Ex-AfDler: Volksparteien haben die Rechten in die AfD getrieben

4 Min
AfD-Anhänger am 30.01.2016 in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) auf dem Marktplatz. Foto: Bernd Settnik/dpa
AfD-Anhänger am 30.01.2016 in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) auf dem Marktplatz. Foto: Bernd Settnik/dpa

Ihren dritten Geburtstag feiert die Alternative für Deutschland in der Gewissheit, das Land auch ohne Ministerposten verändert zu haben.

Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätten die Deutschen der AfD gar nicht bereiten können.Wenn die Partei am 6. Februar ihren dritten Geburtstag feiert, zermartert sich die Öffentlichkeit immer noch den Kopf darüber, wie Frauke Petry die Sache mit dem Schießbefehl nun gemeint haben könnte. Wie ein hartnäckiger Virus hat die AfD das Nachdenken und Sprechen über Politik infiziert.

Als Politikwissenschaftler verfügt Marc Helbling im Umgang mit der AfD über eine Gelassenheit, die vielen anderen abgeht. "Dass es in Deutschland die AfD gibt, ist nichts Besonderes", sagt der Bamberger Professor. Wer den Blick durch Europa schweifen lasse, der entdecke in Frankreich den Front National, in der Schweiz die SVP, in Polen und Ungarn sogar rechtsnationale Regierungen.


Strauß ist jetzt einer von ihnen

Bei allen Unterschieden erkennt Helbling in diesen Phänomenen etwas Gemeinsames: einen gegen die Eliten, gegen die Globalisierung und Migration gewandten Affekt: "Auch die AfD lebt von der Angst und Wut vieler Menschen. Wut auf die vermeintlich abgehobenen Politiker. Angst vor Zuwanderung, dem Ende des Nationalstaats und einer Globalisierung, die am Ende nur den Eliten nützen, ihnen aber selbst die Jobs kosten wird."
Die AfD also, eine Partei, die Ängste schürt und verstärkt, Ängste kanalisiert und mit ihnen Politik betreibt. Wer über die AfD spricht, kann deshalb vor allem über die CSU nicht schweigen. "Die CSU hat früher die Sorgen der Menschen wahrgenommen. Das macht sie heute nicht mehr", sagt Petr Bystron. Seit Oktober führt der 43-Jährige die AfD Bayern.

Es fehlt nicht viel, und die AfD riefe sich zur CSU-Nachfolgepartei aus. Deren Säulenheiligen immerhin hat sie bereits eingemeindet: "Wenn Franz-Josef Strauß noch leben würde, wäre er sicher in der AfD", lacht Bystron. Lachen kann über Bystrons Chuzpe in der CSU keiner: "Die AfD ist eine rechtsextreme Partei", sagt der Forchheimer Landtagsabgeordnete Michael Hofmann (CSU) und unterstellt ihr eine "menschenverachtende Haltung".


"Nur noch ein Thema"

Dabei war die Messe für die AfD doch eigentlich schon gelesen. Spätestens als Parteigründer Bernd Lucke ihr im Juli 2015 den Rücken kehrte, schien die Partei ihre Zukunft hinter sich zu haben. Die Flüchtlingskrise und die schwankende Form der konkurrierenden Parteien bescherten der AfD aber auf dem Silbertablett ein Thema, um wieder aus der Defensive zu kommen. "Die AfD ist eine Ein-Themen-Partei. Es geht nur noch um Flüchtlinge", sagt Arnd Feistel.

Der Forchheimer war für die AfD in den Stadtrat eingezogen, bevor er gemeinsam mit Lucke die Partei verlies: "Die AfD war und ist nicht mehr meine Partei." Feistel, der heute mit Lucke und anderen ehemaligen AfDlern die Nachfolgepartei Alfa führt, macht für die "mich schmerzende Entwicklung der AfD" auch die politische Konkurrenz verantwortlich. Regelmäßig sei die AfD ohne sachlichen Grund in die rechte Ecke gestellt worden: "Das hat die Partei für viele Rechte doch erst attraktiv gemacht." Heute hat die AfD bundesweit 20 500 Mitglieder und sitzt in fünf Landesparlamenten. Ihr tatsächlicher Einfluss bemisst sich aber nicht an Parlamentssitzen, sondern ist eher virtueller Natur. Seine Währung sind Umfragewerte, Stimmungen, über sie geschriebene Leitartikel und Facebook-Kommentare. So hat es die AfD auch ohne Ministerposten geschafft, den politischen Diskurs in Deutschland zu verändern, genauer: zu radikalisieren und zu verrohen. Selbst in bürgerlichen Kreisen sind "Volksverräter" und "Lügenpresse" inzwischen salonfähige Begriffe der politischen Kommunikation.

Die AfD hat den Raum des öffentlichen Sagbaren um Dinge erweitert, die Bystron gern als "unbequeme Wahrheiten" bezeichnet. Wenn nach den Vorfällen von Köln auch in öffentlich-rechtlichen Medien über kriminelle Ausländer und die Sexualmoral arabischer Männer diskutiert wird, wertet die AfD dies auch als ihr Verdienst. In den Augen Bystrons hat sich die Realität schlicht den Befürchtungen der AfD angenähert. "Leider", wie Bystron sagt. Im Gegensatz zu den "Karrieristen des Lucke-Flügels" gehe es den Mitgliedern heute nicht um Posten, sondern um Deutschland.

