Fall Anneli: Hintergründe zu den beiden Tatverdächtigen
Autor: Redaktion
Burgebrach, Dienstag, 18. August 2015
Ein Edelmetallhändler und ein Koch sind im Fall Anneli dringend tatverdächtig. Beide waren selbstständig, aber nicht erfolgreich. In Habgier sieht die Polizei ein mögliches Motiv.
Es sah aus, als würde sich Familie B. ein schönes Heim schaffen wollen. Erst vor wenigen Wochen war sie aus Sachsen nach Burgebrach bei Bamberg gezogen, um dort ihr neues Haus einzurichten - inmitten einer ruhigen Wohnlage mit viel Grün. Der Blick schweift weit über Felder bis hinauf zum Steigerwald.
Die Außenwände des Hauses sind zwar noch nicht verputzt, und aus dem Ziegelbau hängen noch lose Kabel, doch das sollte wohl noch werden. Die Einfahrt jedenfalls ist schon gepflastert, der Boden wurde modelliert und der etwa 900 Quadratmeter große Garten wird gerade bepflanzt. "Die Familie wirkte ganz normal", sagt eine Nachbarin. "Er hat immer freundlich gegrüßt." Auffällig sei nur gewesen, dass die Rollos an den Fenstern immer unten waren und die Kinder nur kurz zum Spielen herauskamen. "Aber das kann ja auch an der Hitze gelegen haben." Die Nachbarn haben den Eindruck, als habe Geld keine Rolle gespielt. "Die Familie hatte drei Autos", berichten sie. Nun aber steht nur ein Citroen mit Meißner Kennzeichen vor dem Haus.
Festgenommener sitzt jetzt in Dresden in U-Haft
Der Vater der Familie sitzt inzwischen in Dresden in Untersuchungshaft. Er ist dringend tatverdächtig, gemeinsam mit einem weiteren Mann aus Dresden an der Entführung und dem Tod der 17 Jahre jungen Schülerin Anneli beteiligt gewesen zu sein.Es ist Donnerstag, der 13. August um 19.20 Uhr, als Anneli mit dem Familienhund und ihrem Fahrrad das Elternhaus zu einer Abendrunde verlässt. Etwa zehn Minuten später begegnet sie in der Nähe des Dorfes Luga ihren späteren mutmaßlichen Mördern. Zwei Männer überwältigen sie, und verfrachten sie in einen grauen BMW. So schildert Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll das Geschehen. Um 19.57 Uhr rufen die Entführer den Vater des Mädchens an. Sie benutzen dabei ihr Handy. Er nimmt den Anruf nicht sofort an, ruft aber umgehend zurück. Die Täter sagen, sie hätten Anneli entführt und verlangen 1,2 Millionen Euro. Im Hintergrund hört der Vater Schreie - vermutlich die seiner Tochter. Es wird ihr letztes Lebenszeichen sein.
"Unsere Tochter ist entführt worden"
Der Vater verlässt das Haus und sucht die üblichen Wege ab, die Anneli normalerweise für ihre Spaziergänge mit dem Hund nimmt. Er findet ihr Fahrrad und den angebundenen Hund. Seine Frau verständigt unterdessen per Notruf die Polizei. "Unsere Tochter ist entführt worden", sagt sie.Gegen 21 Uhr erhält die Familie eine zweite Nachricht der Entführer. Die Tochter sei in Tschechien, sagt der Anrufer. Wenn die Familie das Lösegeld nicht zahle, sehe sie das Mädchen nie wieder. Bis zum nächsten Tag müsse alles für die Zahlung in die Wege geleitet sein. Der Mann bemüht sich, tschechisch zu klingen, wird aber vom Sprachsachverständigen der Polizei als Schwabe erkannt.
