Bamberger Straßenserie blickt in die Obere Königstraße

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Bäckermeister Michael Kerling kennt die Obere Königstraße schon sein ganzes Leben lang. Früher gab es hier 23 Brauereien, heute nur noch zwei. Blick in die Geschichte: Am 8. April '45 erreichte die US-Armee Bamberg. Ihr Weg führte sie auch durch die Königstraße. Fotos: Ruth Kaiser, Ronald Rinklef, Artland B. Musser/Stadtarchiv
Bäckermeister Michael Kerling kennt die Obere Königstraße schon sein ganzes Leben lang. Früher gab es hier 23 Brauereien, heute nur noch zwei. Blick in die Geschichte: Am 8. April '45 erreichte die US-Armee Bamberg. Ihr Weg führte sie auch durch die Königstraße. Fotos: Ruth Kaiser, Ronald Rinklef, Artland B. Musser/Stadtarchiv
 
 
 
Ein Schock für Musikfreunde: Am 6. August 2014 gab der Morph Club seine Schließung bekannt. Foto: Philipp Scheitenberger, FT-Archiv
Ein Schock für Musikfreunde: Am 6. August 2014 gab der Morph Club seine Schließung bekannt.  Foto: Philipp Scheitenberger, FT-Archiv
 
 
 
 
 

Gehetzte Menschen mit Koffern, neugierige Touristen auf dem Weg zum Dom, Studenten - durch die Obere Königstraße zieht es alle.

Der Wecker klingelt viel zu früh am Morgen ... Ein leidiges Phänomen, das wohl jeder kennt. Für den einen beginnt der Tag dann Punkt sieben im Büro, die andere muss vielleicht erst um zehn in der Uni sitzen.
Michael Kerlings Tag beginnt gegen halb zwei in der Früh. Als Bäcker- und Konditormeister ist er wohl einer der ersten, der sich kurz vor zwei Zeit für einen Morgenkaffee nimmt und sich im Familienbetrieb ans Werk macht. "In den Morgenstunden gehört die Straße den Anwohnern", murmelt er. Zumindest unter der Woche.


In Morph-Club-Zeiten

Am Wochenende sieht das anders aus. "Was ich nie begreif': Dass ihr nachts um zehn erst foddgeht", meint Kerling kopfschüttelnd. In der nachts sonst so stillen Straße sind die Studenten, die in oder aus Richtung Innenstadt trudeln, natürlich deutlichst zu hören. Kein Vergleich allerdings zum Geräuschpegel in Morph-Club-Zeiten. Heute kann man wieder mit offenem Fenster schlafen, sagt Kerling - nur eine der viele Veränderungen, die er in "seiner" Straße miterlebt hat.
Der 57-Jährige wohnt schon sein ganzes Leben lang in dieser Straße. Während sich in seiner Kindheit vieles in den Innenhöfen abspielte, war die Straße "vorne" seinerzeit eine der wichtigsten Geschäftsstraßen Bambergs. "Und es war eine Straße, in der Leute gewohnt haben, die man gekannt hat", erinnert er sich. Das nachbarschaftliche Verhältnis sei früher viel enger gewesen.
Heute wohnen auch nicht mehr so viele Leute da. Es gibt mehr Büros, Praxen, und noch ein paar wenige Gewerbetreibende. "Ich glaub', dass des schon wichtig ist für die Zukunft einer Stadt, auch für'n Tourismus, dass a Stadt lebendig ist. Nicht nur dort g'schlafen wird. Oder besucht wird", sinniert er - sonst werde eine Straße, ja eine Stadt, in gewisser Weise schnell einseitig.


Wenn sich Männer unterhalten

Leise hört man die Kirchenglocken läuten. Es ist zwölf Uhr, Zeit zum Mittagessen. Da zieht es einige in die Wirtshäuser der Straße. Hinter den bunten Glasfenstern der Wirtsstube der Brauerei Fässla liegt eine andre Welt, könnte man meinen. An den hölzernen Tischen sitzen vereinzelt Paare, eine Mama mit ihren Kindern kommt zur Tür herein und gegenüber der Schenke sitzt, ja thront gar, der Stammtisch.
Unter dem blauen Schild mit dem entsprechenden Schriftzug sitzt eine Männerrunde beim Bier. Ob König Ludwig I., nach dem zu Ehren die Straße Obere Königstraße genannt wurde, wohl auch Fan des ein oder anderen Bierchens war? Die Bedienung, flink - freundlich - fränkisch, fragt im Dialekt nach den Wünschen der Gäste. Währenddessen unterbricht ein anderer die G'schichten seines Nebenmanns mit einem derben: "Jetzt halt amol dei Maul, sonst gibt's eins auf die Goschn!"- "Ogeber!" Gläser klirren und Gelächter schallt durch den Raum.