Bystron versteht es deshalb auch als grob ehrabschneidend, in einen Topf mit Rechtsextremen geworfen zu werden: "Die AfD argumentiert nicht rassistisch. Wir haben nichts gegen die Flüchtlinge persönlich.Wir kritisieren die Regierung dafür, dass sie völlig unkontrolliert Menschenmassen nach Deutschland hereinlässt."


Politischer Balanceakt

Unter Überschriften wie "Asylkatastrophe. Merkel schadet Deutschland" schrieb Bystron lange "Eigentümlich frei". Die Monatsschrift beschreibt ihr publizistisches Leitbild mit den Adjektiven "individualistisch", "kapitalistisch" und "libertär". Bystron selbst betont vor allem "libertär".

Kritiker allerdings attestierten dem Blatt weltanschauliche und personelle Überschneidungen mit der Neuen Rechten. Bystron publizistische Tätigkeiten steht symbolisch dafür, wie die AfD auf der Grenze zwischen Libertarismus, Konservatismus, Rechtspopulismus und Neuer Rechten balanciert. Vollends abgestürzt und im Feld des Rechtsextremismus gelandet ist die Partei aber noch nicht. An dieser Bewertung ändert selbst der völkische Nationalismus eines Björn Höcke nichts. Zwar weiß der Bayerische Verfassungsschutz (LfV) von NPD-Kadern, die immer wieder zu Kooperationen mit der AfD aufrufen. "Solche Aufrufe sind nicht der AfD zurechenbar", sagt LfV-Sprecher Markus Schäfert.

Die Frage, ob die AfD das politische Koordinatensystem der Bundesrepublik dauerhaft nach rechts verschoben hat, lässt sich nach drei Jahren ihrer Existenz nicht seriös beantworten. Die mit dem Asylpaket II neu justierte Flüchtlingspolitik könnte als Kniefall vor den in die Höhe schießenden Umfragewerten der AfD gedeutet werden; ohne Weiteres aber auch als Lernprozess, den die Wirklichkeit den Parteien aufgezwungen hat.

Ob sich mit der AfD erstmals eine demokratisch legitimierte Partei rechts von der CSU etablieren kann, entscheidet sich für Helbling daran, ob sie kommunalpolitisch Fuß zu fassen vermag. Noch sitzt in keinem fränkischen Regierungsbezirk nur ein einziges AfD-Mitglied im Stadt- oder Gemeinderat.

Derzeit gibt es für die AfD indes kaum Anlass, sich mit Breitbandausbau oder Krippenplätzen zu befassen. Ihr Markenkern bleibt die Ablehnung der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel. "Deshalb kommen die Menschen zu uns", sagt der oberfränkische Bezirksvorsitzende Tobias Peterka.



Kommentar von Falk Zimmermann: "Alternative für Deutschland?"

Abkürzungen haben ihre Tücken. Denn rasch verselbständigen sich diese, ohne dass der Wortsinn hinter den Buchstaben noch hinterfragt wird. Die AfD zum Beispiel hat sich einst als "Alternative für Deutschland" auf den Weg gemacht. Welche Alternative aber soll das sein? Die einer schrillen, mitunter bizarren Truppe, die grelle Provokationen unters Volk streut?! Sicher nicht.

Vielleicht aber liegt es gerade an dieser Mixtur, die beinahe das ganze Land an ADS leidend erscheinen lässt. ADS, wieder so eine Abkürzung, steht für Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Und von dieser scheint unsere Wahrnehmung in Sachen AfD geprägt zu sein. Das Krankheitsbild: Unruhe, Hyperaktivität, Konzentrationsstörungen. Genauso fühlt es sich an, beobachtet man die beinahe hysterisch geführte Debatte. Denn je lauter der eindimensionale Klamauk der AfD-Führungsriege ertönt, umso emsiger wird dieses transportiert, geteilt, analysiert, verurteilt. Schade drum.

Denn widmete man sich der Substanz, programmatisch wie personell, so würde schnell klar: Hier ist Mummenschanz am Werk, der wieder verschwinden wird. Die politischen Selbstreinigungskräfte in der Bundesrepublik haben es immer wieder geschafft, Krawall-Phänomene wie die Schill-Partei für den Moment zu ertragen und den Selbstzerstörungsprozess gelassen zu registrieren.

Vielleicht hat die Existenz der AfD sogar etwas Gutes. Erinnert sie doch das politische Deutschland daran, dass es natürlich einer Vielfalt bedarf, um den gesellschaftlichen Konsens Tag für Tag neu auszutarieren. Dafür ist eine AfD selbst nicht notwendig, aber vielleicht eine runderneuerte FDP. Denn die hat ein ausdifferenziertes Programm und (wieder unbelastete) Protagonisten. All das hat die AfD nicht. Darum wird sie Momentaufnahme bleiben - und nicht zur Alternative reifen.