Als "außergewöhnlich geltungsbedürftig" und "Mann mit zwei Gesichtern" beschrieb ein Kollege seinen ehemaligen Vorgesetzten, den Angeklagten Heinz W., vor Gericht. Außerdem sagte eine von zehn Patientinnen des verdächtigen Gefäßchirurgen aus, die er betäubt haben soll.
Es war Verhandlungstag Nummer 23 in dem wohl längsten Prozess, der bisher am Landgericht Bamberg geführt wurde. Auch dieser Termin begann wie viele vorher: mit einem Antrag der Verteidigung gegen den Sachverständigen Dieter Patzelt. Erneut.
Bereits in der Vergangenheit hatte die Zweite Strafkammer Anträge von Heinz W.s Anwälten gegen den Rechtsmediziner aus Würzburg als unbegründet zurückgewiesen. Gestern der nächste Anlauf: Die Verteidigung hält den Gutachter "für offensichtlich nicht geeignet, sachverständig zu antworten", sagte Rechtsanwalt Dieter Widmann.
Patzelt verfüge über keine wissenschaftliche Kompetenz sowie klinischen Erfahrungen auf dem medizinischen Fachgebiet, um das es im Prozess gehe. "Zu berufen ist ein wissenschaftlich tätiger klinischer Anästhesist", forderte Widmann, einer der drei Rechtsanwälte des Angeklagten, unter anderem.
Für Heinz W.
geht es um viel: Dem ehemaligen Leiter der Gefäßchirurgie am Klinikum Bamberg drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, sich an zehn Patientinnen und zwei Klinikmitarbeiterinnen vergangen zu haben. Dabei soll das Betäubungsmittel Midazolam eine Rolle gespielt haben. Eben dieses wurde bei der 27-jährigen Hauptzeugin, die vergangene Woche ausgesagt hatte, im Blut gefunden.
Am Dienstag (29.9.2015) ging es nun weiter mit Fall zwei der Anklageschrift: Eine damals 20-jährige Patientin aus Sachsen hatte Heinz W. vergangenes Jahr im Sommer wegen eines Beckenvenenverschlusses operiert. Bei der Nachuntersuchung habe der Angeklagte der jungen Frau das Hypnotikum Midazolam - statt wie von ihm angegeben, ein Kontrastmittel - gespritzt.
Die Staatsanwaltschaft geht weiter davon aus, dass der 50-Jährige dann Nahaufnahmen per Video und Digitalkamera von dem Intimbereich seiner Patientin gemacht hat - unter anderem davon, wie er ihr einen "Analstöpsel" vaginal einführte.
Diese Praxis hatte W. an einem anderen Verhandlungstag als neue Untersuchungsmethode beschrieben, bei der er den Analstöpsel als Widerlager für die Ultraschallsonde eingesetzt habe.
Die junge Sächsin jedenfalls habe keine Erinnerung daran, dass am 10. Juli 2014 Bilder ihres entblößten Unterleibs gemacht worden seien. Das erklärte Leander Brößler, Pressesprecher des Oberlandesgerichts, nachdem die Patientin ihre Aussage gemacht hatte.
Die Öffentlichkeit war wegen "schutzwürdiger Interessen" von der rund zweistündigen Vernehmung der Frau ausgeschlossen worden.
Zuhören war dagegen bei den anderen Zeugen erlaubt, etwa bei der Aussage eines Oberarztes aus der Gefäßchirurgie. Dieser beschrieb das Verhältnis zu seinem ehemaligen Chef zunächst als freundschaftlich-kollegial. Später sagte er allerdings: "Er
(Heinz W., Anm. d. Red.) hat zwei Gesichter. Zu den Arzthelferinnen war er immer nett, bei uns Oberärzten hat er seine andere Seite gezeigt." Der Zeuge sprach von einem "außergewöhnlichen Geltungsbedürfnis" seines Vorgesetzten.
Eine Unterhaltung zwischen diesem und der Hauptzeugin, die Medizinstudentin am Klinikum war, habe der Oberarzt vergangenes Jahr zufällig mitbekommen. Heinz W.
habe die damals 26-Jährige gefragt, ob sie an der Studie eines Bochumer Professors für Gefäßerkrankungen teilnehmen wolle. Die Zeugin hätte zugestimmt. "Ich hatte den Eindruck, mein Chef will dem Professor einen Gefallen tun. Das klang schon nach einer etablierten Studie, an der in Deutschland viele Patienten teilnehmen", sagte der Oberarzt vor dem Landgericht aus.
Als später die Missbrauchsvorwürfe gegen Heinz W. bekannt wurden, habe sich der Oberarzt mit seiner Lebensgefährtin darüber unterhalten und ihr gegenüber angemerkt: "Midazolam ist typisch in Missbrauchsfällen", wie er am Dienstag rekapitulierte. Sie habe gefragt: "Traust du dem das zu?" Seine Antwort: "Der Teufel ist ein Eichhörnchen."