Der Charakterleser

6 Min
Walter Rotter teilt die Menschen in 288 Charakter-Typen ein. privat
Walter Rotter teilt die Menschen in 288 Charakter-Typen ein. privat
 

Walter Rotter weiß, warum Seehofer ein Wendehals ist und Putin über Leichen geht

N icht reden, sondern tun. Das ist sein Motto. Wer sich mit Walter Rotter unterhält, der lernt einen umtriebigen Franken kennen: aktiv, charismatisch, zutiefst von seiner Theorie über die Charakterbildung des Menschen überzeugt. Firmen und Privatleute bezahlen viel Geld, um sich von ihm beraten zu lassen. Was ist das Geheimnis seines Erfolges?

Herr Rotter, Sie sagen, die grundlegenden Charakterzüge jedes Menschen lassen sich anhand von Geburtstag und Geburtsstunde ermitteln. Für mich klingt das nach Wahrsagerei und Astrologie.
Ihre Zweifel sind berechtigt. Aber ich kann nachhaltig beweisen, dass es funktioniert. Von der Astrologie hebe ich mich ganz klar ab, die braucht auch das Geburtsjahr und den Geburtsort. Ich dagegen unterscheide, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt - für beide Geschlechter habe ich je 144 Charakterbilder herausgearbeitet: zwölf mal zwölf, für die zwölf Tierkreiszeichen mit je zwölf Aszendenten. Wenn Sie einen Beweis dafür wollen, dass meine Methode funktioniert, sagen Sie mir Ihr Geburtsdatum und ihre Geburtszeit. Ich kenne Sie nicht, aber anhand dieser Daten kann ich Ihren Charakter lesen.

Probieren wir's: 28. Februar, 21.21 Uhr.
Sie sind Fisch mit Aszendent Waage. Sie tragen gerne Verantwortung, sowohl im Beruf als auch im Privaten. Grundsätzlich ist bei Ihnen ein gutes Führungsverhalten vorhanden. Sie lieben schönes Ambiente, sind sehr hilfsbereit und freundlich, haben ein sehr gutes Auftreten. Sie verstehen viel von der Liebe, von der irdischen wie auch von der göttlichen. Man mag Sie, ist gerne in Ihrer Gesellschaft. Stimmt's?

Ich bin auf jeden Fall clever genug, solch' positive Attribute nicht von mir zu weisen. Sie müssen mir schon was Negatives sagen!
Das ist bei Ihnen schwer. Wenn man das überhaupt als Schwäche ansehen kann, dann ist es, dass Sie zum Teil zu feinfühlig und tiefgründig sind, und deshalb leicht verletzbar.

Ehrlich: Mir würde noch einiges Negative einfallen. Aber zu Ihnen: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich mit dem Charakter von Menschen eingehend zu befassen?
Schon als Jugendlicher fand ich es interessant, dass Geschwister oft ganz unterschiedliche Charaktere haben. Ich habe mich gefragt: Warum ist der eine so und der andere anders? Damals gab es bereits Wissenschaftler, die sagten, dass der Stand der Gestirne bei der Geburt maßgeblichen Einfluss auf die Charakterzüge hat. Ich habe mit 14 Jahren angefangen, nach einer Einordnung zu suchen. Dazu habe ich alle Menschen, die mir über den Weg liefen, nach ihren Geburtstagen und - zeiten gefragt und auf diese Weise im Laufe der Zeit etwa 30 000 Menschen erforscht.

Anfangs war das also einfach ein Hobby, eine Leidenschaft. Ihr Geld wollten Sie anders verdienen.
Ich war ein erfolgreicher Fünfkämpfer, bis ich mit 22 Jahren schwer an Lungenkrebs erkrankt bin. Die Ärzte haben mir drei Prozent Überlebenschance eingeräumt. Da ist alles in mir zusammengefallen. Ich war platt, hatte Suizidgedanken. Aber es gibt im Leben halt keine Zufälle: Eine erfahrene Krankenschwester, so um die 60, hat gespürt, was mit mir los war. Sie hat sich jeden Abend zu mir ans Bett gesetzt und gesagt: "Du schaffst das!" Bisher hatte ich nie gebetet. Aber dann habe ich es getan. Ich hatte plötzlich wieder Hoffnung. Die Schwester hat mir das Leben gerettet, in Verbindung mit meiner neuen Einstellung.

