wer die Worte "Missbrauch Klinikum Bamberg" in einer Suchmaschine eingibt, erhält mittlerweile 48.000 Treffer. Die Zahl der veröffentlichten Artikel steigt täglich und liegt aktuell bei 1266, wie eine von der Sozialstiftung beauftragte Agentur gezählt hat.
Der "Sexarzt" aus Bamberg
Nicht immer geht es dabei allzu feinfühlig zu, wie etwa die Veröffentlichung von bild.de zeigt. Die Zeitung berichtete vergangene Woche vom Bamberger "Sexarzt", der eine Million Nacktfotos auf dem Rechner hatte. Das Blatt zeigt den Beschuldigten im grünen Operationskittel und mit einem Balken über den Augen.
"Das tut weh, das tut richtig weh", kommentiert Frauenknecht die Schlagzeile mit Millionenauflage. Für ihn ist es das Schlimmste: Die Machtlosigkeit angesichts der Tatsache, dass die Sozialstiftung mit ihren 3700 Mitarbeitern durch den ungeheueren Verdacht, der auf einen Einzelnen gefallen ist, nun in seiner Gesamtheit in Misskredit gerät. Egal ob in Bamberg oder Berlin, überall, wo sich der Geschäftsführer aufhält, wird er auf das Unfassbare angesprochen. Was hat sich hinter den Mauern des Klinikums zugetragen?
"Niemand konnte etwas wissen"
Allem Gegenwind zum Trotz wird Frauenknecht nicht müde darzulegen, dass es nicht das Krankenhaus ist, das auf der Anklagebank sitzt. Glaubt man dem Geschäftsführer, konnte nach dem derzeitigen Kenntnisstand niemand in der 35 Mitarbeiter zählenden Abteilung Gefäßchirurgie auch nur eine leise Ahnung von dem haben, was sich im Untersuchungszimmer des hochdekorierten Spezialisten abgespielt haben soll. Meist war es am frühen Nachmittag oder späten Abend außerhalb des regulären Klinikbetriebs der Fall, wie am Montag die Staatsanwaltschaft meldete.
Ist diese Arglosigkeit über einen Tatzeitraum von immerhin sechs Jahren hinweg nachvollziehbar? Das Ansehen, das der Chirurg im Kollegenkreis, aber auch in seinem Umfeld in Bamberg genoss, war kaum zu übertreffen. "Er galt als ausgesprochen freundlich und nett", sagt Frauenknecht. Kollegen hätten ihn als professionellen Mediziner und als überzeugende Führungskraft kennen gelernt. Einer, der sich für seinen Fachbereich über die Maßen engagierte. Dass ausgerechnet ein solcher Mann seine Vertrauensposition so ausnutzen könnte, wie ihm das jetzt zur Last gelegt wird - für viele ist es immer noch unvorstellbar.
Dieser Einschätzung unterlagen viele, nicht nur im medizinischen Umfeld. Auch in Bamberg war der Chefarzt, Mitglied eines renommierten Wohltätigkeitsclubs, allgemein beliebt. Als "sehr sympathisch" schildert ihn eine Bambergerin. Für die Opfer empfindet sie großes Mitleid, aber auch für die Familie des Mannes.
Fotos im Sekundentakt
Dass der Fall eine noch deutlich größere Dimension haben würde, als Mitte August feststand, ist klar, seit Oberstaatsanwalt Bardo Backert vergangene Woche in einem inFranken.de-Interview davon sprach, dass die Ermittlungsbehörden über eine Million Fotos sichten mussten. Fotos, auf denen der Arzt teils identifizierbar Frauen oder Teile ihrer Körper im Takt von Sekundenbruchteilen festgehalten hat. Auch das passt zum Bild, für das der Ex-Chefarzt im Klinikum bekannt war: Der Gefäßchirurg galt auch als High-Tech-Experte, der nichts dem Zufall überließ. Im Chefärztekreis hatte er deshalb auch die Verantwortung für das Projekt "digitale Patientenakte" übernommen.
Bisher sieht es so aus, als ob das Klinikum die schwerste Krise seit vielen Jahren ohne Reputationsverlust überstehen könnte. Die Vorwürfe halten sich nach Angaben von Michael Burg aus der Marketingabteilung in Grenzen.
Dennoch gibt es auch kritische Stimmen. Elisabeth Laagland aus Bonn zum Beispiel wirft der Geschäftsführung vor, die Vorfälle zu verharmlosen, indem sie von "Fehlverhalten" statt von einem "mutmaßlichen Verbrechen" des Chefarztes spreche. Laagland vermisst das Mitgefühl mit den Opfern und klare Maßnahmen, wie künftig solche Übergriffe im Bamberger Klinikum verhindert werden können.
Es gilt die Unschuldsvermutung
Frauenknecht verteidigte seine Äußerungen, die er auch in einem inFranken.de-Interview gemacht hat. Zum Zeitpunkt, als die Sätze fielen, nur zwei Stunden nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, habe aus seiner Sicht noch Fürsorgepflicht für seinen Mitarbeiter bestanden. Außerdem gelte für den Beschuldigten nach wie vor die Unschuldsvermutung, sagt Frauenknecht.
Kritisch hinterfragt wird von Patienten auch, ob das Klinikum wirklich alles tut, um solche Vorfälle zu verhindern. Eine Patientin, die nicht genannt werden möchte, kann nicht bestätigen, dass bei Untersuchungen von Patienten des anderen Geschlechts stets eine zweite Person anwesend sei, wie Ärztlicher Direktor Georg Pistorius dargelegt hatte. Die Frau hat die gegenteilige Erfahrung in der Neurochirurgie gemacht. Eine Stellungnahme des Klinikums konnten wir dazu am Montagabend nicht mehr einholen.