Der Soziologe Friedrich Heckmann ist Mitbegründer des Europäischen Forums für Migrationsstudien in Bamberg. Er glaubt daran, dass Deutschland die Flüchtlingsströme bewältigen wird.
Mitten in der Migrationskrise Anfang der 90er Jahre wurde in Bamberg das Europäische Forum für Migrationsstudien (efms) gegründet: 1993, als Millionen Menschen aus Russland und dem zerfallenden Jugoslawien nach Deutschland kamen und sehr viele Menschen auch in die alte Bundesrepublik übersiedelten.
Die heutigen Flüchtlingsströme konnte man nicht vorhersehen, aber: "Schon damals war klar, dass Migration und Integration längst Strukturmerkmale der deutschen Gesellschaft geworden waren", sagt Friedrich Heckmann, Professor für Soziologie an der Uni Bamberg, Mitbegründer des efms. Gemeinsam mit Prof. Göler leitet er das Forum. Gerade hat er ein Buch über Integration veröffentlicht ("Integration von Migranten - Einwanderung und neue Nationenbildung", Verlag Springer, E-Book 22,99 Euro, Softcover 29,99 Euro). Die bevorstehenden Entwicklungen hält er für bewältigbar, wie er im Interview erklärt.
Das Europäische Forum für Migrationsstudien wurde 1992 gegründet und als notwendiger Schritt zur Institutionalisierung einer Migrations- und Integrationsforschung in Deutschland und Europa begriffen. War es die erste Institution ihrer Art? Prof. Dr. Friedrich Heckmann: Ja. Das efms war eines der ersten seiner Art in Europa. Etwa gleichzeitig gab es eine Gründung in Osnabrück und in der Folge an verschiedenen Instituten Forschungen im kleineren Rahmen. Vor etwa 15 Jahren wurde im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine größere Forschungsabteilung gegründet. Diese macht allerdings Ressortforschung und bekommt ihre Fragestellungen von Politik und Verwaltung. Die Interpretation der Ergebnisse obliegt ebenfalls der Verwaltung und Politik.
Hätten Sie damals schon geglaubt, dass es einmal zu solchen Flüchtlingsbewegungen kommen würde, wie wir sie aktuell haben? Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Bewegungen schwer vorhersehbar sind. Wir haben allerdings vorhergesehen, dass aus der Perspektive von 1993 Migration auch in Zukunft eine große Rolle spielen wird. Das war auch ein Motiv, das Institut zu gründen. Migration und Integration waren schon damals Strukturmerkmale der bundesdeutschen Gesellschaft geworden und würden es immer mehr, das war uns klar.
Die Migrationskrise von 1992: Welche und wie viele Menschen kamen damals nach Deutschland? Damals hatten wir Zuwanderungen in Zusammenhang mit der Öffnung des eisernen Vorhangs, des Bürgerkrieges in Jugoslawien und von deutschstämmigen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Das waren etwa 1,5 Millionen Menschen. Allerdings darf man nicht nur mit Zugangszahlen rechnen, sondern muss auch die Abgangszahlen einbeziehen. Im Saldo waren es damals etwa 650 000 Zuwanderer, die tatsächlich dazukamen.
Das gilt sicher auch für die aktuellen Migrationsbewegungen? Ja. Auch dieses Mal wird es eine beträchtliche Zahl von Abwanderungen aus verschiedensten Gründen geben. Das hängt zusammen mit der Rückkehr der Migranten in ihre Herkunftsländer, weil sie in Deutschland bestimmte Pläne nicht realisieren können. Hinzu kommen Familienzusammenführungen aus Deutschland heraus, dass Menschen aus beruflichen Gründen zurückziehen und natürlich Abschiebungen.
Warum fliehen so viele Menschen aus dem Balkan zu uns? Stecken wirtschaftliche Gründe dahinter, wie allenthalben kolportiert wird? Wirtschaftliche Gründe ist zu eng gefasst. Im Kern ist es die Suche nach einem besseren Leben, von dem man gehört und an das man geglaubt hat. In den Herkunftsländern leiden die Menschen unter gesellschaftlicher Stagnation, Korruption, der Unzuverlässigkeit von Institutionen. Auch die Diskriminierung und Ausgrenzung speziell der Roma spielt eine Rolle. Sie erhoffen sich in Deutschland eine Zukunft. Von politischer Verfolgung kann man in den Balkanländern im Sinne des Asylgesetzes im Allgemeinen aber nicht ausgehen.