Wie haben Sie Ihr "neues Leben" genutzt?
Nach einem Jahr bin ich aus dem Krankenhaus entlassen worden - die Ärzte haben gemeint, das sei ein Wunder. Ich habe mich für acht Jahre als Soldat verpflichtet und in dieser Zeit unter anderem eine Ausbildung zum Büro- und Versicherungskaufmann gemacht. Später habe ich als Vertriebsvorstand bei einer Versicherung gearbeitet. Meine Charakterforschung war jahrzehntelang nur ein Hobby, an dem ich nichts verdient habe. Aber als ich erst einmal den roten Faden zur Einteilung der Charakterzüge gefunden hatte, war das eine tolle Bestätigung. Ich habe immer weiter gemacht. Sogar im Skilift habe ich die Leute befragt. 1994 habe ich mich dann aufgrund meiner Erfahrungen in der Charakterforschung als Coach selbstständig gemacht.

Und es nie bereut?
Nein. Ich bin lange ausgebucht, habe Kunden aus allen Bereichen, vom Staatsanwalt bis zum Jetpiloten, vom Anwalt bis zum Lehrer. Sven Kirsten, Weltmeister im Kickboxen, habe ich zwei Jahre betreut, außerdem den Profigolfer Sebastian Heisele. Und viele andere Berühmtheiten, denen ich versprochen habe, nicht darüber zu reden.

Was glauben Sie: Warum kommen all diese Menschen gerade zu Ihnen?
Weil sie spüren, dass ich sie verstehe. Ich habe als Kind schwerwiegende Verletzungen erlitten. Das, was ich daraus gelernt habe, kann ich jetzt ins Coaching einfließen lassen.

Was sind das für Verletzungen, von denen Sie sprechen?
Als ich vier Jahre alt war, ist meine zweijährige Schwester vor meinen Augen tödlich verunglückt. Wir haben auf einem Bauernhof gelebt. Sie ist beim Heuaufschichten mit auf den Dachboden gegangen und in einem unbeobachteten Moment in die Tiefe gestürzt, mit dem Kopf auf einen Eisenklotz. Das hat mich damals komplett aus der Bahn geworfen. Ich habe nur geweint, tagelang, wochenlang, monatelang... Niemand hat mit mir geweint. Meine Mutter hat den Tod ihrer Tochter nicht verkraftet und mich an den Großvater abgegeben. Der hat mich sehr despotisch erzogen und auch geschlagen. Es gab in meiner Kindheit keine Liebe, keine Zuneigung, keine Wärme, nur Schläge und Arbeit. Doch so schlimm das auch war, so erfolgreich bin ich jetzt als Coach, weil ich die Leute da abhole, wo sie sind und wo niemand anders hinkommt.

Wenn Sie sie "abgeholt" haben, wohin geht es dann?
Zuerst füllen meine Klienten einen Fragebogen mit 143 Fragen aus. Nach dessen Auswertung entwerfe ich dann ein Charakter-Trainingsprogramm, das genau auf jede einzelne Persönlichkeit abgestimmt ist. 80 Prozent der Menschen haben eine Störung im Bereich Emotion. Viele können keine Gefühle zeigen, weil sie sich schämen, etwa, weil sie nach dem Motto erzogen wurden: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz". So ein Schmarrn! Ich sage Ihnen ein Beispiel von einem Staatsanwalt, den ich gecoacht habe. Er konnte nicht weinen. Wie sich herausstellte, hat ihm sein Vater das Weinen einst herausgeprügelt. Viele Probleme haben ihren Ursprung in Kindertagen!