Hintergrundmusik braucht keiner

Ebenso immer wieder ein "Adeee", "Servus", "Dankschönn, ja Tschüssla" vom Wirt, wenn sich Gäste verabschieden. Hintergrundmusik braucht hier keiner. Zwischen Diskussionen über Frauenfußball, Fußball und Frauen im Allgemeinen und dem Austausch darüber, wer da "demletzt g'storben is", bleiben lediglich kurze Momente der Stille, wenn ein Thema "ausgred‘" ist. Doch die hält nicht lang an, denn wie sich der Wirt bei seinen Stammtischlern vergewissert: "Wenn sich Männer unterhalten ..." - " ...gibt es nichts, was es nicht gibt", ergänzt ihn zwinkernd einer der Männer. Wie diese Gespräche in der Stammtischrunde bleiben, so dringt auch von außen kein Wort in die Wirtsstube herein. Draußen viel Lärm. Und hier drinnen: nichts davon. Es könnte auch irgendwo auf dem Land sein, statt mitten im Trubel der Weltkulturerbestadt.
Beim Hinausgehen ruft ein ältere Herr vom Tisch gegenüber der Tür noch ein "Pfiadi" herüber und auf der Straße bleibt zwischen Fahrrädern, Joggern, Studenten und Touristenströmen nun aber nichts als der leichte Geruch, der süßlich-malzig von der Brauerei hinter dem Wirtshaus her weht.


Und immer weht ein Malzgeruch

Dieser Geruch gehört für Bäckermeister Kerling zu den wenigen Dingen, die er als "typisch" für die Straße benennen kann. Wie sich die Gegend, das Viertel rund um den Bahnhof, gewandelt hat, sieht Kerling mit gemischten Gefühlen. Er beklagt, dass der Straße eigentlich die Vielfalt abhanden gekommen ist - der Branchenmix kam ihm in seiner Kindheit bunter vor, mit Bastel- und Schulbedarf, Drechslerei, Büromöbeln, einer Lederwarenfabrik, Obst- und Gemüsehandel und kleinen "Delikatessen" fern der Saisonware sowie Eisen- und Haushaltswaren und einem Hosengeschäft. "Des, was nachkommt, ist überall desselbe", so sieht Kehrling die Entwicklung der einstigen Haupteinkaufsstraße.


Abhängen auf der Kettenbrücke

Die Sonne über Bamberg geht langsam unter. Im Sommer zieht es viele, die den Abend ausklingen lassen wollen, zur Kettenbrücke. Gerade auch Studenten sitzen hier noch bis in die Nacht, ein Eis, ein kühles Bier oder einen Döner in der Hand. Den holen sie sich beispielsweise beim "Marmaris": Der Imbiss, der seit über zwanzig Jahren in Bamberg ist, versorgt die Vorbeikommenden bis nachts gegen eins mit deftigen Leckereien. Doch, "es ist nicht mehr so wie früher. Alles hat sich verändert", sagt auch Hacer Yelmaz über die Straße. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr arbeitet sie im Geschäft ihrer Eltern mit. Früher, so vor zehn Jahren, war es oft wirklich noch ein "Häppchen", dass die Leute sich holten, bevor es losging. Zum Feiern in der Bamberger Innenstadt bis in die frühen Morgenstunden.
Doch die Sperrstunde hat die Gastroszene verändert. Und auch die offenen Fenster der Wohnungen, über den vielen Ladengeschäften, zeugen von der Stille, die in die Straße bei Nacht eingezogen ist. Heute ist es eher der "Absacker-Döner" auf dem Weg von der Stadt zum Bahnhof, oder eben zum Tag-entspannt-ausklingen-Lassen auf der Kettenbrücke.
Den ein oder anderen zieht es, gerade am Wochenende, sicher doch noch mit der Stärkung in der Hand in Richtung Sandstraße, um dort zwischen Bier und Gin Tonic zu landen. Bäckermeister Kerlings Wecker hat dann meist schon längst geklingelt. Und er genießt noch die Ruhe, bis die restliche Straße erwacht.

Ruth Kaiser hat im Sommersemester 2017 an der Journalistik-Übung "Wenn Straßen anfangen zu erzählen" an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg teilgenommen. Im Rahmen dieser Übung entstand dieses Straßen-Portrait.