Wie können die Flüchtlingsströme aus Ihrer Sicht gelenkt werden? Was die Flüchtlinge vom Balkan angeht, sind Ankunftseinrichtungen wie die in Bamberg aus Gründen der Aufnahmekapazität unserer Gesellschaft ein notwendiger Schritt. Es ist zu erwarten, dass sich die Flüchtlingszahlen auf diese Weise reduzieren.
Warum kommen gerade jetzt so viele Menschen aus Asien und Afrika zu uns? Es klingt banal, aber es hängt auch mit der Jahreszeit zusammen. Im Sommer sind die Fluchtbedingungen zu Land und zu Wasser besser. Dann hängt es zusammen mit dem Zusammenbruch der politischen staatlichen Ordnung in Libyen, das allerdings schon länger. Schließlich spielt die Türkei eine große Rolle. Über sie kommt jetzt ein großer Teil der Migranten, weil die Türkei an ihren Grenzen keine Kontrolle mehr ausübt. Das war in der Vergangenheit anders. Meines Erachtens übt die Türkei mit diesem Nachlassen der Kontrolle politischen Druck auf die EU aus, weil die EU die Kurdenpolitik kritisiert. Die Flüchtlinge sind in der Türkei mit ihrer Situation total unzufrieden. Die türkischen Grenzbehörden scheinen sich überhaupt nicht mehr zu kümmern, wer von ihrem Territorium aus Fahrten über das Meer startet.
Wird durch die Vermischung von Flüchtlingen aus dem Balkan und anderen Ländern die Asylpolitik verwässert? Die Institution des Asyls ist für politische Verfolgung gegründet, insofern muss man unterscheiden zwischen Asylzuwanderung und Asylgewährung sowie Einwanderung vor allem zur Verbesserung des Lebens, sprich Arbeitsmigration. Flucht und Asyl ist nicht gleichzusetzen mit normaler Einwanderung. Allerdings ist es so, dass Menschen, die Schutz suchen und längere Zeit im Land sind, immer mehr zu Einwanderern werden. Sie werden in die Gesellschaft eingebunden, das erschwert die Rückkehr.
Glauben Sie, dass die Integration all jener Menschen, die jetzt zu uns kommen, gelingen kann? Sie kann auf jeden Fall gelingen. Deutschland hat viele Erfahrungen mit Integration. Wir hatten die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Gastarbeiter und die Migration in der Folge der Öffnung des Eisernen Vorhangs. Wir wissen, was gemacht werden muss, wir haben die materiellen Mittel. Aber Integration erfordert auch bestimmte psychische Ressourcen, die notwendig für das interkulturelle Zusammenleben sind. Wir wissen um die Schwierigkeiten, das ist aber keine vollkommen neue Erfahrung. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden wichtige Institutionen zur Integration aufgebaut auf lokaler Ebene, in den Verwaltungen der Städte, bei Wohlfahrtsverbänden, in Integrationsräten und auf Bundesebene mit der Institutionalisierung zum Beispiel von Integrationskursen. Für diese wurde schon über 1 Milliarde Euro ausgegeben.
Soweit zur politischen Ebene. In der Gesellschaft gibt es aber auch Hass und Krawall. Im Forum für Migrationsforschung beobachten wir eine große Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Das Phänomen des Rechtsradikalismus einschließlich der Gewalt ist nichts Neues. Es gibt etwa 15 Prozent von Menschen, die sich unter anderem durch die NPD mobilisieren lassen und zu Gewalt neigen. Ich hoffe, dass man das rechtsradikale Potenzial durch soziale Kontrolle in Grenzen halten kann.
Es wird immer wieder der Vergleich mit den Flüchtlingsströmen nach 1945 bzw. 1989 heran gezogen. Der Vergleich hinkt gewaltig. Die Menschen, die damals kamen, waren Deutsche aus den Ostgebieten des "Großdeutschen Reichs" bzw. der ehemaligen DDR, sprachen deutsch, kamen aus dem selben Kulturkreis, gehörten christlichen Religionen an und hatten dieselbe Bildung/Ausbildung. Da war Integration absolut kein Problem.
Das Gegenteil davon spielt sich bei Problematik der Integration der heutigen Flüchtlinge ab. Einmal abgesehen von einem völlig anderen Kulturkreis sprechen sie kein deutsch, sind teilweise Analphabeten, haben keinen Beruf erlernt und sind Muslime. Wer hier behauptet, der Großteil der Flüchtlinge besteht aus Facharbeitern, Ärzten und Ingenieuren lügt.
Eine Integration im Schnelldurchgang gibt es nicht. Bis diese Menschen integriert sind, werden mindestens 3-5 Jahre vergehen. Da sollten wir uns keinen Illusionen hingeben.
oder vielleicht auch meistens, wird es scheitern oder gar nicht gewollt sein (siehe Türken).