Bamberger Mini-Brentano Theater wird 20

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"Man kann nicht davon leben, aber dafür": Impresario Martin Neubauer mit einer Büste seines Idols, Clemens Brentano Foto: Matthias Hoch
"Man kann nicht davon leben, aber dafür": Impresario Martin Neubauer mit einer Büste seines Idols, Clemens Brentano Foto: Matthias Hoch

Martin Neubauers Brentano-Theater in Bamberg wird 20.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat das kleinste Theater im kleinen Land? An dieser Stelle ist vor einer Woche das Torturmtheater Sommerhausen gewürdigt worden, mit 50 Plätzen bestimmt in der Konkurrenz. Das sind allerdings fast doppelt so viele, wie Martin Neubauer vorzuweisen hat. Spieglein, Spieglein, der liegt mit seinem Brentano-Theater ganz weit vorn ...

28 Zuschauer passen ins wohnzimmergroße und dennoch professionell arbeitende Minitheater in der Traumvilla. An der Bamberger Gartenstraße liegt das um 1900 erbaute Gebäude auf einem Hügel, mit einem verwunschenen Garten außenrum; nicht wenige erinnert der verwinkelte Bau an das Haus von Norman Bates in Hitchcocks "Psycho". Nur dass sich in der den Bambergern bekannten Ehrlich-Villa keine schrecklichen, sondern schöne, spannende, vielleicht manchmal auch tragische Dinge abspielen.

Und das seit 20 Jahren, in rund 1500 Vorstellungen.
"Schreiend davongelaufen" wäre er, sagt Neubauer, wenn ihm einer prophezeit hätte, was aus jener Idee, an einem Augustabend 1992 geboren, geworden ist ... Eine Abendlaune unter Freunden, den Erker des Wohnzimmers zur Bühne zu machen. Doch so abwegig auch wieder nicht, denn der Theatermacher, Jahrgang 1963, ist den Künsten tief und von klein auf verbunden. Sein Vater Hans Neubauer, Jurist, langjähriger Feuilletonist im "Fränkischen Tag", 30 Jahre Vorsitzender des Bamberger Kunstvereins, prägte ihn früh und lebenslang, stand auch immer hinter den nicht gerade den Idealen bürgerlicher Solidität entsprechenden beruflichen Aktivitäten des Sohns.

Der nie etwas anderes werden wollte als Schauspieler oder Sänger. Und das Handwerk gründlich erlernte an der Schauspielschule in München. Dieser Zeit folgten fünf Jahre feste Engagements in Hannover und Essen. Nein, Neubauer will ein für allemal Gerüchte entkräften: Am Bamberger Theater spielte er nicht, hat es folglich auch nicht frustriert verlassen. Stattdessen entschied er sich für eine andere, eine "Knochenmühle in Freiheit" jedoch. Er ist freiberuflicher Rezitator bis heute. Was bedeutet, dass man ihn engagieren kann für den Vortrag eigener Programme oder von Texten nach Wunsch.

Literarischer Exzentriker

Doch das Brentano-Theater ist sein Geschöpf. Den romantischen Dichter Clemens Brentano (1778-1842) kennt man vielleicht noch als Mitherausgeber der Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn". Literarisch sehr Interessierte oder Germanisten wissen mit den "Rheinmärchen" etwas anzufangen oder der "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl", ansonsten ist der Mann gründlich vergessen. Ach ja, in späteren Jahren war er geradezu fanatisch katholisch und schrieb sechs Jahre lang die Visionen einer stigmatisierten Nonne auf. Was fasziniert Martin Neubauer an einem solchen Exzentriker?

Eine ganze Menge. Wer sich näher mit dem Romantiker beschäftigt, entdeckt zunächst die "Musikalität seiner Sprache", so sein Verehrer, einen versponnen-anarchischen Geist mit einem "Kosmos an Widersprüchlichkeit". Brentano habe die Dadaisten des frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst; zur übersteigerten Religiosität hätten ihn extreme Schicksalsschläge getrieben. Als "Sehnsucht, in Wunden Sinn zu finden", deutet Neubauer seinen Brentano und dass eine lange kanonische Werkausgabe manch apokryphen Text unterschlagen habe.

