Das sind unsere Modell-Familien

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Wir wollen das Thema Familie in den Fokus rücken. Dazu hat sich die Redaktion auf die Suche nach "Musterfamilien" gemacht. Und wir sind fündig geworden.

In den nächsten Monaten will die Mediengruppe Oberfranken das Thema "Familie" anhand unterschiedlicher Themen stärker in den Fokus rücken. Dazu haben wir eine Familie als Begleiter, Ratgeber und Interviewpartner gesucht - und gleich drei gefunden. Ein Glücksfall. Denn eines ist uns in den vergangenen Wochen klar geworden: Um die Themen, die Familien berühren, als Redaktion in der Praxis anzugehen, reicht ein Lebensbeispiel nicht aus. Die eine Musterfamilie - es gibt sie nicht. Familie ist vielschichtig, Familie ist bunt, Familie ist ... immer wieder überraschend.
Deshalb also drei Familien. Alle drei werden uns begleiten und alle drei haben natürlich ganz verschiedene Interessen, Vorlieben, Probleme und Themen. Mit wem Sie es in nächster Zeit immer wieder zu tun haben werden, lesen Sie hier:


Nummer eins: Familie Raab aus Burgebrach

Die Raabs aus Burgebrach sind eine ausgesprochen musikalische Familie. Zumindest was die drei Frauen in dem vierköpfigen Haushalt angeht. Ehemann und Vater Clemens spielt lieber auf dem Computer. Das macht er bevorzugt auf der Arbeit, wo der gelernte Bankkaufmann bei der Sparkasse Bamberg als EDV-Spezialist nicht ohne Bits und Bytes auskommt. Das macht er aber auch gerne in seinem Arbeitszimmer zu Hause.
"Sein" Arbeitszimmer stimmt nicht ganz, weil sich hier eigentlich die ganze Familie tummelt. Die beiden Töchter (Annika ist neun Jahre alt, Isabel ist zwölf) nutzen Papas Arbeitszimmer ganz gerne für das eine oder andere Computerspiel. Und Mutter Ute näht gerne im gleichen Zimmer. Einfach um den Kopf mal freizukriegen, wie sie sagt.
Aber kommen wir zurück zur Musik in der Familie Raab. Die hat hier wirklich einen hohen Stellenwert. Woran die Mutter nicht ganz unschuldig zu sein scheint. Ute hat immerhin 30 Jahre die Kirchenorgel in Burgebrach gespielt. Irgendwie muss diese Vorliebe für Musisches auf die Töchter abgefärbt haben. Annika, die Jüngste in der Familie, spielt Klavier. Und das schon recht ordentlich. Und Isabell betätigt sich als Kontrapunkt am Schlagzeug. Also, wenn die beiden im Keller des Einfamilienhauses der Raabs eine Übungsstunde angesetzt haben, ist ganz schön was los in der Bude.
Wobei, den Vogel schießt natürlich die Mutter ab. Ute hat es sich in den Kopf gesetzt, Dudelsack zu spielen. Keine Ahnung warum, halt einfach so. Dazu hat sie eigens einen VHS-Kurs in Bamberg belegt. Nur, wenn Ute mit dem Dudelsack übt, ist kein Halten mehr. Die übrigen Familienmitglieder verbannen sie dann angesichts des ohrenbetäubenden Lärms, den das relative kleine Instrument zu produzieren in der Lage ist, stets in den Garten oder auf die Terrasse des Hauses. Zum Leidwesen der Nachbarn, möchte man annehmen. Die zeigen aber mit Blick auf die musikalischen Vorlieben der Raabs viel Verständnis.
Das erklärt, warum Mutter Ute in den höchsten Tönen von der Nachbarschaft schwärmt. "Auf unsere Nachbarn lassen wir nichts kommen." Schön natürlich auch für die Kinder. Wenn sie im Sommer im Garten auf dem Trampolin hüpfen oder ein Zelt aufbauen können. Und dazu mit den Kaninchen spielen. Ohne Angst haben zu müssen vor missliebiger Nachbarschaft.


