Christian Fiedler bringt Interessierte zu den Hotspots der Bierstadt Bamberg. Das ist alles andere als trocken.
BambergOb ich eine Art Erlebnisbericht liefern könnte, fragt der Chef: Wie schreibt es sich nach neun Seidla? Natürlich, antworte ich, sehr gerne. Aber unwohl ist mir bei dem Gedanken schon. Neun Seidla auf nicht mal 70 Kilo, da würde kein großer Journalismus mehr herauskommen. Wenige Tage später Entwarnung von Dr. Jost Lohmann: Die Autorenführung von AGIL Bamberg mit Christian Fiedler soll keine "Sauftour" werden. Der Autor des Buches "Bamberg - Die wahre Hauptstadt des Bieres" wird die Teilnehmer zwar auch in Brauereien bringen. Dort gibt es aber immer nur einen Schluck, ein Versucherla quasi.
Mariä Himmelfahrt, 10 Uhr vormittags. Ich bin pünktlich am Spezial, wo sich bereits eine Traube gebildet hat. Rund 30 Teilnehmer, vor allem, aber nicht nur, männlich, bereits fröhlich ratschend, durstig. Es ist die erste Führung, die Christian Fiedler hält. 2004 erschien die erste Auflage seines Buches. Wenig später zog er aus beruflichen Gründen nach Frankfurt, "leider", sagt er stets dazu. Er muss dann immer einen Kasten Bier mit nach Hessen nehmen.
Niedergang durch Bahn und Kanal
Das Buch, ein historischer Blick auf Bamberg und seine Brauer, mittlerweile in der vierten Auflage, entstand im Nachgang eines Seminars. Fiedler war damals Geographie-Student in Bamberg und interessierte sich für die Einflüsse des Handwerks auf die Stadt. Darüber ist er zum Experten geworden. Vor der Brauerei Spezial erzählt er vom "Hotspot der Brauer-Szene", der Königsstraße, damals noch Steinweg. 1817 gab es alleine hier noch 23 verschiedene Brauereien, da es sich um die wichtigste Fernhandelsverbindung handelte. Pferdefuhrwerke brachten und holten Waren und jedes Gasthaus, in dem die Händler die Nacht verbrachten, braute sein eigenes Bier.
Erst mit dem Gleisanschluss Bambergs 1844 und dem Bau des Main-Donau-Kanals zwei Jahre darauf verlor die Königstraße an Bedeutung. Zwei Brauereien sind übrig geblieben: "Die Brauerei Spezial ist ein idealtypisches Beispiel", sagt Fiedler, "weil sie heute noch so intakt ist wie vor 200 Jahren."
Es sind tatsächlich kleine Krüge, die Brauer Christian Merz dem Publikum zapft. Aber mehr als nur ein Schluck. Die Bierinteressierten pilgern zum Fass wie Gläubige zur Hostie. Der Familie Merz gehört das Brauhaus in der dritten Generation. Das Rauchmalz für das Bier stellen sie noch selbst her, geräuchert über offenem Feuer. "Früher waren alle Biere Rauchbiere", sagt Merz. Außer in Ägypten, wo das Bier erfunden wurde, und man die Gerste in der Sonne trocknen konnte. Die Brauerei Spezial sei die letzte ihm bekannte, die noch auf diese Weise Bier braut. "Es ist das, was uns ausmacht, deshalb möchte ich es nicht aufgeben."
Zweiter Stopp am Maxplatz: Fiedler erzählt, hier habe es früher vier Brauereien gegeben.In den Brauereien am Maxplatz hatten sich die Händler der Bamberger Messe einquartiert. Einige verkauften ihre Waren auch lieber gleich im Fremdenzimmer statt draußen, wo man der Witterung ausgesetzt war. 1860 brannte die Brauerei Jäck ab. "Die Bürgerschaft wollte unbedingt helfen", so Fiedler, "aber niemand hatte Erfahrung, es gab keine Ordnung. Es hat also nichts genützt." Wenig später gründete sich die Bamberger Feuerwehr und der Turnverein 1860. Wo sich heute die Theatergassen schlängeln, gab es früher "Bambergs Hofbräuhaus", die Weiße Taube. Auch nicht gewusst. Sie fiel der zweiten Schließungswelle zum Opfer, schuld war der Krieg. Konsumenten und Arbeiter wurden an die Front abgezogen. "1923 kostete eine Maß Bier dann wegen der Inflation 260 Milliarden Mark."
Im Ambräusianum gibt es ein Helles. Zweiter Schluck des Tages. Fiedler hat das Ambräusianum als Gegenbeispiel ausgewählt: Brauereien sterben nicht nur, diese entstand 2004.
Ein Marketing-Gag?
Vorm Klosterbräu, es ist mittlerweile halb 12, wird im Publikum der Ruf nach größeren Gefäßen laut. Drin bekommen wir tatsächlich etwas größere, dankenswerter Weise aber nur halb gefüllt. Braunbier von der ältesten Bamberger Brauerei, früher: Fürstbischöfliches Braunbierhaus. Seit 1790 ist sie in bürgerlichen Händen. Zu einem Kloster gehörte sie allerdings nie. Fiedler: "Es ist unklar, warum sie so heißt. Vielleicht war das ein Marketing-Gag."
Die Mittagssonne steht im Zenit. Und brennt auf die Häupter, die sich vor dem Stöhrenkeller um ihren Bierexperten scharen. Zur Hochphase der Bierkeller-Kultur habe es hier am Stephansberg rund 40 Biergärten gegeben, teilweise mit Kegelbahn, Schießstand, Musikpavillon... "Das waren erste Formen der Event-Gastronomie." Ein Franke ist schuld am Niedergang dieser Kultur: Carl von Linde mit seiner Erfindung der Kühltechnik. Das letzte Versucherla des Tages schenkt Dr. Lohmann über den Zaun des E.T.A.-Hoffmann-Gymnasiums aus. Es gibt Schlenkerla. Gegenüber befand sich nämlich der Keller der Brauerei. Damit endet die Führung, auch wenn Christian Fiedler bei der Brotzeit auf dem Spezikeller sicher noch etliche Fragen beantworten muss.