Memmelsdorf: Rollstuhlfahrer (38) will unbedingt arbeiten - und verzweifelt an deutscher Bürokratie
Autor: Sebastian Schanz
Memmelsdorf, Dienstag, 29. Januar 2019
Florian Weiss aus Memmelsdorf sitzt im Rollstuhl. Bordsteine kann er trotz Behinderung bewältigen - Barrieren der Bürokratie sind dagegen echte Hindernisse. Er will arbeiten. Doch dabei würden ihm Steine in den Weg gelegt, kritisiert er.
Florian Weiss hat sich zunächst nicht viel dabei gedacht, als er vor acht Jahren in seiner Wohnung ab und zu gestolpert ist: Mal blieb er an einem Teppich hängen, mal an einem Staubsaugerkabel. Irgendwann fiel er eine Treppe hinunter. Der Arzt diagnostizierte einen Bänderriss. "Er hat gesagt: ,Das muss doch höllisch wehtun.' Aber ich hab nichts gemerkt", erzählt der 38-Jährige. Seine Beine fühlten sich taub an. Ein Radiologe lieferte schließlich die bittere Erkenntnis, dass Florian Weiss unter einer seltenen Erkrankung des Rückenmarks leidet: Syringomyelie.
Früher Halbmarathons gelaufen
"Grob gesagt habe ich eine Blase im Nervenwasserkanal des Rückenmarks", erklärt der Memmelsdorfer bei sich zu Hause. Nach und nach verlor er das Gefühl in seinen Beinen. Der Sportler, der täglich trainierte, bei der Bundeswehr marschierte und bei Halbmarathons mitlief, musste plötzlich an Krücken gehen, fiel oft hin, traute sich kaum mehr aus dem Haus.
Heute sitzt Weiss im Rollstuhl. "Mein Porsche", sagt er zu seinem Sportmodell, dass es dem Mann mit den muskulösen Armen auch möglich macht, über Bordsteine und andere Hindernisse im Alltag hinwegzufahren. "Der Rollstuhl hat mir Mobilität gebracht", betont der 38-Jährige. Nur bei den bürokratischen Hindernissen kann ihm sein Porsche nicht helfen.
"Ich muss mir alles erstreiten"
Weiss zieht den Rollstuhl zu sich ans Sofa, als er erzählt, hebt sich mit den Armen in den Sitz und schiebt sich durch sein modern eingerichtetes Wohnzimmer in einem Memmelsdorfer Mehrfamilienhaus. Aus einer Kommode zieht er einen Aktenordner. "Ich habe noch einige davon. Das ist nur der Schriftverkehr seit Juni 2017", sagt er und lenkt zurück zum Sofa. "Die bürokratischen Barrieren sind viel aufwendiger als die gesundheitlichen Einschränkungen", erklärt er. "Ich muss mir alles erstreiten."
Trotz seiner Erkrankung wolle er unbedingt arbeiten. Nach der Reha habe er also im Arbeitsamt vorgesprochen, wollte vom Kfz-Mechatroniker zum Bürokaufmann umschulen. "Dort hat man mir gesagt: Was meinen Sie, wer sie sind? Da draußen sind 100 Bürokaufmänner, wir brauchen nicht noch den 101sten." Statt der Umschulung habe man ihm die Frühverrentung wegen Berufsunfähigkeit nahegelegt. "Aber das will ich nicht. Du verblödest total. Finanziell wird es durchs Nichtstun auch nicht besser. Ich will arbeiten. An mir beißen die sich die Zähne aus."
Lektüre im Sozialgesetzbuch
Die Arbeitsagentur weist die Vorwürfe zurück, will sich zum Einzelfall jedoch nicht äußern. Pressesprecher Matthias Klar betont: "Unsere Mitarbeiter tun alles, um den Menschen zu helfen." Selbstverwirklichung nach Eignung, Neigung und Fähigkeiten stehe im Vordergrund. Teilhabe am Arbeitsleben habe Vorrang vor Rentenleistungen. "Wir haben spezielle Vermittler, speziell für Schwerbehinderte", sagt Klar - jedoch sei die Arbeitsagentur nicht bei jeder Unterstützungsleistung zuständig.
Florian Weiss versuchte es schließlich mithilfe seines Reha-Arztes bei der Deutschen Rentenversicherung, seine Umschulung zu bekommen. "Ich kenne mittlerweile das Sozialgesetzbuch ziemlich gut", sagt er und blättert in den Dokumenten. Mit Rot hat er die Ablehnungen unterstrichen, mit Gelb deren Begründungen. Grüne und pinke Zettel markieren die wichtigsten Seiten.