Die Oma hilft mit

Wenn sie nicht gerade musiziert, kocht oder näht, ist die Mutter noch beruflich unterwegs. 30 Stunden in der Woche in einem Adelsdorfer Unternehmen. Tagsüber werden die Kinder von der Oma versorgt, die nicht weit weg wohnt. Und die Schule? Die Isabel (12) besucht in Ebrach die Realschule, fühlt sich dort sehr wohl. Annika geht in die vierte Klasse Grundschule. In diesen Tagen geht es um den Übertritt, wohl ans Gymnasium. Aber welches? Die Entscheidung fällt in den nächsten Wochen.



Nummer zwei: Familie Türcke aus Dörfles-Esbach

Für Familie Türcke war der Umzug nach Dörfles-Esbach "ein Glücksfall". In der kleinen Gemeinde vor den Toren Coburgs haben sie sich 2006 ein Haus gekauft. "Hier finden wir alles, was wir brauchen, sind nahe an Coburg und mit den Nachbarn verstehen wir uns auch super", fasst Vater Hans-Joachim zusammen.
Mit dem Hauskauf endete für die Türckes eine längere Phase der Fernbeziehung. Mama Sandra ist gebürtige Hessin, ihren Mann (er stammt aus Neustadt bei Coburg; dort lebt auch seine Mutter) lernte sie über das Internet kennen. "Das erste Mal haben wir uns in Nürnberg auf dem Christkindlmarkt getroffen", erzählt sie. "Es war ein schöner Abend, bis wir fest zusammen waren, hat es aber eine Weile gedauert. Manche Dinge brauchen einfach ihre Zeit."


Weiter Kontakt in die Heimat

Heute ist die vierköpfige Familie in Oberfranken fest verwurzelt. Bei Sandra Türcke ist der Kontakt in die Heimat aber nie abgerissen. Zum einen natürlich wegen der Eltern, zum anderen wegen ihres Jobs. Noch immer arbeitet die 43-Jährige, die sich in der Freizeit unter anderem für Yoga interessiert, für eine Messebaufirma - seit dem Umzug von zu Hause aus, als Projektmanagerin in Teilzeit.
Damit ist sie voll ausgelastet, denn die Kinder halten ihre Eltern natürlich auch auf Trab. Da wäre zum einen Tochter Hannah. Die Achtjährige besucht die 3. Klasse der Grundschule in Dörfles-Esbach. Sie hat viele Hobbys: Ballett, Tanzen, Keyboard spielen. "Ich habe auch schon Karate ausprobiert", erzählt sie. Mit ihrem kleinen Bruder versteht sich ganz gut. "Manchmal ärgert er mich", berichtet Hannah lächelnd. Was man sich bei dem dreijährigen Jan so gar nicht vorstellen kann. Beim Hausbesuch spielt der Kleine spontan mit dem Fotografen, präsentiert stolz seinen Kindertraktor und hüpft mit der Schwester jauchzend auf dem Trampolin herum.

Überhaupt hat das Grundstück der Türckes für die Kids eine Menge zu bieten. Neben dem Trampolin entdeckt man zum Beispiel ein Klettergerüst inklusive Rutsche und Schaukel. Und kurzerhand werden die Schläger für eine Partie Tischtennis herausgeholt. "Eine schöne Gelegenheit, etwas zusammen zu machen", finden die Eltern. Dann kann es der Papa auch verkraften, dass er fast gar nicht mehr zum Computerspielen kommt. "Ich habe mit Freunden früher auch mal das ganze Wochenende vor dem Rechner verbracht. Aber jetzt zählt eben die Familie."

Der Besucher merkt schnell: Die Türckes fühlen sich auf ihrem Grundstück pudelwohl. Unter anderem haben sie sich in Eigenregie direkt vor der Haustüre eine Art Wintergarten mit großen Glasfenstern als Rückzugsort geschaffen. Dort entspannen sie regelmäßig, gerne auch kombiniert mit einem Grillfest. "Grillen ist schon ein Hobby von uns", sagt Vater Hans-Joachim, der in Baunach bei einer Firma als Serviceleiter arbeitet.
Obwohl sie ihren Garten als Lieblingsplatz bezeichnen, ist Urlaub auch bei den Türckes ein Thema. Vorzugsweise geht es an die Ostsee und ins Kleinwalsertal zum Skifahren. "Klar, Skifahren kann für eine Familie ganz schön teuer sein. Aber das ist uns der Urlaub im Schnee dann auch wert", sagt Sandra Türcke.