Wie dem auch sei - "versponnen-anarchischer Geist": Da horcht man auf, da fällt der Blick auf den wuschelig-freundlichen Mann, der irgendwie an viele wirklich gute Kinderbuchautoren erinnert. Auch die haben sich irgendwie, irgendwo die Fähigkeit bewahrt, wie Kinder zu denken, zu empfinden, die grausamen Realitäten dieser Welt nie so richtig an sich heranzulassen ... oder eben 20 Jahre lang ein Minitheater zu betreiben mit einem allmählich gewonnenen treuen Publikum und einigen programmatischen Schwerpunkten: Brentano und Konsorten zählen naturgemäß dazu, etliche literarische Ausgrabungen und (Wieder-)Entdeckungen und auch einmal Populäreres wie der trotzdem geniale Karl Valentin oder Herbert Rosendorfer.

Zu den Ausgrabungen zählen einst berühmte, heute völlig vom Papierstaub bedeckte Leute wie Otto Julius Bierbaum, Maurice Maeterlinck (Nobelpreisträger!), Walter Hasenclever, Felix Timmermans oder völlig Unbekannte wie Thaddäus Rittner, Ernst Hardt, Elsa Bernstein. Es darf auch einmal Unbekanntes bekannter Namen sein. Dies alles realisiert in der Ehrlich-Villa in einem Raum der eigenen - gemieteten - Wohnung auf einer winzigen Bühne. Oder an externen Spielstätten wie der Galerie am Stephansberg, dem Schwerdtfeger-Häuschen, dem "Theater im Altstadthaus". Mit einer Sympathisanten-Schar von Schauspielern und Musikern: Stephan Bach ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Säule, Dorothea Schreiber, Heidi Lehnert, der Tubist Heiko Triebener natürlich, mit dem Neubauer bereits mehrfach erfolgreich das "Lideradurzeuch" realisierte. Nebst etlichen anderen.

Der Eintritt ins Brentano-Theater, bleibt festzuhalten, ist frei. Spenden sind willkommen. Wenig Gage fällt oft ab für die Mitwirkenden an den drei Theaterstücken und vier bis fünf Programmen (z. B. Hainspaziergänge) im Jahr; der Impresario lobt den Idealismus seiner "professionell ausgebildeten Individualisten". Aber in Bamberg komme man als Romantiker "noch irgendwie durch", wie der Oberidealist meint, auch wenn er mittlerweile Familie hat. Er will halt die Begeisterung an ein Publikum weitergeben, mit dessen literarischer Versiertheit man auch nicht mehr so rechnen könne wie noch vor 20 Jahren. Begeisterung für Traumprojekte wie einer Dramatisierung von Oscar Wildes Brief "De profundis". Oder den "Faust III" Friedrich Theodor Vischers. Ob er, Neubauer, angesichts all der Schwierigkeiten schon einmal ans Aufgeben gedacht habe: "Die Frage stellt sich jeden Tag, aber ernst gemeint war sie nie."

Jubiläums-Termine

Sonntag, 8. September, 17 Uhr, im Brentano-Theater, Gartenstr. 7 in Bamberg: "Aus ew'ger Lieb und ew'gem Zorn". Lieder, Lyrik, Prosa, Possen von Clemens Brentano. Das Programm, mit dem das Theater vor 20 Jahren eröffnet wurde.

Montag, 9. September, 20 Uhr, Aula des Clavius-Gymnasiums, Kapuzinerstraße 29 in Bamberg, "235 Jahre Brentano - 20 Jahre Brentano-Theater. Ein unfeierlicher Festakt mit poetisch-musikalischen Überraschungen" mit vielen dem Brentano-Theater verbundenen Schauspielern und Musikern.

Anmeldung Tel. 0951/54528.