Druckartikel: Bamberg: Antisemitismus-Experte hält Aiwanger für wenig glaubwürdig - "habe leider große Zweifel"

Bamberg: Antisemitismus-Experte hält Aiwanger für wenig glaubwürdig - "habe leider große Zweifel"


Autor: Ralf Welz

Bamberg, Freitag, 01. Sept. 2023

Bambergs Antisemitismus-Beauftragter hat Hubert Aiwangers Verhalten in der Flugblatt-Affäre kritisiert. Zwar seien die bislang bekannt gewordenen Fehltritte keineswegs nur eine Jugendsünde - entscheidender sei jedoch der "problematische Umgang" des Politikers damit.
Hubert Aiwanger (Foto) hat sich in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt inzwischen entschuldigt. Patrick Nitzsche, der Antisemitismus-Beauftragte der Stadt Bamberg, hegt dennoch Zweifel, ob der Politiker als stellvertretender Ministerpräsident Bayerns noch tragbar ist.


Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sieht sich gegenwärtig schweren Vorwürfen ausgesetzt. Hintergrund ist die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit des Politikers. In der Angelegenheit werden inzwischen immer mehr Anschuldigungen gegen den 52-Jährigen erhoben. "Täglich gibt es neue Informationen und Vorwürfe, Erklärungsversuche und Gegenangriffe", hält Patrick Nitzsche, der Antisemitismus-Beauftragte der Stadt Bamberg, am Freitag (1. September 2023) gegenüber inFranken.de fest.

Er bezeichnet das Flugblatt als "menschenverachtenden Pamphlet". Doch um das Schriftstück gehe es laut seiner Auffassung allenfalls noch am Rande. "Das eigentliche Flugblatt und dessen Problematik scheint mir schon lange nicht mehr im Fokus der Diskussion zu stehen", erklärt Nitzsche. Um die Frage nach der Autorschaft, die mittlerweile Aiwangers Bruder auf sich genommen habe, sei es nur kurzzeitig gegangen. Danach habe sich die Frage nach der Verbreitung durch Hubert Aiwanger angeschlossen, in dessen Tasche laut Zeugenaussagen mehrere Exemplare der Schmähschrift gefunden worden seien.

"Problematischer Umgang": Bambergs Antisemitismus-Beauftragter kritisiert Aiwangers Verhalten

"Mittlerweile wird Aiwanger vorgeworfen, vor dem Spiegel Hitler-Reden geübt, auf einem Schulfoto einen Hitler-Bart getragen, das Klassenzimmer mit dem Hitlergruß betreten und Witze über die Shoa gemacht zu haben", konstatiert Bambergs Antisemitismus-Beauftragter. "Schlimm genug, dass das ganze erst 35 Jahre später öffentlich wird", moniert er.  Nitzsches Hauptkritik richtet sich gleichwohl gegen Aiwangers Handhabung bezüglich der Antisemitismusvorwürfe gegen seine Person.

Zwar handele es sich bei den bislang bekannten Fehltritten bei weitem mehr als nur um eine Jugendsünde - "zumal bei einer solchen Anhäufung von Vorwürfen". Entscheidender sei jedoch Aiwangers "problematischer Umgang damit". In einem kurzen Statement hat der Freie-Wähler-Chef inzwischen öffentlich um Verzeihung gebeten. Doch ist diese Entschuldigung auch ehrlich gemeint? "Ich erwarte von einem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Bundesvorsitzenden einer demokratischen Partei als Vorbild seriös und vor allen Dingen offen mit der Sache umzugehen", betont Nitzsche.

"Das heißt, nicht erst immer scheibchenweise auf konkrete Rückfrage oder neuen Vorwurf hin zu reagieren, sondern sich früh und glaubwürdig zu entschuldigen." Äußerungen Aiwangers, wie etwa der Vorwurf, Ziel einer politischen Kampagne geworden zu sein, schmälern für den Antisemitismus-Beauftragten außerdem den Eindruck, inwieweit es sich um eine ehrliche Entschuldigung handele. Aufgrund immer weiterer Zeugenaussagen und Aiwangers Umgang mit der Gesamtsituation habe er "leider große Zweifel", dass sich Aiwanger ausreichend von seinem offenkundigen Gedankengut zu Jugendzeiten distanziert hat. 

Aiwanger als stellvertretender Ministerpräsident noch tragbar? - "Vertrauen in den letzten Tagen nicht gestiegen"

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass nun manche Akteure im Wahlkampf zur Landtagswahl in Bayern politisches Kapital aus den Vorwürfen schlagen oder sich anderweitig profilieren wollen. "Klar ist für mich, dass es ohnehin keine 'Gewinner' in der Causa geben kann", unterstreicht Nitzsche. Vielmehr berge die "immense Polarisierung" jetzt auch "die Gefahren von Sippenhaftwerbung und Instrumentalisierung von Antisemitismus für politische Zwecke auf dem Rücken ermordeter Juden und Opfer des Nationalsozialismus", erklärt der Antisemitismus-Beauftragte. "Beides lehne ich streng ab."

Für ihn spiele es deshalb in einem derartigen Fall auch keine Rolle, von welcher Partei der Betroffene ist. "Weil mittlerweile klar sein dürfte, dass Antisemitismus nicht vor einem bestimmten Parteibuch haltmacht", gibt Nitzsche zu bedenken. Dennoch stellt sich gegenwärtig bei vielen Menschen die Frage, ob Hubert Aiwanger in seinem Amt als stellvertretender Ministerpräsident Bayerns noch tragbar ist. Sollte der 52-Jährige zurücktreten - beziehungsweise von seiner Aufgabe entbunden werden?

Laut Nitzsche obliegt diese Entscheidung Ministerpräsident Markus Söder (CSU). "Offen sind die 25 Fragen und die danach hinzugekommenen, sich häufenden neuen Vorwürfe", konstatiert er. "Diese Klärungen müssen vollumfänglich geschehen und dann muss ehrlich beurteilt werden, wie viel Vertrauen Aiwanger noch besitzt", hält der Antisemitismus-Beauftragte der Stadt Bamberg gegenüber inFranken.de fest. "Mein Vertrauen in ihn ist in den letzten Tagen leider nicht gestiegen." Weitere Nachrichten aus Bamberg und Umgebung gibt es in unserem entsprechenden Lokalressort.