Nummer drei: Familie Jürgens

Norbert Jürgens ist bei seiner Tochter und seinem Enkel in der kleinen Wohnung im Bamberger Haingebiet zu Besuch. Damit ist die Familie komplett. "Wir sind nicht so viele wie andere Familien, wir sind ganz klein." Lian grinst. "Wir sind aber dafür ganz fröhlich ... und wir kommen gut zurecht." Der Zehnjährige zögert: "Auch ohne Papa." Lian sagt, sein Papa sei cool. Er sieht ihn selten und vermisst ihn.
Ricarda Jürgens ärgert, dass Lians Vater keinen Unterhalt zahlt. "Es gibt heute so viele Familienformen und 20 000 verschiedene Situationen, in denen Alleinerziehende stecken können", findet die 40-Jährige. Lians Vater lebt derzeit in Lion.

Nach dem Abschluss ihres Romanistikstudiums 2001 war Ricarda Jürgens auf die französische Insel im Indischen Ozean gezogen. Fünf Jahre später kam Lian zur Welt. Ricarda trennte sich von Lians Vater, als der Junge noch kein halbes Jahr alt war. Als sie einige Monate später entschied, zurück nach Deutschland zu gehen, stand außer Frage, wohin: nach Bamberg, wo sie noch Freundschaften aus Studienzeiten pflegte. Opa Norbert zog 2007 ebenfalls vom niedersächsischen Iburg nach Franken. Er wollte für seinen Enkel da sein und suchte nach seiner Scheidung einen Neuanfang. "Bamberg kannte ich aus der Studienzeit meiner Tochter und ich fand es hier immer schön."


An einigen Stellen schwingt Wut mit

Ricarda Jürgens pflegt ihre kleine Familie, aber auch ihre Freundschaften und ihre Unabhängigkeit: Sie unterrichtet Sprachen, hat verschiedene Stellen und kann Einiges von Zuhause aus erledigen. Oft muss sie mehr als 40 Stunden arbeiten. Wenn sie über den Alltag spricht, geht es um Zeit, um Geld, um Struktur, Disziplin und Abläufe, darum, wie sie durch das vergangene Jahrzehnt gerannt ist, um im Job zu 100 Prozent Leistung zu bringen und ihrem Kind gleichzeitig immer Sicherheit und Verlässlichkeit zu vermitteln. Wenn sie über die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spricht, schwingt an einigen Stellen Wut mit. Norbert unterbricht sie: "Ricarda war immer rebellisch, aufsässig, schon als kleines Kind."
Für einen Moment schweigen die Jürgens etwas betreten. Dann lachen alle drei. Nur wenige Minuten vorher hatte Ricarda ihren Sohn Lian so ähnlich beschrieben. Sein Dickkopf macht ihr Schwierigkeiten. Sie lächelt. "Lian ist eine wilde Seele. Der ist extrem offen, sehr selbstbewusst und hat die richtigen Werte. Ich mache mir keine Sorgen -" Lian zupft an ihrem Arm. Das Wichtigste in seinem Leben ist nach seiner Auskunft Fußball, aber seine Mutter findet er eigentlich auch ganz prima. Bis auf die Tatsache, dass sie sich strikt weigert, ihm ein Touchhandy zu kaufen. Er sagt: "Aber du machst dir doch immer Sorgen!"
Ricarda Jürgens erklärt, dass sie wegen fremdenfeindlichen Übergriffen und Lians dunkler Haut manchmal Angst hat. Sie streicht im übers Haar, schaut ihm in die Augen: "Aber ich mache mir keine Sorgen, dass du durchs Leben kommst. Du hast alles, was du brauchst."