Wie lange dauert ein Coaching bei Ihnen?
Durchschnittlich acht bis zwölf Wochen. Es gibt auch Sportler, die ich teilweise bis zu zwei Jahre betreue.

Wie oft pro Woche treffen Sie sich mit den Klienten?
Das ist ganz unterschiedlich. Normale Klienten sehe ich alle zehn, zwölf Tage. Mit Profisportlern war und bin ich oft wochenweise unterwegs.

Was kostet das im Durchschnitt?
Eine Pauschale von 3000 Euro, alles inklusiv, Anfahrten, Telefonate, Termine. Mir ist es wichtig, dass das Coaching bezahlbar bleibt und zugleich nachhaltig und vernünftig ist. Ich will die Leute nicht abzocken, sondern zufrieden machen. Mein ganzes Geschäft hat sich nur durch Weiterempfehlungen entwickelt.

Wenn jeder seinen Charakter trainieren kann, dann ist es doch nur logisch, dass der Charakter auch von Erziehung und Bildung geprägt ist und nicht - oder nicht nur - von der Geburtszeit!
Nein, da unterliegen Sie einem Irrglauben. Wie man erzogen wird, das tangiert den Charakter überhaupt nicht. Lothar Matthäus zum Beispiel ist doppelter Widder - er hat einen hervorragenden Charakter, aber keinerlei Bildung. Beim Freiherrn zu Guttenberg ist es genau umgekehrt. Er hat einen zweifelhaften Charakter - trotz toller Bildung.

Es gibt also Menschen, die quasi von Natur aus zum Bösewicht bestimmt sind?
Nehmen wir Putin: der ist nicht kritikfähig, extrem dominant, ein Machtmensch, der über Leichen geht.Es gibt auch andere Prägungen: Horst Seehofer ist ein Wendehals ohne klare Linie im Leben, der immer Leute braucht, die ihm nachtrotten. Und Donald Trump ist wankelmütig, ein Blender, Lügner und Betrüger.

Heißt das, den Trump könnten Sie nicht zu einem besseren Menschen machen?
Ich kenne meine Grenzen. Mein PQS, "Personality Qualification System", kann den Menschen zeigen, wie sie aus ihren angeborenen Charakterzügen das Beste herausholen. Wie sie Defizite abbauen, Potenziale entwickeln und ihre Persönlichkeit stärken. Man kann die Muster verändern - als Beispiel: Wenn ein Mensch als Kind nie Liebe bekam, kann er selbst trotzdem lernen, Liebe zu geben. Aber ich kann keinen schlechten Charakter zu einem guten machen.

Wenn Ihre Theorie stimmt, dann würden Minuten, ja Sekunden, die man eher oder später geboren ist, darüber entscheiden, welchen Charakter man hat. Das kann ich nur schwer glauben.
Es ist aber so. Ich habe Freunde und Bekannte, die kurz vor Entbindung anrufen und fragen, wann es am besten wäre, das Baby auf die Welt zu bringen. Natürlich kann man das nicht immer beeinflussen. Aber wenn es geht, dann versuchen sie es. Eine Stunde kann komplett den Charakter verändern! Es ist unglaublich, aber wahr.

Wann genau sind Sie geboren, Herr Rotter? Und was sagt Ihnen das?
28. September, 16.30 Uhr. Ich bin Waage, Aszendent Wassermann. Ich bin ein starker Harmonieträger, weine oft, habe viele Emotionen. Aber ich bin auch ein Mensch, der harte, klare Entscheidungen treffen kann. Wenn einer blöd kommt, dann sage ich ihm halt auch zwei Sätze.

Sie sind 67 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch als Charakterleser und Coach arbeiten?
Ich werde 68 und will auch mal langsam ans Kürzertreten denken. In zwei Jahren geht meine Frau in Rente, dann höre ich auch auf. Ich habe einige Trainer ausgebildet, die nach meiner Methode arbeiten und selbstständig weitermachen werden.