Als Selbststellerin rückt Lokalreporterin Anette Schreiber in der Justizvollzugsanstalt Ebrach ein.
Kleider weg. Ausweis weg. Schlüssel weg. Handy weg. Was bleibt? Sechs Schritte nach vorne, drei zur Seite und notfalls ein Notfallknopf. Alle Freiheit - entzogen. Um's klarzustellen: Ebrach ist die Konsequenz. Vor der Zelle hier drinnen war die Straftat draußen. Draußen gibt's geschädigte, traumatisierte und womöglich getötete Opfer. Wie aber fühlt es sich an, ins Gefängnis zu gehen? Ein Selbstversuch, auch wenn ich im realen Leben nichts verbrochen habe, zu alt für den Jugendknast bin und als Frau für hier das falsche Geschlecht habe.
Ich bin ein Selbststeller, also ein verurteilter Straftäter, der mit der Ladung des Gerichts zum Strafantritt zu erscheinen hat. Whomm! Die schwere Stahltür vor der Torwache ist ins Schloss gefallen. Das Tor steht zwischen Freiheit und deren Entzug. Der weitere Weg führt durch den Metalldetektor, damit nichts Verbotenes von draußen nach drinnen gelangt. Erst wenn er nicht mehr anschlägt, geht's weiter. Durch ein verwirrendes Labyrinth, scheinbar endlos lange düstere Gänge und eine Vielzahl Türen. Aufsperren, Zusperren. Immer wieder. Gitter, so weit der Blick reicht.
Dann die Station, in der die Insignien des freien Lebens in die Verwahrung wandern. Der Kleidersack hängt bereit. Bereit, all das aufzunehmen, was einem geblieben ist, nachdem Handy, Bargeld, Schmuck und ähnliches gegen Quittierung verstaut sind. Normalerweise muss man sich hier - im Beisein zweier Kammerbeamter komplett ausziehen, erklärt Heiko Rammig. Das bleibt mir erspart, die Vorstellung allein erzeugt Unbehagen genug. "Wir kontrollieren dann im Mund und unter den Füßen." Es geht darum, dass auch hier nichts reingeschmuggelt wird. Meine Kleidung ist inzwischen im Sack verschwunden.
Der bekommt ein Etikett mit meinem Namen und wird verplombt. 70 Einzelteile aus einem blauen Plastikkorb bekleiden den Häftling. Für jeden die gleichen Artikel, von der Feinrippunterhose bis zum olivegrünen Parka, selbst Socken und Schuhe sind - bis auf die Größe - gleich. Die Hausordnung gibt den Dresscode vor, etwa auch, dass unter dem grauen Sweatshirt ein Unterhemd getragen werden muss und das blaue T-Shirt nur in der Freizeit (ab 17 Uhr) erlaubt ist. Zumindest die Brille bleibt mir. Die orthopädischen Einlagen, so der Kammerbeamte, werden erstmal abgenommen und müssen von der Krankenabteilung genehmigt werden. Bevor man dort ankommt, geht's zuerst zur Vollzugsgeschäftsstelle, wo die Aufnahme mit allen Daten und dem obligatorischen Häftlingsfoto für die Akte gemacht und alles elektronisch erfasst wird. Dann, wieder lange Gänge, Türen, quadratmeterweise Gitter.
Nun, neue Gerüche: Die Krankenabteilung mit Krankenpfleger Christian Hinke. Ein umfangreicher Medicheck auch auf ansteckende Krankheiten und Drogenkonsum. Er soll zeigen, ob man haftfähig, aber auch in der Lage zu arbeiten ist. Gefängnis verpflichtet zu Arbeit, oder im Jugendbereich zu (Aus-) Bildung. Nachdem auch der Psychologe sicherstellt, dass keine Suizidgefahr vorliegt, wartet die Aufnahmeabteilung. Wieder: Gänge, Türen, Gitter. Diesmal ein Blick, den Gefängnissendungen gerne zeigen: Zellenlandschaft mit gucklochgeprägten Eisentüren, Netzlandschaften und Gitter, Gitter, Gitter.
"Da ist der Notfallknopf", interpretiert Zugangsbeamter Christian Hager meine Miene, als ich in "meiner" Zelle - Nummer 107 - stehe. "Keine Angst, wir sind ja da." Ach wirklich. Eingesperrt sein, zumindest für eine Weile, ein Muss im Selbstversuch.
Sechs Schritte von der grifflosen Tür bis zum Gitterfenster, drei vom Metallspind mit dem Bett davor bis zur Wand. Gleich neben der Tür: das Klo, anschließend, das kleine Waschbecken, gefolgt vom fest verankerten Tischchen, Hocker, und schräg drüber ein Fernseher. Dass es so winzige heute überhaupt noch gibt? Dann fällt der Blick auf, nein wirklich, doch - Blechnäpfe? Sollen wohl Schüsseln sein. Drei an der Zahl. Dazu gesellen sich ein flacher Teller, ein Suppenteller, Tasse, Plastikbesteck, Minischwamm und eine winzige Bürste. Kehrichtschaufel, kleiner und Kehrbesen komplettieren zusammen mit der Klobürste die Raumausstattung. Wohnlich geht anders. Ob deswegen Sachen gegen die Wand geflogen und herunter geronnen sind?
Sprechende Wände
Tisch und Wände sprechen: "Ich mach' jeden fertig egal ob Drogenboss oder Gangster." Oder: "Ich glaube eher an die Unschuld einer Nutte als das deutsche Rechtssytem." Hm. Hakenkreuze, Rosen, Daten, Hyroglyphen auf diversen Oberflächen. Dann wandert der Blick auf den Plastikschnellhefter. "So sieht Ihr Tagesablauf in den nächsten Tagen" aus. Der Infoordner der Anstalt liegt bereit. "Alle offiziellen Gespräche finden in Arbeitskleidung statt", heißt es da. Und: "Es ist verboten, in Unterhosen zu duschen". Hä? Ich werd' später fragen. Vorausgesetzt, man vergisst mich nicht.
Was wenn doch? Ein leichter Anflug von Panik. Jetzt würde ich gerne... so vieles. Auf jeden Fall nicht auf dem Bett mit Plastikmatratze schlafen. Von draußen schwappen in Wellen von rechts Gesprächsfetzen herein. Hofgang: Grüne Parkas, blaue Hosen, schwarze Schuhe ziehen in Rotten vorbei. Das also ist Gefängnis. Dichter fieser Nieselregen macht die Tristesse perfekt. Zeit wird lang hier, ohne die Freiheit, darüber zu verfügen. Die Stunde wird lang, der Horizont extrem eng. Und das Tage, Wochen, Monate lang?
Zum Glück: Sie haben mich nicht vergessen. Jetzt nur schnell her mit allem was Selbstbestimmung heißt: Kleidung, Handy, Ausweis, Schlüssel. Freiheit!
... könnte ich bitte mehr Detailbilder und Infos über den Kleidersack erhalten? Da waren mir zu wenig Infos in der Bilderserie!
Wieso nur die???