Spur führt zu Gehöft in Luga
Die Polizei bildet eine Sonderkommission und übernimmt die Betreuung der Familie. Am Freitagfrüh um halb sechs setzt der Ermittlungsführer einen Fährtenhund ein, der die Beamten zu einem Gehöft in Luga führt. Die Bewohner wissen nichts. Am nächsten Morgen meldet sich ein Anwohner. Er habe in der Gegend in letzter Zeit regelmäßig einen grauen BMW gesehen. Dann melden sich die Entführer erneut. Sie fordern eine Online-Überweisung des Lösegeldes. Spätestens jetzt wird der Polizei klar, dass die Täter vollkommen überfordert sind. "Eine derart hohe Summe können wir nicht online überweisen", sagt Polizeichef Kroll.Ein Lebenszeichen des Entführungsopfers verweigern die beiden Täter. Verzweifelt versucht die Familie von Anneli, den Kontakt mit den Entführern wiederherzustellen. Das zeigt auch ein Eintrag auf den Seiten des Facebook-Auftritts der Firma. Seit mehr als vier Jahren nicht mehr benutzt, taucht dort plötzlich am zweiten Tag nach der Entführung folgender Text auf: "Ihre Ideen sind unser Antrieb! Neu: Wir unterstützen Sie bei der Finanzierung Ihrer Vorhaben! Treten Sie unbedingt mit uns in Kontakt! Wir warten auf Ihren Anruf!" Zugleich beginnt am Samstagabend die schwierigste Phase für die Ermittler. "Wir waren verdammt zu warten", sagt Kroll. Die Überwachung der Kommunikationsdaten der Täter ergibt Hinweise auf das Erlebnisbad in Hetzdorf im Kreis Freiberg. Doch der Einsatz eines Fährtenhundes bringt keine Hinweise auf Anneli. Inzwischen haben die Spezialisten des Landeskriminalamtes das Fahrrad der 17-Jährigen untersucht. Sie finden DNA-Spuren, die sie mit ihren Dateien abgleichen und landen einen Treffer. "Um 11.50 Uhr hatten wir einen potenziellen Täter".
Der Verdächtige war wegen anderer Delikte ins Visier der Behörden geraten und deshalb in der DNA-Datenbank erfasst. Die Polizei beginnt mithilfe ihrer Kollegen in Bayern, ihn zu observieren und seine Kommunikation zu überwachen. Am Montag nimmt sie ihn Burgebrach fest.
Das Profilbild des 39-Jährigen auf Facebook zeigt einen eloquent wirkenden vollschlanken Herrn in grauem Anzug und schwarzen Lackschuhen. In dem sozialen Netzwerk äußert er seinen Unmut über die steigende Zahl der Asylbewerber und appelliert: "Aufwachen Deutschland!" Er gibt sich als Rockerfan zu erkennen und postet teilweise obszöne Frauenfotos. Der von der Polizei festgestellte schwäbische Dialekt deckt sich mit seinen Facebook-Angaben.
Tatverdächtiger stand offenbar unter großem finanziellen Druck
In Klipphausen betrieb er eine Firma, meldete sie 2006 als Gewerbebetrieb an, doch schon Ende 2008 wieder ab. Dem Vernehmen nach soll er eine Zeitlang als Koch tätig gewesen sein. Offensichtlich stand er unter großem finanziellen Druck, denn das Vollstreckungsgericht Meißen schloss eine Befriedigung seiner Gläubiger seit August 2013 gleich achtmal aus, zuletzt im Juli dieses Jahres.Die Überwachung des Kochs führt die Ermittler dann auch auf die Spur von dem 61 Jahre alten Mittäter. "Er ist uns einfach durch das Bild gelaufen", sagt Polizeipräsident Kroll. Am Montag gegen halb fünf Uhr morgens nimmt sie auch ihn in seiner Wohnung in Dresden fest. Er legt ein Teilgeständnis ab und gibt auch den Hinweis auf den Fundort der Leiche. Der Mittäter hat sich nach übereinstimmenden Angaben von früheren Nachbarn der Familie B. in Klipphausen um den zurückgelassenen Labrador "Toni" gekümmert. Er hatte im Spätsommer 2011 einen Gewerbebetrieb angemeldet, bei dem er als "Handelsvertreter für Edelmetalle" fungierte. Zum Jahresende 2014 gab er bereits wieder auf. Zwischenzeitlich musste auch er sein Vermögen offenlegen. Und wie bei B. stellte das zuständige Vollstreckungsgericht fest, dass seine Gläubiger bei ihm nichts mehr holen können. Oberstaatsanwalt Erich Wenzlick: "Habgier wird auch im Spiel gewesen sein."
Der Koch und der Edelmetallhändler sind auf Facebook befreundet. Sie kommentieren ihre Posts teilweise gegenseitig. Einen Tag vor der Entführung von Anneli postet der Mittäter Sinnsprüche. Einer lautet: "Geh nie aus dem Haus ohne ein liebes Wort, vielleicht warst du zum letzten Mal dort." Der zweite lautet: "Ich glaube, einigen ist es nicht bewusst, aber wenn ich anfange, genauso hinterhältig zu sein, dann sind einige hier echt im Arsch." Er zeigt sich in dem sozialen Netzwerk als Fußballfan, steht auf die Musikgruppe Böhse Onkelz, mag Gothic und die Musiksendungen Deutschland sucht den Superstar sowie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Informationen der Dresdner Morgenpost zufolge war er auch in Autoschieberei-Geschäfte verwickelt.
Mindestens einer der mutmaßlichen Täter hat Anneli gekannt
Er und B. haben Anneli wohl nicht zufällig ausgewählt. Mindestens einer der beiden habe die junge Frau vermutlich vom Sehen gekannt, sagt Polizeipräsident Kroll. Zudem hätten sich die Täter vor der Entführung bei Facebook über ihr Opfer informiert.Vieles spricht dafür, dass es B. war, der die Auswahl des Opfers getroffen hat. Er wusste, dass ihr Vater ein erfolgreicher Unternehmer ist. Dessen Firmenzentrale steht ebenfalls in Klipphausen. B.'s Frau war schon vor längerer Zeit aus beruflichen Gründen nach Burgebrach gegangen und pendelte nur am Wochenende nach Sachsen. Der Koch hingegen blieb noch im Klipphausener Ortsteil Lampersdorf. In dem 150-Seelen-Ort heißt es, die beiden acht und neun Jahre alten Söhne der Familie B. sollten erst noch das Schuljahr in Sachsen beenden. Die Familie wohnte bis zu ihrem Umzug in einem großen Dreiseithof, er steht seit zwei Wochen für rund 230.000 Euro zum Verkauf.
Hinter einer Scheune des Hofs, noch innerhalb des 7 000 Quadratmeter großen Grundstücks, finden die Ermittler schließlich am Montagabend die Leiche der 17-Jährigen. Dort brennen jetzt drei Kerzen unter einer großen Tanne. Der Regen will nicht aufhören. Nebenan plätschert friedlich die kleine Triebisch, Pferde stehen auf einer Weide.
Letzte Gewissheit über die Todesumstände muss die rechtsmedizinische Untersuchung erbringen, sagt die Staatsanwaltschaft. Die Polizei geht davon aus, dass die Teenagerin, die am kommenden Montag in die zwölfte Klasse gekommen wäre, bereits am Freitag getötet wurde, da die Männer die Entführung wohl unmaskiert begangen hätten. Oberstaatsanwalt Wenzlick spricht von einem "Verdeckungsmord". Hinweise auf ein Sexualdelikt gebe es nicht. Sie hatten also tatsächlich keine Chance, das Mädchen lebend zu finden, fragt ein Reporter. Die Ermittler nicken mit dem Kopf.
Von Karin Schlottmann, Ulrich Wolf, Dominique Bielmeier und Anette Schreiber